# taz.de -- Vorwurf Wahlbetrug in Myanmar: Alte Tricks reloaded | |
> Das Militär biegt sich nach dem Putsch die Verfassung zurecht. Damit | |
> schafft es einen Vorwand, um Aung San Suu Kyi zu stürzen und von Wahlen | |
> auszuschließen. | |
Bild: Soldaten warten am 15. Februar auf ihren Einsatz in Yangon | |
YANGON taz | „Möglicher Wahlbetrug!“ Und: „Millionenfache Fehler auf den | |
Wählerlisten!“ Mit diesen Vorwürfen nach den [1][Parlamentswahlen vom 8. | |
November 2020] haben die Militärs jetzt ihren [2][Putsch] begründet. Sie | |
behaupten, auf den Listen seien dieselben Namen mehrfach aufgetaucht. Auch | |
die Nummern von Identitätskarten der Wähler hätten sich wiederholt. Für | |
diese Behauptung lieferte die Armee allerdings keine Beweise. Die | |
Wahlkommission wies die Vorwürfe denn auch zurück. | |
Myanmars [3][Wahlsystem ist nicht perfekt], aber es ist in der Lage, Betrug | |
in größerem Stil zu verhindern. Am Wahltag haben Tausende von | |
Schullehrer:innen in den Wahllokalen die Stimmabgabe kontrolliert. Um | |
bei den Wahlen zu betrügen, hätte eine Person von einem Wahlkreis zum | |
anderen fahren müssen, obwohl die Regierung die Bewegungsfreiheit | |
eingeschränkt hatte. | |
Auch hätte ein Betrüger die nicht abwaschbare Markierungstinte vom Finger | |
abbekommen und dann auch noch die Kontrollen der Mitarbeiter:innen in | |
den Wahllokalen umgehen müssen. | |
Allerdings: Die regierende Nationale Liga für Demokratie (NLD) genoss | |
während des Wahlkampfes gegenüber den anderen Parteien ihren Amtsbonus. | |
Unter dem Deckmantel individueller Spender umging sie auch Regeln zur | |
Wahlkampffinanzierung. Und NLD-Kandidaten nutzten die Gelegenheit, um sich | |
bei Covid-Hilfsprogrammen der Regierung als Helfer zu inszenieren, was | |
ihnen in der Öffentlichkeit zugutekam. | |
## Präsident verhaftet, sein Vize legalisiert dann den Putsch | |
Eine weitere unangenehme Wahrheit: Die offizielle Wahlkommission (UEC) | |
stand der NLD nahe und verletzte einige demokratische Regeln: So blockierte | |
sie etwa zunächst eine Gruppe von Wahlbeobachtern, um sie dann doch | |
zuzulassen – zu spät, um eine umfangreiche Überwachung sicherzustellen. | |
Doch begründete das Militär seinen Putsch mit dem schwammig formulierten | |
[4][Paragrafen 417 der Verfassung]. Der erlaubt dem Oberbefehlshaber, die | |
volle politische Kontrolle zu übernehmen, wenn die Union oder die nationale | |
Solidarität „zerfallen“ oder wenn Myanmar wegen „Versuchen, die | |
Souveränität des Staates durch Aufruhr, Gewalt oder andere falsche | |
Gewaltmethoden“ zu übernehmen, gefährdet sei. | |
Diese Machtübernahme durch den Armeechef muss allerdings der Präsident | |
anordnen. Das führt zu der Frage, ob der Putsch, wie von der Armee | |
behauptet, verfassungsmäßig war. Denn unmittelbar bevor die Armee den | |
Notstand ausrief, setzte sie die Staatsrätin und faktische Regierungschefin | |
Aung San Suu Kyi, den Präsidenten Win Myint und den Vizepräsidenten Henry | |
Van Thio fest. | |
Das verhinderte, dass die drei NLD-Politiker:innen ihre Ämter ausüben | |
konnten. Erst so wurde der vom Militär ernannte Vizepräsident Myint Shwe | |
zum amtierenden Staatschef. Er übertrug dann flugs die absolute Macht an | |
Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing. | |
## Militär organisiert jetzt nachtäglich Beweise für Wahlbetrug | |
Bald erklärte Juntachef [5][Min Aung Hlaing] dann öffentlich, die | |
Untersuchung der Wählerlisten habe begonnen und die Verantwortlichen für | |
den Wahlbetrug würden bestraft. Eine unabhängige Untersuchung scheint dabei | |
nicht vorgesehen zu sein. | |
Es sieht ganz so aus, als ob das Militär nun nachträglich Beweise | |
herbeischaffen will, um seine Vorwürfe zu rechtfertigen – ein Szenario, das | |
in autoritären Staaten üblich ist, wo Diktatoren politische Gegner | |
unterdrücken. | |
Viele bezweifeln, dass die sogenannte Untersuchung der Wählerlisten fair | |
und objektiv sein wird. Manche Experten vermuten gar, die Militärs werden | |
neue Anschuldigungen produzieren, um Aung San Suu Kyi und Win Myint vor | |
Gericht anklagen zu können. So wird Aung San Suu Kyi schon jetzt | |
vorgeworfen, [6][illegal Funkgeräte importiert] zu haben. Und Präsident Win | |
Myint verstieß angeblich gegen Coronaregeln. | |
General Min Aung Hlaing versprach inzwischen Wahlen nach einem einjährigen | |
Notstand und dass er selbstverständlich die Macht an die Siegerpartei | |
abtreten werde. Wenig überraschend können die angeblichen Straftaten von | |
Aung San Suu Kyi und Win Myint mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren | |
geahndet werden. | |
Das heißt: Sie werden von Richtern unter der Aufsicht von Min Aung Hlaing | |
verurteilt, da er die Gewaltenteilung aufgehoben hat. Dann dürfen die | |
beiden als Vorbestrafte bei den kommenden Wahlen nicht antreten. | |
Nicht minder beunruhigend sind die Razzien in NLD-Büros, bei denen | |
Polizisten interne Dokumente und Festplatten beschlagnahmten. Obwohl es | |
dafür noch etwas früh ist, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die NLD | |
ganz von den Wahlen ausgeschlossen werden soll. | |
Für die NLD wiederholen sich damit zwei Ereignisse aus dunkler | |
Vergangenheit: 1990 wurde ihr Wahlsieg vom Militär für null und nichtig | |
erklärt. Und bei der Wahl von 2010 musste sie ohne ihre Führung antreten, | |
die noch im Gefängnis oder im Hausarrest saß. | |
Die Militärs zeigen wieder einmal, dass jeder zivile Politiker, der oder | |
die in ein Amt gewählt wird, die Vormacht der Armee als angebliche Hüterin | |
der Verfassung von 2008 akzeptieren muss – einer Verfassung, die auf | |
undemokratische Weise entstanden ist. | |
Viele unserer Autor*innen, die derzeit über die aktuelle politische | |
Situation in Myanmar berichten, tun dies unter Einsatz ihrer Sicherheit. Um | |
sich vor Repressionen zu schützen, bleiben einige von ihnen anonym. | |
(Anmerkung der Redaktion). | |
19 Feb 2021 | |
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MB | |
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