# taz.de -- Militärputsch in Myanmar: Auf Messers Schneide | |
> Myanmars sanfter Coup steht auf der Kippe. Der Westen muss jetzt den | |
> Widerstand befördern und die Reihen der internationalen Gemeinschaft | |
> schließen. | |
Bild: Straßenprotest in Yangon, Myanmar | |
Der Coup in Myanmar ist nun eine Woche alt. Er bleibt ein sanfter Coup. Am | |
vergangenen Montag setzte das Militär den Präsidenten Win Myint ab und rief | |
den Notstand aus. De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die | |
Parlamentsabgeordneten und die Gouverneure der 14 Regionen Myanmars wurden | |
verhaftet. Schon am Dienstag wurden die Gouverneure in den Hausarrest | |
entlassen. Die Parlamentarier kamen am Mittwoch frei. Dann wurden die | |
Vorwürfe gegen Suu Kyi bekannt: Sie habe illegal Walkie-Talkies importiert | |
– darauf stünden maximal 2 Jahre Haft. | |
Schnell begann sich der Widerstand auf Facebook in Form des [1][Civil | |
Disobedience Movements] zu formieren. Die Junta – die Generäle hatten | |
mittlerweile eine neue Regierung gebildet – schaltete das Internet | |
zeitweise ab, um die [2][Mobilisierung des Widerstandes] zu stören. | |
Gleichzeitig mit den Restriktionen nach innen startete die Junta eine | |
Charmeoffensive nach außen und lud die internationale Gemeinschaft zur | |
Konferenz auf Botschafterebene, wo sie ihren Willen zur weiteren | |
Zusammenarbeit bekundete. | |
Warum geht die Junta so zögerlich vor? Ein Faktor ist die wirtschaftliche | |
Lage in Myanmar. Die Wirtschaft ist durch die Folgen der Coronapandemie arg | |
gebeutelt. Sollten westliche Länder, Japan und Korea Mittel abziehen und | |
Investoren aus dem Land flüchten, droht der Zusammenbruch, den dann nur | |
noch China verhindern kann – zu welchem Preis, kann man sich im | |
benachbarten Laos ansehen. | |
Der Hauptgrund für das Zögern ist allerdings die Schwäche der militärischen | |
Führung selbst. Kommt es zur Eskalation auf der Straße, kann man sich nicht | |
sicher sein, ob einfache Soldaten und Polizisten auf Demonstranten feuern | |
oder sich mit ihnen solidarisieren. Denn von Anfang an war dieser Coup das | |
Projekt einer kleinen Clique – der obersten Militärführung und ihrer | |
Kumpane in der Wirtschaft, die Myanmars größte Unternehmen und den | |
illegalen Handel mit Jade, Edelsteinen, Drogen und Edelhölzern dominieren. | |
Ihre Interessen sind nicht jene der Bevölkerung, des Beamtenapparates, ja | |
nicht einmal jene der mittleren Offiziersebene und der Truppe. | |
Die Dynamik beginnt sich schon jetzt zu wenden. Bis Freitag hatte sich die | |
[3][Protestbewegung] auf vier zivile Ministerien ausgeweitet: Im | |
Landwirtschafts-, Energie-, Gesundheits-, und Bildungsministerium hat die | |
Belegschaft die Arbeit niedergelegt. Es erreichen uns Berichte von harschen | |
Disziplinierungsmaßnahmen innerhalb der Sicherheitskräfte, um des Dissens | |
in den eigenen Reihen Herr zu werden. | |
Drei Dinge hat der Westen jetzt vorrangig zu tun: Man muss einen Keil in | |
das Militär treiben, an den Patriotismus der Soldaten und Polizisten | |
appellieren und ihnen klarmachen, was auf dem Spiel steht: Gewinnen kann | |
bei diesem Coup nur eine alte, korrupte Clique von Generälen – und China. | |
Die westlichen Staaten sollten bestehende Arbeitskanäle zur mittleren Ebene | |
der militärischen Hierarchie nutzen. Die Teams der internationalen | |
Organisationen, NGOs und bilateralen Entwicklungsagenturen vor Ort haben | |
die nötigen Kontakte. | |
Außerdem gilt es, die Mobilisierung des Widerstands zu erleichtern. Die | |
unabhängigen Medien sind nach wie vor frei, aber chronisch unterfinanziert. | |
Der Westen sollte sie finanziell unterstützen, damit sie ihre | |
Berichterstattung aufrechterhalten können. Mobilisierung erfolgt allerdings | |
großteils über die sozialen Medien. Nach Facebook wird das Militär auch | |
Twitter und Instagram sperren. VPN-Services wären ein Weg, um diesen | |
Sperren zu entgehen. | |
Effektive Lösungen sind aber für viele Burmesen nicht bezahlbar. Diese | |
sollte man daher gratis zur Verfügung stellen. Sollte das Internet über | |
längere Zeit abgeschaltet werden, wird nur noch Offline-Messaging über | |
Bridgefy verfügbar sein. Die Bluetooth-basierte App, die schon | |
millionenfach in Myanmar heruntergeladen wurde, hat eine Offline-Reichweite | |
von maximal 100 Metern, was nur für den engsten urbanen Raum reicht. | |
Längerfristig müssen Alternativen gefunden werden, die auch für | |
abgelegenere Landesteile funktionieren. | |
Zudem müssen die Reihen der internationalen Gemeinschaft geschlossen | |
werden. Eine Verurteilung des Coups im Sicherheitsrat der Vereinten | |
Nationen scheiterte erwartungsgemäß am Widerstand Chinas und Russlands. | |
Dass überhaupt eine Pressemitteilung zustande kam, in der sich alle | |
Sicherheitsratsmitglieder „tief besorgt zeigten“ über den militärischen | |
Notstand in Myanmar und die Freilassung aller Verhafteten forderten, zeigt, | |
dass auch China sich (noch) nicht exponieren will. | |
Jetzt muss der Westen die Führung übernehmen, die demokratische Koalition | |
mit Japan, Korea und Indien gegen den Coup zusammenhalten und gezielte | |
Sanktionen erlassen gegen die Junta und ihre Kumpanen in der Wirtschaft. | |
Das wird nicht einfach, da die geostrategischen Interessen der einzelnen | |
Länder hier divergieren. | |
Zuletzt muss man der Junta eine Ausstiegsoption aus dem Coup geben, um | |
diesen schnell und unblutig zu beenden. Ming Aung Hlaings sofortiger | |
Rückzug ist nicht verhandelbar. Praktischerweise erreicht Myanmars | |
Armeechef in diesem Jahr sein reguläres Rentenalter. Eine elegante Lösung | |
wäre, die Junta dazu zu bewegen, die Gerichte anzuweisen, der anhängigen | |
Beschwerde der gestürzten Regierungspartei NLD gegen den militärischen | |
Notstand stattzugeben. Das würde den Militärs eine Rückkehr in die relative | |
Sicherheit der Verfassung von 2008 ermöglichen, mit ihrem starken | |
politischen Veto für das Militär. | |
Wie man das der NLD verkauft? Vielleicht so: Der fehlgeschlagene | |
Militärcoup hätte bewiesen, dass die Demokratisierung und Öffnung Myanmars | |
unumkehrbar ist. Damit könnte eine nächste Verhandlungsrunde über die | |
Änderung der unliebsamen Verfassung mehr Erfolg bringen. | |
7 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Philipp Annawitt | |
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