# taz.de -- Inge Borg über das Impfen: „Ein supersinnvoller Job“ | |
> Die Moderatorin des „Kiezbingos“ arbeitet derzeit als Helferin im | |
> Impfzentrum. Inge Borg betreut die alten Menschen, die sich dort impfen | |
> lassen. | |
Bild: Die Impfkabinen im Impfzentrum in der Arena (ein Bild aus Anfangstagen im… | |
taz: Frau Borg, Sie sind bekannt als Moderatorin des [1][legendären | |
Kiezbingos] im [2][SO36] und anderer Veranstaltungen der queeren Szene. Wie | |
kamen Sie zu Ihrem Job im [3][Impfzentrum in der Treptow Arena]? | |
Inge Borg: Über einen Freund, der dort schon Anfang Dezember zu arbeiten | |
begonnen hat. Ein Sänger in einem Opernchor, der sich dort beworben hatte | |
und superglücklich darüber war, nicht mehr zu Hause herumsitzen zu müssen | |
und nicht zu wissen, wann der nächste Auftritt ist. | |
Wie bei Ihnen!? | |
Genau wie bei mir. Und er meinte, du, bewirb dich da einfach, die suchen | |
händeringend Leute. Ich hab mich beworben, und zwei Tage später kam ein | |
Anruf. Das ging praktisch ohne Vorstellungsgespräch. Ich bekam eine E-Mail, | |
in der alles erklärt wurde, ich musste einen kleinen Onlinekurs mitmachen, | |
der zwei Stunden gedauert hat, man musste sich Videos ansehen, die man | |
nicht vorspulen konnte – und am Ende einen Fragenkatalog beantworten. Und | |
dann konnte ich anfangen zu arbeiten. | |
Das klingt einerseits so, als ob die Arbeit total leicht wäre. Andererseits | |
stelle ich mir Ihren Job total schwer vor. Was müssen Sie denn alles | |
machen? | |
Es ist kein einfacher Job, sagen wir mal so, aber es ist ein | |
supersinnvoller Job. Das heißt, dass man umso bemühter ist, den auch | |
richtig gut zu machen! Ich bin zum Beispiel für die Anmeldung zuständig. | |
Die älteren Leute kommen zu mir, sitzen vor der Kabine, zeigen mit ihre | |
Unterlagen, die sie zugeschickt bekommen haben, ich kontrolliere, ob der | |
Termin im Computer vorgemerkt ist, stelle die Unterlagen noch ein bisschen | |
besser zusammen, fülle noch ein, zwei Sachen aus und schicke die dann | |
weiter. Das ist einer meiner Jobs. | |
Und die zweite Aufgabe? | |
Ich stehe in den Gängen. Es handelt sich ja um eine riesengroße Halle, es | |
gibt viel Wege, und man steht an strategisch günstigen Punkten und leitet | |
die Leute weiter, man sagt einfach „bitte hier lang“ und „da entlang“. … | |
der dritte Job, den ich da mache, ist, in der Impfhalle die Patienten zu | |
empfangen. Die kommen durch den Videoraum, wo sie noch mal einen kleinen | |
Aufklärungsfilm sehen. Ich bringe die Leute in die Impfkabine, und während | |
sie von einem Arzt die Impfung bekommen, dokumentiere ich noch mal alles, | |
was da an Papieren dabei ist mit einem Tablet, damit auch klar ist, welche | |
Person an welchem Tag womit geimpft wurde. In der Arena wird der Impfstoff | |
von Biontech verabreicht. | |
Haben Sie den Eindruck, dass das Prozedere im Impfzentrum in der Arena gut | |
funktioniert? | |
Das funktioniert schon alles. Natürlich ist es sehr bürokratisch. | |
Deutschland liebt seine Bürokratie einfach über alles. Das Ding aber ist | |
ja: Es ist etwas ganz Neues. So eine Impfung gab es vorher nicht. Schon gar | |
nicht in diesem Ausmaß. Ich kann nicht beurteilen, ob die Abläufe alle | |
sinnvoll sind, aber ich finde das mitunter ein bisschen zu viel an | |
Bürokratie. Aber im Endeffekt geht es ziemlich schnell, es sind hier sehr | |
viele Leute angestellt, damit es reibungslos funktioniert. | |
Sind Sie in Vollzeit angestellt? | |
Ich war zuletzt am Sonntag arbeiten und gehe ab Dienstag wieder. Ich habe | |
eine Vollzeitstelle. Das bedeutet eine 40-Stunden-Woche, die man an vier | |
Tagen zu erbringen hat, denn eigentlich ist geplant, dass das Impfzentrum | |
von morgens 9 Uhr bis abends 19 Uhr aufhat. Wir treffen uns schon um 8.30 | |
Uhr zur Teambesprechung, auf der alles eingeteilt wird. | |
Mit wie vielen Menschen haben Sie Kontakt? Wie läuft es gerade? Es wird | |
doch jeden Tag geimpft? | |
Genau, jeden Tag, auch am Wochenende. Zurzeit sind wir bei ungefähr 1.700 | |
Menschen pro Tag. | |
Ach, doch so viele! Anfangs lief es ja [4][eher schleppend mit dem Impfen], | |
weil es an Impfstoff fehlte. | |
Als ich anfing am 7. Januar, waren es nur rund 800 Impfungen pro Tag, und | |
es wurden seitdem praktisch jeden Tag mehr. Das Impfzentrum ist ja mal | |
gerade einen Monat offen, man hatte am Anfang gar nicht so viel Leute | |
eingestellt. Zuerst war die Bundeswehr da und hat alles mit aufgebaut und | |
