| # taz.de -- Petition für gleiche Gehälter: „Ich mache doch nur den Piks“ | |
| > Marie Kerkloh arbeitet als Ärztin in einem Impfzentrum und verdient dabei | |
| > sehr viel mehr als Kolleg*innen. Das findet sie unfair. | |
| Bild: Auf dem Weg ins Impfzentrum: Dort arbeiten nicht nur Ärzt*innen | |
| taz: Frau Kerkloh, Sie haben als Impfärztin eine Petition dafür gestartet, | |
| dass Ihr Gehalt gesenkt wird und dafür andere Gehälter steigen. Warum? | |
| Marie Kerkloh: Ich verdiene als Ärztin im Berliner Impfzentrum 120 Euro die | |
| Stunde brutto. Ein*e medizinisch technische*r Assistent*in dagegen | |
| verdient 60 Euro die Stunde und ein*e pharmazeutisch technische*r | |
| Assistent*in 40 Euro. Noch viel weniger verdienen zum Beispiel die | |
| Reinigungskräfte oder die Menschen in der Registrierung – die sind teils | |
| auf 450-Euro-Basis eingestellt. | |
| Und das finden Sie ungerecht? | |
| Mein Ziel ist, dass alle, die im Impfzentrum arbeiten, das gleiche Gehalt | |
| bekommen. Wir Mitarbeitenden wollen alle was Gutes tun; wir arbeiten alle | |
| für den gleichen Zweck und dieser Gemeinschaftsgedanke geht durch die | |
| Spaltung in der Entlohnung total verloren. | |
| Wie sehen das die anderen Mitarbeiter*innen? | |
| Als ich mit einer Angestellten im Impfzentrum über die Lohnunterschiede | |
| sprechen wollte, sagte sie: „Ich kann mich nicht beschweren, denn ich | |
| kriege ja mehr als Mindestlohn und außerdem will ich meinen Job nicht | |
| verlieren.“ Da ist mir klar geworden, dass ich als Ärztin viel eher in der | |
| Position bin, den Mund aufzumachen, und fand es wichtig, dieses Privileg | |
| auch zu nutzen. | |
| In diesem Fall mit dem Start der Petition. | |
| Ich bin in keiner Partei und bisher auch kein Gewerkschaftsmitglied; | |
| politische Fragen beschäftigen mich erst seit Kurzem mehr und da dachte | |
| ich: Was habe ich denn für Mittel, um was zu ändern? So kam mir die | |
| Petition in den Sinn. | |
| Wie kommt es denn zu den großen Gehaltsunterschieden in den Impfzentren? | |
| Die Gehälter der Ärzt*innen hat die kassenärztliche Vereinigung mit der | |
| Landesregierung ausgehandelt. Da wurde dann argumentiert, dass die | |
| Ärzt*innen viel Geld verdienen müssen, weil sie für die Arbeit im | |
| Impfzentrum ihre Praxis schließen müssen. Man wollte wohl sicherstellen, | |
| dass es genug Personal gibt, aber eigentlich gab es immer genug | |
| interessierte Ärzt*innen, auch schon bevor öffentlich wurde, welches Gehalt | |
| wir bekommen. | |
| Und die [1][anderen Angestellten] im Impfzentrum? | |
| Die werden durch andere Dienstleistungsunternehmen wie zum Beispiel das | |
| Deutsche Rote Kreuz nach anderen Tarifen entlohnt und deren Gehalt ist dann | |
| deutlich niedriger. | |
| Ärzt*innen sollen auch deswegen besser bezahlt werden, weil sie mehr | |
| Verantwortung tragen und eine lange Berufsausbildung mit Studium | |
| vorzuweisen haben. Finden Sie das nicht gerechtfertigt? | |
| Ich sehe diese beiden Argumente nicht. Im Impfzentrum tragen alle Leute die | |
| Verantwortung, dass die Impfung möglich ist. Ob es nun die Menschen beim | |
| Empfang sind oder in der Einweisung. Ich mache nur das Aufklärungsgespräch | |
| und setze den „Piks“. Und zur Ausbildung: Allein, dass ich Medizin | |
| studieren konnte, war ein Privileg. Die Chance hat nicht jede*r. Durch das | |
| abgeschlossene Studium habe ich jetzt außerdem beste Berufschancen. In so | |
| einem Rahmen zu sagen, dass ich wegen meiner Ausbildung höher entlohnt | |
| werde als die Leute, die ihren Job in der Gastronomie verloren haben und | |
| jetzt auf 450-Euro-Basis im Impfzentrum arbeiten, das ist doch verkehrt. | |
| Was bedeutet es fürs Betriebsklima, wenn Menschen so unterschiedlich | |
| bezahlt werden? | |
| Ich fühle mich unwohl, weil ich weiß, ich kriege zu viel Geld. Ich mache | |
| den gleichen Job wie die anderen, was den Stresspegel angeht. Wenn ich | |
| dann in der Pause rausgehe und da hocken alle anderen, fühl ich mich schon | |
| ein bisschen separiert. Es sind zwar alle super freundlich zu mir, aber | |
| gleichzeitig fühlt es sich auch so an, als ob alle vor einem so ein | |
| bisschen kuschen, weil man ja die Ärztin ist; so ähnlich kenne ich das auch | |
| aus dem Krankenhaus. Wir grüßen uns, aber ansonsten ist es schwierig, mehr | |
| Kontakt aufzubauen. Das liegt auch daran, dass es einen riesigen Pool von | |
| Mitarbeiter*innen gibt, sodass eigentlich immer andere Kolleg*innen | |
| vor Ort sind. | |
| Das Gehalt ist kein Thema? | |
| Es ist ja allgemein so eine Art Tabu, über das Gehalt zu sprechen. Das ist | |
| vielen unangenehm. Dass man nicht drüber redet, sorgt dann auch mit dafür, | |
| dass so ein ungerechtes System aufrechterhalten wird. | |
| Haben Sie mit dem Start der Petition Reaktionen von anderen Ärzt*innen | |
| erhalten? | |
| Ja, ich habe einigen Kolleg*innen davon erzählt. Eine Bekannte sagte | |
| mir, dass sie es „eh von Anfang an ungerecht fand“ und auch sonst habe ich | |
| ausdrücklich Zustimmung von Ärzt*innen-Kolleg*innen erhalten und auch viele | |
| Ärzt*innen haben die Petition unterschrieben. | |
| Wie läuft es denn bisher mit der Petition? Ist sie gut gestartet? | |
| Ja. Mehr als 20.000 Menschen haben schon unterschrieben, damit hätte ich | |
| niemals gerechnet. Ich dachte, ich teile das mit ein paar Freund*innen | |
| und schreibe ein paar E-Mails und das war’s – ich habe noch nicht mal einen | |
| Account in den sozialen Medien, mit dem ich die Petition publik machen | |
| könnte. | |
| Was erhoffen Sie sich von der Petition? | |
| Am Anfang habe ich gehofft, dass sich mit der Petition tatsächlich die | |
| Gehälter ändern könnten. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto | |
| unrealistischer scheint mir das. Aber trotzdem finde ich die Aktion | |
| wichtig, um Awareness zu schaffen und Aufmerksamkeit auf das Problem zu | |
| lenken. | |
| 7 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Grieger | |
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