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# taz.de -- Probleme bei Impfstofflieferungen in EU: Vielleicht doch was Russis…
> Die WHO wirft der EU Gesundheitsnationalismus vor. Brüssel flirtet mit
> Russland und China – und hält Verträge mit Herstellern weiter geheim.
Bild: Fläschchen mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer
Im Streit über die schleppende Versorgung mit Impfstoffen hat sich die
Europäische Union mit der Weltgesundheitsorganisation WHO angelegt.
Gleichzeitig geht die EU auf Russland und China zu, in der Hoffnung, im
Notfall auch dort Vakzine beschaffen zu können. Derweil hält das Gezerre um
die Verträge mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astrazeneca und
anderen Herstellern an.
Astrazeneca hatte angekündigt, deutlich weniger Impfstoffe zu liefern als
vereinbart. Daraufhin setzte die EU-Kommission am Wochenende einen neuen
„Transparenzmechanismus“ in Kraft, mit dem sie Impfstoff-Exporte
kontrollieren und notfalls auch blockieren will. Dahinter steht die Sorge,
dass Astrazeneca Impfstoff aus Fabriken in der EU nach Großbritannien
„umleiten“ könne.
Dies soll die Exportbremse verhindern. Doch noch bevor sie überhaupt
Wirkung zeigt, gibt es schon neuen Streit. Die WHO kritisierte die Maßnahme
der EU scharf und warnte vor europäischem „Gesundheitsnationalismus“. Die
Verhängung von Ausfuhrbeschränkungen sei ein „besorgniserregender Trend“,
sagte Mariangela Simao, der bei der WHO für Medikamente und Impfstoffe
zuständig ist.
Die Impfstoffe müssten weltweit fair verteilt werden, verlangte WHO-Chef
Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Impfstoffnationalismus dient vielleicht
kurzfristigen politischen Zielen. Aber das ist kurzsichtig und geht nach
hinten los.“ Die Pandemie müsse überall gleichzeitig bekämpft werden. „W…
ein Dorf in Brand steht, macht es keinen Sinn, dass eine kleine Gruppe alle
Feuerlöscher hortet, um die eigenen Häuser zu schützen.“
Auf Nachfrage der taz erklärte der Chefsprecher von Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen, die EU stehe weiter uneingeschränkt zur WHO und ihren
Zielen. Die Kritik aus Genf habe man „zur Kenntnis“ genommen, so der
Sprecher weiter. Es gehe bei der umstrittenen Exportbremse nicht um
Verbote, sondern um eine „transparente und ausgewogene“ Versorgung mit
Impfstoffen.
## Gefährlicher Präzedenzfall
Kritiker sprechen dagegen von einem gefährlichen Präzedenzfall, der eine
neue Welle des Protektionismus auslösen könne. „Exportbeschränkungen könn…
politische und wirtschaftliche Folgen haben“, warnt der Chef des
Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange. Die Maßnahme könne
„nach hinten losgehen, wenn andere Länder sie ebenfalls einführen“. Bisher
hat die EU stets freien Handel gepredigt und Ausfuhrbeschränkungen
verurteilt. Doch angesichts der Coronakrise scheint sie diese
marktliberalen Prinzipien zu vergessen.
Eine Kehrtwende zeichnet sich auch im Umgang mit Russland und China ab. Die
dort entwickelten Corona-Impfstoffe waren der EU bisher nicht der Rede
wert. Doch am Montag räumte die Kommission ein, dass es Gespräche mit dem
russischen Hersteller gebe. Auch die Bundesregierung zeigt sich offen für
die Einfuhr von Vakzinen aus Russland. Allerdings müsse zuvor eine
Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde vorliegen, heißt es in
Berlin.
Ein Grund für die Verzögerung scheint auch zu sein, dass die EU bei ihren
Verträgen mit den Herstellern später verhandelt hat – dann allerdings auch
gründlicher. So haben die USA Pharmakonzernen per Verordnung [1][Immunität
garantiert], sollte einer der Impfstoffe gegen Covid-19 Nebenwirkungen
haben, die zu Klagen führen. Demnach ist es schlicht nicht möglich,
Moderna, Biontech oder Pfizer, Astrazeneca oder andere Konzerne in den USA
zu verklagen, sollte es zu Impfschäden kommen. Es sei denn, sie würden ihre
eigenen Vakzine willentlich sabotieren.
In der EU sind nun zwei Verträge öffentlich, der mit dem Tübinger
Hersteller CureVac und der mit dem britisch-schwedischen Hersteller
Astrazeneca. Auch diese enthalten großzügige Klauseln, nach denen
EU-Mitgliedstaaten die Kosten übernehmen, sollten die Konzerne oder ihre
Zulieferer aufgrund von Impfschäden verklagt werden. Allerdings ist ihr
Schutz deutlich schwächer als in den USA: Es handelt sich um einen Vertrag,
keine Verordnung. Klagen gegen Konzerne sind möglich, sonst hätten
nationale Gesetze geändert werden müssen. Und die Kostenübernahmen
enthalten Ausnahmen. Doch ausgerechnet diese sind in den Verträgen
geschwärzt. Wofür genau die Konzerne im Zweifel zahlen müssten: weiter
unbekannt. Aus Berlin und Brüssel heißt es, die Verträge mit den anderen
Herstellern enthielten weniger großzügige Garantien gegen
Schadensansprüche. Überprüfen lässt sich das nicht: Das EU-Parlament hat
Ende Januar zum wiederholten Mal gefordert, endlich unzensierten Einblick
in die Verträge zu bekommen.
1 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.govinfo.gov/content/pkg/FR-2020-03-17/pdf/2020-05484.pdf
## AUTOREN
Ingo Arzt
Eric Bonse
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