# taz.de -- Militärputsch in Myanmar: Im Namen der Stabilität | |
> Mit Trommelschlägen protestieren die Leute in Myanmar gegen das Militär. | |
> Oppositionelle senden per Hashtag Hilferufe ans Ausland. | |
Bild: Krankenhauspersonal in Yangon legt aus Protest gegen den Militärputsch d… | |
Am 1. Februar nahm die Stabsstelle des obersten Militärkommandeurs in | |
Myanmar Stellung zum in der Nacht ausgerufenen einjährigen Notstand. In der | |
Mitteilung heißt es unter anderem, man werde „den ewigen Frieden im ganzen | |
Land wiederherstellen“. Wenn dieses Ziel erreicht sei, werde man „freie und | |
faire Wahlen“ abhalten und im Einklang mit demokratischen Prinzipien der | |
siegreichen Partei die Staatsmacht übergeben. General [1][Min Aung Hlaing] | |
hat seither die Befehlsgewalt inne. | |
Man habe im Einklang mit Artikel 417 der Verfassung gehandelt, demnach kann | |
jedoch nur der Präsident des Landes den Notstand ausrufen – dieser wurde | |
jedoch gemeinsam mit der Staatsrätin und Parteivorsitzenden der National | |
League for Democracy (NLD), Aung San Suu Kyi, noch in der Nacht verhaftet. | |
Währenddessen war das Internet zeitweise landesweit ausgeschaltet und auch | |
Telefonverbindungen funktionierten nicht mehr. Der internationale | |
Flugverkehr wurde eingestellt. | |
Gemeinsam mit dem Präsidenten und der Staatsrätin wurden weitere Hunderte | |
BürgerInnen verhaftet, die in der Nacht aus ihren Häusern geholt wurden. | |
Festgesetzten Staatsbediensteten sagte man unter der Bedingung eine | |
Freilassung zu, dass sie an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten und ab jetzt | |
unter dem Militär arbeiteten. | |
Die Reaktionen der Menschen im Land, die nach außen dringen, zeugen von | |
Enttäuschung und Trauer bis hin zu Wut und Sarkasmus – die promilitärischen | |
Demonstrationen und Autokorsos, die es auch gibt, scheinen stark | |
inszeniert. Viel zu verhalten reagieren die Asean-Partner Myanmars: Die | |
meisten Mitgliedstaaten des Bündnisses zogen es vor, die Situation in | |
Myanmar als „interne Angelegenheit“ zu betrachten. | |
## Inszenierte promilitärische Demonstrationen | |
China, dessen Staatspräsident erst im Januar in der Hauptstadt Naypyidaw | |
war, um zahlreiche bilaterale Verträge abzuschließen, verkündete, man habe | |
„bemerkt“, was in Myanmar geschieht, und appelliere an die Einhaltung | |
„politischer und sozialer Stabilität.“ Stabilität ist jedoch eine Vokabel, | |
die nicht unbedingt mit der Achtung demokratischer Prinzipien einhergehen | |
muss. Im Kontext von Myanmar ist sie vor allem durch die Militärregierungen | |
geprägt. | |
Noch bis 2010 waren im ganzen Land rote Propagandatafeln aufgestellt, auf | |
denen man „Das Begehren des Volkes“ in vier Parolen zusammenfasste. „Stel… | |
euch gegen jene, die die Stabilität des Staates und den Fortschritt der | |
Nation gefährden“, hieß es dort. Diese Rhetorik findet sich ebenfalls | |
wieder in Reden der bis zuletzt amtierenden Regierung Aung San Suu Kyis. | |
Im Dezember 2019 erklärte die [2][Staatschefin vor dem Internationalen | |
Gerichtshof (IGH) in Den Haag], bei dem Myanmar wegen des Genozids an den | |
staatenlosen Rohingya angeklagt worden war, die Aufarbeitung der Verfolgung | |
zur internen Staatsangelegenheit. Für die nationale Stabilität sei es | |
wichtig, betonte sie, jegliche Einmischung von außen zu unterlassen. | |
Im Namen von Stabilität können in Myanmar somit nicht nur Repressionen und | |
