| # taz.de -- Bundesverdienstkreuz für Richard Weize: Popmusik-Archäologe wird … | |
| > Richard Weize hat einige populärkulturelle Erbschaften vor dem Vergessen | |
| > gerettet. Dafür bekommt er jetzt den Verdienstsorden der Bundesrepublik. | |
| Bild: Ob Richard Weize sich wohl hätte träumen lassen, dass er mal ein Bundes… | |
| Berlin taz | Hätte man ihn, den 1945 in Bad Gandersheim geborenen Spross | |
| einer Buchbinder- und Schreibwarenhandlungsfamilie, so in den siebziger | |
| Jahren gefragt, ob er sich mal über ein an ihn verliehenes | |
| Bundesverdienstkreuz freuen würde, hätte er vermutlich aus prinzipiellen | |
| Gründen des [1][Hippieseins] sehr verrätselt geguckt und obendrein mit | |
| einem mittelcholerischen Spruch geantwortet: „Was soll ’n der Sch…? Und | |
| wofür denn?“ Rasch der bremischen Alternativszene entwachsen, wurden die | |
| Gründe für eine bundespräsidentielle Belobung bald ganz offenbar, und zwar | |
| aus kulturgeschichtlichen Erwägungen. | |
| Richard Weize, gelernter Dekorateur, Eisengießer und Weinverkäufer, | |
| gründete in den frühen Siebzigern mit einem Freund die am Rande des | |
| Teufelsmoors gelegene Firma Bear Family Records. Außerdem einen | |
| Schallplattenversandhandel, ähnlich wie das inzwischen fast eingegangene | |
| Unternehmen Zweitausendeins, nur dass hinter Bear Family Records mehr | |
| wachsen sollte. Weize erschuf dank seiner vorzüglichen Kontakte zu | |
| Plattenstudios und -kellern in Memphis, London, New York und Berlin eine | |
| Art archäologisches Institut der [2][modernen Unterhaltungsmusik], also des | |
| Pop. | |
| Es ist ja in Archiven für klassische Musik noch der letzte Räusperanfall | |
| etwa von Herbert von Karajan gesammelt, aufbewahrt und wissenschaftlich | |
| rezipiert. Anders beim teils übereilig produzierten Rock ’n’ Roll, Soul, | |
| Blues, Hillbilly, Country, Pop, Kabarett der Weimarer Jahre oder den | |
| Nachkriegsschlagern – da gibt es nur Richard Weize. | |
| Er hat jede Menge Multi-CD-Boxes (Carl Perkins, Bill Haley, Kurt Weill, | |
| Lotte Lenya, Friedrich Hollaender, Caterina Valente, Inge Brandenburg, | |
| Merle Haggard, Petula Clark u. v. a. m.) mit einem editorisch-forschenden | |
| Aufwand publiziert, als hätte er sich am Deutschen Literaturarchiv in | |
| Marbach orientiert: Noch die allerletzte vergessene Monoprobeeinspielung | |
| war philologisch interessant – und verdiente Wiederveröffentlichung, und | |
| zwar in der jeweils nur allerbesten Reproduktionsqualität ihrer Zeit. | |
| Er rettete, was sonst vergessen worden wäre | |
| Weize hat insofern einen Fundus an – vor allem dies – Material ediert, das | |
| ansonsten dem allgemeinen Desinteresse an politisch-historischer | |
| Kontextualisierung anheimgefallen wäre. Das allein ist Verdienst genug. | |
| Dass er auch geehrt wird für jahrzehntelage pütscherigste, pingeligst | |
| genaue Arbeit an den Erbschaften der populärkulturellen Moderne (sie | |
| spiegeln ja die politische Gesamtlage so vorzüglich, wie kein klassisches | |
| ausgewiesenes Material es nur könnte), freut ihn selbst mehr. | |
| Die digitalen Zeiten macht er noch mit, aber so wie einst das archäologisch | |
| Geborgene zu einer Edition zu bündeln, das lässt sich kaum spotifyisieren: | |
| Es braucht die Anmutung von CD-Boxen, die außerdem immer noch sehr schön | |
| aussehen. | |
| Der Orden wird im privaten Rahmen überreicht – coronabedingt. Dem | |
| vielfachen Vater und mehrfach Verheirateten, dem Mann in Latzhose, dem | |
| ewigen Hippie aus dem Bremischen, dem sagt man damit nur: Verdient ist | |
| verdient. | |
| 1 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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