| # taz.de -- Putsch in Myanmar: Nachts geht die Angst um | |
| > Während der Ausgangssperre holt die Polizei Juntakritiker ab. Auch die | |
| > Freilassung von 23.000 Kriminellen verbreiten Misstrauen und Furcht. | |
| Bild: Protest am Sonntag in Yangon gegen nächtliche Festnahmen ohne Haftbefehl | |
| Berlin taz | Den neunten Tag in Folge haben am Sonntag in Myanmar (Birma) | |
| zehntausende Menschen gegen den [1][Militärputsch] vom 1. Februar | |
| protestiert. In der größten Stadt, Yangon (Rangun), demonstrieren erstmals | |
| Reiseunternehmen mit einem Buskonvoi. Für den ohnehin von der | |
| Coronapandemie gebeutelten Tourismus ist der Putsch eine Belastung. | |
| Vor einigen Tagen hatten schon deutschsprachige Reiseleiter ihren Protest | |
| gegen den Coup vor der deutschen Botschaft kundgetan. In Mandalay gab es am | |
| Sonntag einen Protestzug in historischen Kostümen. Am Vortag hatten dort | |
| Journalisten gegen geplante Einschränkungen der Pressefreiheit protestiert. | |
| Mit dem Slogan „Stop Kidnappings at night“ wurden bei vielen Protesten am | |
| Wochenende die nächtliche Razzien und Festnahmen kritisiert. Die Polizei | |
| holt während der Ausgangssperre Militärkritiker und mutmaßliche Führer der | |
| Kampagne für zivilen Ungehorsam aus ihren Wohnungen. Oft wissen Angehörige | |
| auch nach Tagen nichts über den Verbleib der Festgenommenen. | |
| Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden bis Samstag rund 350 Personen | |
| festgenommen: Politiker der bisherigen Regierungspartei NLD, mutmaßliche | |
| OrganisatorInnen der [2][Kampagne für zivilen Ungehorsam], | |
| Demonstrant:innen, Influenzer und ehemalige Studentenführer der 88er | |
| Bewegung. | |
| ## Nachbarschaftliches Alarmsystem bei Polizeirazzien | |
| Bei einer junge Demonstrantin, die vor einigen Tagen in der Hauptstadt | |
| Naypyidaw von einen [3][Polizeischuss im Kopf getroffen] wurde und seitdem | |
| im Krankenhaus als hirntot galt, wurden auf Wunsch ihrer Familie inzwischen | |
| die überlebenswichtigen Maschinen abgeschaltet. Sie gilt als erstes | |
| Todesopfer der Proteste gegen die Militärherrschaft. | |
| Aus Angst vor nächtlichen Festnahmen hat sich die Protestbewegung | |
| inzwischen auch in Wohnvierteln organisiert. Das allabendliche | |
| ohrenbetäubende Schlagen auf Töpfe, um die Militärjunta symbolisch wie | |
| einen bösen Geist zu vertreiben, dient als Modell für das nächtliche | |
| Alarmsystem. | |
| Taucht nachts die Polizei vor einem Haus auf, schlagen Anwohner mit | |
| Töpfen Alarm. Dann strömen Hunderte Nachbarn zusammen und umringen die | |
| Polizisten. Diese schüchtert die zahlenmäßige Unterlegenheit meist ein und | |
| nicht selten ziehen sie wieder ab. Die Polizei musste auch bereits schon | |
| Festgenommene wieder herausrücken. Viele mit dem Smartphone aufgenommene | |
| Videos solcher Aktionen kursieren derzeit in den sozialen Medien. | |
| Ohnehin sind Smartphones zur zentralen Waffe der Juntagegner geworden. Jede | |
| Repression von Polizei und Militär wird damit sofort dokumentiert und | |
| verbreitet. So behält die Protestbewegung stets die Deutungshoheit über die | |
| oft ohnehin plumpe Propaganda des Militärregimes. | |
| Doch fürchten die Militärgegner jetzt auch [4][23.000 mutmaßliche | |
| Kriminelle], die zum Nationalfeiertag am Freitag amnestiert wurden. Sie | |
| gelten als potenzielle Unruhestifter. Denn scheint ihre Freilassung auf den | |
| ersten Blick als humane Tat, entpuppt sie sich aufgrund vergangener | |
| Erfahrungen mit Myanmars Militär als perfide Taktik. | |
| ## Platz für Massenfestnahmen durch Amnestie für Kriminelle | |
| Denn die Amnestie schafft überhaupt erst in den Gefängnissen den Platz für | |
| kommende Massenfestnahmen. Und Kriminelle lassen sich nutzen, um die | |
| Bevölkerung zu terrorisieren oder Proteste durch Provokateure gewaltsam | |
| eskalieren zu lassen. Das gibt Polizei und Militär dann einen Vorwand zum | |
| gewaltsamen Eingreifen. | |
| In manchen Wohnvierteln gibt es jetzt mit Knüppeln und Eisenstangen | |
| bewaffnete Bürgerwehren, die nachts Wache halten. Es kursieren Warnungen | |
| über befürchtete Brandstiftungen und Verseuchungen von Wasser. Zugleich | |
| gibt es bei Facebook Bilder von ersten gestellten Eindringlingen, die | |
| gerade aus dem Gefängnis gekommen sein sollen. Angeblich wurden auch schon | |
| Kinder zu kriminellen Aktionen gegenüber Familien von Demonstrant:innen | |
| angestiftet. | |
| Das Ergebnis ist ein Klima von Angst und Misstrauen in einer ohnehin | |
| brodelnden Gerüchteküche. Zudem fuhren am Sonntag erste Panzerfahrzeuge des | |
| Militärs durch Yangon und schürten Angst. Gerüchten zufolge würden Soldaten | |
| aus den Kriegsregionen des Landes in Polizeiuniformen gesteckt, um bald | |
| Proteste in Yangon anzugreifen. | |
| Die Militärregierung erlaubt per Erlass inzwischen Festnahmen ohne | |
| Haftbefehl und Razzien ohne Durchsuchungsbefehl. Auch die wurden | |
| Meldeauflagen verschärft. Übernachtungen außerhalb des eigenen Hauses | |
| müssen jetzt angemeldet werden. Denn erste Juntakritiker:innen sind | |
| bereits abgetaucht. | |
| Am Samstag wurde ein Haftbefehl für sieben gesucht Aktivisten | |
| veröffentlicht. Und die nächsten Tage soll bereits ein neues Cybergesetz in | |
| Kraft treten, dass die die Pressefreiheit massiv einschränken wird und | |
| Internetfirmen zwingt, Nutzerdaten herauszugeben. | |
| 14 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
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