# taz.de -- Soziologe über Hochschulreform in Bayern: „Eher Gefahr als Chanc… | |
> Bayern will seine Hochschulen reformieren. Dabei könnte die demokratische | |
> Mitbestimmung auf der Strecke bleiben, befürchtet Stephan Lessenich. | |
Bild: Umsatz- und Gewinnrechnung per Video. Kritiker fürchten eine Ökonomisie… | |
taz: Herr Lessenich, Bayerns Hochschulen sollen künftig agiler, | |
wettbewerbsfähiger, freier werden – so sieht es ein Eckpunktepapier des | |
bayerischen Kabinetts vor. Klingt doch super, oder? | |
Stephan Lessenich: Na ja. Für mich klingt das eher wie ein verspätetes | |
Wiederaufleben des Neoliberalismus. Ich erinnere mich, dass es vor etwa | |
zwei Jahrzehnten, als ich noch in Göttingen war, schon mal so eine Welle | |
gab, wo es hieß, die Hochschulen bräuchten mehr Autonomie – der Göttinger | |
Universität hat das damals nicht unbedingt gutgetan. Inzwischen sind wir | |
doch eigentlich schon weiter und sehen, dass es eine gewisse staatliche | |
Rahmung nicht nur im Bildungswesen braucht. | |
Bernd Huber, Ihr Präsident, ist aber sehr angetan von den Plänen. | |
Wenn ich Universitätspräsident wäre, wäre ich auch angetan. Der | |
Handlungsspielraum von Hochschulleitungen im Verbund mit den Hochschulräten | |
wächst schließlich massiv, wenn diese Reform Gesetz wird. Mir würde es als | |
Präsident auch gut gefallen, wenn ich da beispielsweise meine Vorstellung | |
von demokratischer Hochschule realisieren könnte. Aber so wie die Dinge | |
stehen und wie die derzeitigen Universitätsleitungen gestrickt sind, muss | |
man davon ausgehen, dass die neue Freiheit kaum zur Demokratisierung der | |
Hochschulen genutzt werden wird. Deshalb sehe ich da [1][eher eine Gefahr | |
als eine Chance]. | |
Was befürchten Sie? | |
Meine größte Befürchtung ist, dass alle Formen demokratischer Mitbestimmung | |
von den Instituten über die Fakultäten bis zur Gesamtuniversität auf der | |
Strecke bleiben. Eine zukünftige Universitätsleitung könnte sagen, dieser | |
ganze Mitbestimmungskram, das brauchen wir nicht mehr, ab jetzt gibt es | |
eine schlanke Hierarchie mit ganz wenigen Entscheidungsinstanzen. Von | |
Wahlen der Gremien ist in dem Eckpunktepapier ja auch gar keine Rede mehr. | |
Von Gleichstellungsbelangen im Übrigen auch nicht. | |
Aus dem Zweiklang Forschung und Lehre soll nach dem Willen der bayerischen | |
Regierung künftig ein Dreiklang Forschung – Lehre – Transfer werden. | |
Damit habe ich zunächst einmal kein Problem – auch wenn viele | |
Hochschullehrerinnen und -lehrer, die die Wissenschaftsfreiheit hochhalten, | |
sich extrem an diesem Transfer-Gedanken stören. Für mich steht fest, dass | |
es einen öffentlichen Auftrag für Hochschulen gibt, mit ihrem Wissen und | |
ihrer Expertise auch in die Gesellschaft zu wirken. Deshalb kommt es eher | |
darauf an, wie diese Aufgabe ausbuchstabiert wird. | |
Die Hochschulreform ist Teil von Markus Söders „Hightech Agenda Bayern“, | |
die bis 2023 Milliardeninvestitionen in moderne Technologien vorsieht. Da | |
liegt nahe, dass hier doch eine sehr spezielle Art von Transfer gemeint | |
ist. | |
Das stimmt. Und wenn hier nur die Überführung von technischem Know-how in | |
die wirtschaftliche Verwertung gemeint ist, besteht natürlich die Gefahr, | |
dass künftig bestimmte Fächer und Fakultäten, die dieser | |
Transfer-Vorstellung nicht entsprechen, etwa bei der Vergabe von Geldern | |
leer ausgehen könnten. | |
Sie meinen die Geistes- und Sozialwissenschaften. | |
Die wären wohl besonders in Gefahr. Das ist ja überhaupt ein Geburtsfehler | |
dieser Hochschulreform, dass sie in den Kontext der Hightech-Agenda | |
gestellt wird. Dabei sind das einfach zwei Paar Schuhe. Egal, wie man zur | |
Hightech-Agenda steht: Man sollte sie nicht mit der Hochschulreform | |
koppeln. | |
Immerhin sollen die Hochschulen auf diese Weise fit für den internationalen | |
Wettbewerb gemacht werden. | |
Diese Illusion, wir wollen wie Harvard, Stanford oder ähnliche Kaliber | |
werden, ist doch wirklich abgeschmackt. Das war vor 20 Jahren der Hype. | |
Dabei wissen wir doch, dass die deutsche Hochschullandschaft völlig anders | |
institutionalisiert und gewachsen ist. Jetzt diesen alten Hut Harvard | |
wieder hervorzuzaubern, passt zwar zu dem bayerischen Großkopfertentum, | |
ist aber im Grunde nur peinlich. | |
Können Sie denn die Befürchtung gar nicht nachvollziehen, dass Deutschland | |
international ins Hintertreffen gerät? Es ist ja tatsächlich so, dass | |
beispielsweise Spitzenkräfte aus der Wissenschaft in anderen Ländern | |
Bedingungen geboten bekommen, von denen ihre Kollegen in Deutschland | |
[2][nur träumen können]. | |
Deutschland ist eine der reichsten Industrienationen der Welt und in | |
etlichen Bereichen auch Weltmarktführer. Natürlich gibt es Bereiche, wo wir | |
mal nur auf Platz fünf oder sieben oder zwölf von 225 Nationen sind. Wenn | |
man natürlich immer und überall der Weltmeister sein will, hat man ein | |
Problem. Aber das sind wirklich altertümliche Wachstumsvorstellungen. Mit | |
einer klugen, nachhaltigen Entwicklung hat das nichts zu tun. | |
Was würden Sie sich denn von einer Hochschulreform erwarten? | |
Zum einen einen entschiedenen Demokratisierungsprozess, der auch das | |
Mitspracherecht der Studierenden und des Mittelbaus stärkt. Zum anderen, | |
dass man die Lehre mehr in den Mittelpunkt stellt und wertschätzt. | |
Schließlich leben wir Hochschulen doch davon, dass wir Studierende haben, | |
die etwas anfangen können mit dem, was wir machen. | |
17 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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