sich um alles gekümmert – und zwar um den Job, den ich jetzt mache. Ich hab | |
das praktisch alles von den Bundeswehrsoldaten gelernt. Jetzt gibt es so | |
viele Mitarbeiter, dass es pro Tag mit 1.700 Leuten klappt. Aber eigentlich | |
ist geplant, dass hier täglich bis zu 5.000 Menschen geimpft werden sollen. | |
5.000 Impfungen pro Tag klingt nach viel. | |
Eine krasse Zahl, ja, aber das würde auch bedeuten, dass da alles wie am | |
Schnürchen klappt. Platz ist da. Ich bin gespannt. | |
Weil Sie ja ständig mit gefährdeten Menschen zu tun haben: Sind Sie | |
eigentlich selbst schon geimpft? | |
Ich habe meine Erstimpfung schon bekommen. Schon am Schulungstag wurde | |
gefragt, ob wir geimpft werden wollen – das ist natürlich freiwillig wie | |
bei allen anderen auch. Und ich habe natürlich Ja gesagt. Und oft ist es | |
abends so, dass noch Impfstoff übrig ist, also schon auf Spritzen gezogener | |
Impfstoff, und wenn Leute entschuldigt oder nicht entschuldigt nicht | |
kommen, gibt es noch eine kleine Menge an Impfstoff, da wird dann | |
durchgefragt durch die Reihen, wer noch möchte. Freitag vorletzter Woche | |
wurde ich gefragt. Ich hatte die nächsten zwei Tage frei, also falls da | |
irgendwas gewesen wäre, hätte ich mich erholen können. War aber nicht, war | |
alles super. Und in einer Woche dann die zweite Impfung. | |
Glückwunsch, das freut Sie sicher. In Ihrem Alter wären Sie ja | |
normalerweise noch lange nicht dran. | |
Ja, das ist super. Das ging so schnell und unbürokratisch, auch wenn wir | |
alles ausfüllen mussten, was die anderen auch machen, aber einfach abends | |
fragen, und du kriegst die Impfung – super. | |
Erfreulich ist doch sicherlich auch der Job an sich, das Kiezbingo zum | |
Beispiel kann ja derzeit nicht stattfinden. | |
Mein Hauptjob in einem Cafékollektiv im [5][Café Morgenrot] – das ist in | |
der Kastanienallee in Prenzlauer Berg – lag vier Monate brach wegen der | |
Schließung. Gerade in den letzten Dezemberwochen hatte ich wenig Hoffnung | |
fürs Café, und ich weiß nicht, ob das Café noch so lange durchhält, denn, | |
sagen wir mal so: Selbst wenn der Lockdown bis Mitte oder Ende Februar | |
geht, heißt das ja noch lange nicht, dass Cafés dann gleich wieder öffnen | |
dürfen. Ich könnte mir vorstellen, dass es April wird oder sogar Anfang | |
Mai. Und immer wieder die Energie aufzubringen, so nach dem Motto „He, wir | |
halten durch!“, dazu hatte ich gar keine Kraft mehr. Ich bin sehr froh, | |
dass mir dieser Job dazwischengekommen ist, weil ich wirklich langsam in so | |
eine schwere Depression hineingerutscht bin. | |
Da hilft so eine sinnstiftende Arbeit doch sicher sehr, oder? | |
Total. Nicht nur wegen des Geldes. Vor allem eben deshalb, weil er so | |
sinnvoll ist. Das merkt man schon nach ein, zwei Tagen, wenn man da | |
arbeitet und mit so vielen Menschen in Kontakt kommt, mit den älteren | |
Mitmenschen aus Berlin. Die älteste Dame, mit der ich zu tun hatte, war 103 | |
Jahre alt. | |
Ein besonderes Erlebnis. | |
Ja, man glaubt gar nicht, wie viele sehr alte Menschen es in Berlin gibt, | |
und die sind ja alle supercharmant, die wollen das alle haben, die kommen | |
ja freiwillig, das macht total Spaß. Das hat mich ein bisschen in die Zeit | |
zurückversetzt, als ich Zivildienst gemacht habe, weil ich da auch viel mit | |
Menschen, gerade in Pflegebereichen zu tun hatte, das ist eine schöne | |
Erfahrung, dass wieder aufleben zu lassen. | |
Das klingt herzerwärmend. Können Sie sich vorstellen, diese Arbeit länger | |
zu machen? | |
Ich würde den Job gerne so lange machen, wie es geht. Ich hab ja keine | |
Ahnung, wie lange das alles dauert, wann Cafés und Clubs wieder öffnen, das | |
Kiezbingo findet ja im SO36 statt … Die Arbeitsverträge, die es jetzt | |
gerade gibt, gehen wohl nur bis Ende April, warum auch immer. Aber wenn man | |
das aufrechnet, wie viele Einwohner Berlin hat und wie langsam gerade | |
geimpft wird, dauert das mindestens bis Endes des Jahres. Ich würde gerne | |
so lange hier arbeiten. | |
28 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://de-de.facebook.com/KIEZBINGO-278001927872/timeline/ | |
[2] https://so36.com/events/ | |
[3] https://www.arena.berlin/veranstaltung/corona-impfzentrum/ | |
[4] /Corona-Impfungen-in-Berlin/!5741744 | |
[5] http://morgenrot.blogsport.eu/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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