Staatsstreiche, sondern auch ein kürzlich erfolgter Genozid gerechtfertigt | |
werden. Dem Militär ist durchaus zuzutrauen, die momentane Lage eskalieren | |
zu lassen, um unter Berufung auf Stabilität wieder für „Recht und Ordnung“ | |
zu sorgen. Die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft, hier zu | |
vermitteln, sind begrenzt. Westliche Staaten haben in Myanmar grundsätzlich | |
weniger Einfluss als die asiatischen Nachbarstaaten. | |
Sie sollten ihre Rolle nicht überschätzen; so trafen frühere Sanktionen die | |
Zivilbevölkerung oft härter als die Machthaber. Europa kann jedoch wichtige | |
Signale senden, indem es die sich momentan formierende Widerstandsbewegung | |
stärkt. Studierende, religiöse Gemeinschaften, politische Verbände, aber | |
auch Krankenhäuser und andere staatliche Einrichtungen rufen zu zivilem | |
Ungehorsam auf. | |
Protestschreiben, die hauptsächlich auf Englisch verfassten Hashtags wie | |
[3][#rejectmilitary], #civildisobedience und [4][#saveMyanmar] können als | |
Hilferufe an das Ausland verstanden werden. Unter den Inhaftierten befinden | |
sich neben NLD-Politikern auch JournalistInnen, MenschenrechtsaktivistInnen | |
und ehemalige AnführerInnen der 1988er Studentenbewegung. | |
## Vorsicht vor Sanktionen | |
Sie alle haben in den letzten Jahrzehnten intensive Erfahrungen mit den | |
wechselnden Regierungen gesammelt und mussten stets besorgt sein, vom | |
Militär als Gefahr für die Einheit der Union sowie deren „nationale | |
Stabilität“ eingestuft zu werden. Es ist kein Zufall, dass ihre führenden | |
VertreterInnen nun festgesetzt wurden. | |
Über die sozialen Medien rufen BürgerInnen zum Mitmachen beim sogenannten | |
stay-at-home movement auf. Angesichts der nun doppelt verhängten | |
Ausgangssperre findet diese Form des Widerstands in der Sicherheit der | |
eigenen Wohnungen statt. [5][In den Abendstunden schlugen die Bewohner | |
Yangons, der größten Stadt im Land, zum Beispiel für eine Viertelstunde auf | |
Kochgeschirr], nachdem Mönche auf den Straßen Verse aus der | |
Theravāda-Tradition des Buddhismus rezitiert hatten. | |
Beides diene der „Austreibung des bösen Geistes des Militärs,“ wie eine | |
Hochschullehrerin es formulierte, deren ältester Bruder 1988 auf einer | |
Demonstration vom Militär erschossen wurde: „Wir können jetzt nicht still | |
sein. Wir sind Opfer dieser Militärregierung.“ Bekannte Mitglieder der | |
1988er Studentenbewegung, unter ihnen der knapp sechzigjährige Min Ko | |
Naing, der bis 2012 als politischer Gefangener inhaftiert war, koordinieren | |
sich zurzeit mit Studierenden, die an den Universitäten des Landes | |
eingeschrieben sind. | |
Trotz ihrer unterschiedlichen Biografien verbindet diese unerschrockenen | |
Generationen, dass sie in den letzten zehn Jahren in einem zunehmend | |
offenen Land gelebt haben. Sie sind bereit, dafür zu kämpfen, dass die | |
erreichten Meilensteine bei der Verbesserung ihrer Rechte nicht im Namen | |
von Stabilität geopfert werden. | |
4 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Aung-San-Suu-Kyi-festgesetzt/!5748331 | |
[2] /Voelkermordvorwurf-gegen-Myanmar/!5649369 | |
[3] https://www.tiktok.com/amp/tag/rejectmilitary | |
[4] https://twitter.com/hashtag/savemyanmar | |
[5] /Reaktion-auf-den-Putsch-in-Myanmar/!5744978 | |
## AUTOREN | |
judith beyer | |
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