| # taz.de -- Museumsprojekt zur Provenienzforschung: „Nadeln im Heuhaufen“ | |
| > Das Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven durchforstet seinen Bestand nach | |
| > Objekten aus der Kolonialzeit. Dieses Projekt wird 20 bis 30 Jahre | |
| > dauern. | |
| Bild: Postkarte von 1905. Am unteren Rand steht: „Unsere Marine: Mein zartes … | |
| Bremerhaven taz | Ab wann ist etwas kolonialistisches Raubgut? Gehören die | |
| Seidenstickbilder aus China und Japan schon dazu? Die kleinen Kunstwerke | |
| lagern heute im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Europäische | |
| Seeleute ließen sie sich im 19. Jahrhundert anfertigen und brachten sie mit | |
| nach Hause. Ein Souvenir, legal erworben – aber zu welchem Kaufpreis und | |
| welchen Herstellungsbedingungen? | |
| Das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) denkt gerade bei vielen seiner | |
| 200.000 Objekte noch einmal neu über Recht und Unrecht nach und stellt sich | |
| seiner kolonialen Vergangenheit. Seit 2017 schon überprüft das Museum seine | |
| Sammlung auf Kulturgüter, die im Zuge der NS-Verfolgungen geraubt wurden. | |
| In dem neuen Forschungsprojekt soll der Fokus nun auf Raubgütern aus der | |
| Zeit des Deutschen Kaiserreichs liegen. | |
| Schiffe waren Ende des 19. Jahrhunderts für die Beförderung von Waren | |
| unverzichtbar – und wurden so zum Instrument für den Transport von Raubgut | |
| nach Europa. „Wir wollen nicht mehr die wissenschaftlich fragwürdige | |
| Unterscheidung zwischen Marinegeschichte und anderer Schifffahrt machen, | |
| sondern eine große Geschichte über Kaiserreich, Schifffahrt und | |
| Kolonialisierung erzählen“, sagt die Historikerin Ruth Schilling. Seit | |
| Herbst 2014 ist sie wissenschaftliche Leiterin für den Programmbereich | |
| Schifffahrt und Gesellschaft. | |
| Die Gelder sind bewilligt, im April geht es los. Dann heißt es, Objekte | |
| sichten, identifizieren und einordnen. „Die Suche nach der Nadel im | |
| Heuhaufen“, sagt Schilling. Mit über 200.000 Objekten gehört das | |
| Schifffahrtsmuseum zu den größten maritimen Museen Europas. Und allein die | |
| Sammlung an Kolonialobjekten sei so groß, dass die nächsten 20 bis 30 Jahre | |
| Objektforschung gesichert seien. | |
| An erster Stelle steht die Identifizierung des Objekts. Nicht alle Formen | |
| der Aneignung können direkt als Raub identifiziert werden: Objekte wie die | |
| Seidensticktücher tauchen deshalb, so Schilling, im Kolonialismusdiskurs | |
| oft gar nicht auf. Nur Museum und Beraubte gegenüberzustellen, sei zu | |
| simpel. „Die Kette ist sehr viel länger“, betont sie. Der Auftrag sei | |
| daher, das Bewusstsein für wirtschaftliche und politische Zusammenhänge, | |
| aus denen Kolonialgeschichte erst entstehen konnte, zu stärken. Eine | |
| Mammutaufgabe. | |
| Was aber passiert mit Objekten, die klar als Raubgut identifiziert werden | |
| können? „Wenn man den Ursprung genau nachvollziehen kann, sollte man sie | |
| zurückgeben“, sagt Schilling. Es sei mitunter aber gar nicht so leicht, ein | |
| Gegenüber nicht immer zu finden. Sie ergänzt: „Und so weit sind wir ja | |
| leider noch gar nicht.“ | |
| Oft sei auch der Ursprung eines Objektes letztendlich nicht nachverfolgbar. | |
| Dann müsse man genau diese Leerstellen thematisieren – und offenlegen, dass | |
| man Objekte besitze, deren Kontext man nicht klären könne. | |
| Das Hauptforschungsteam in Bremerhaven ist homogen, besteht größtenteils | |
| aus Historiker:innen. Ruth Schilling ist das bewusst. „Wir versuchen, das | |
| Team durch Gastwissenschaftler diverser zu machen.“ Immer wieder ziehen sie | |
| außerdem Expert:innen aus den Herkunftsländern von Objekten hinzu. | |
| Dieses Jahr zum Beispiel die in Australien lebende Künstlerin Lisa Hilli, | |
| die aus Papua Neuguinea stammende Objekte kommentieren wird. | |
| Mit solchen bilateralen Ausstellungskonzepten und dem Aufzeigen | |
| verschiedener Perspektiven will sich das Museum neu ausrichten. „Ich | |
| wünsche mir eine wirkliche Vernetzung und keine Alibiprojekte“, sagt Ruth | |
| Schilling. „Eine gemeinsame Homepage reicht nicht.“ | |
| Das Projekt untersucht nicht nur die Herkunft von Einzelobjekten, auf dem | |
| Prüfstand steht mehr: Museen entstammen einer europäischen Tradition. | |
| Dieses System des Ausstellens findet man nicht überall auf der Welt. „Das | |
| Museum als Institution ist in bestimmten historischen Konstellationen | |
| entstanden und hat die nationale oder sogar imperiale Vergemeinschaftung | |
| vorangetrieben“, erklärt die Geschichtswissenschaftlerin. Eine Frage, die | |
| Schilling daher beschäftigt, ist, wie man die Institution selbst | |
| weiterentwickeln kann. „Man muss das Museum ins 21. Jahrhundert retten als | |
| Plattform für politische Kultur.“ Und dazu gehöre eben die kritische | |
| Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit. | |
| Das Schifffahrtsmuseum wird in seinem Forschungsprojekt vom Deutschen | |
| Zentrum für Kulturgutverluste gefördert. Insgesamt konnte die Stiftung von | |
| Bund und Ländern 2020 rund 1,76 Millionen Euro im Förderbereich „Koloniale | |
| Kontexte“ an verschiedene Museen in Deutschland ausschütten. Schilling | |
| würde sich mehr wünschen: „Es gibt aggressive Forderungen an Museen, sich | |
| mit der Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen“, sagt sie, „aber oft können | |
| die das finanziell gar nicht.“ | |
| 1 Feb 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Fischer | |
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