| # taz.de -- Rechtsextreme Bücher im Onlinehandel: „Bibel der rassistischen R… | |
| > Lesestoff mit Genozidfantasien und Verbindungen zu echten Nazi-Morden. | |
| > Große deutsche Buchhändler boten über das Internet ein indiziertes Buch | |
| > an. | |
| Bild: Der Büchertisch war einmal, heute wird rund ein Viertel aller Bücher on… | |
| Berlin taz | Eine Gruppe selbsternannter Patrioten attackiert das Kapitol | |
| in Washington, D. C. im Kampf gegen ein vermeintlich verschwörerisches | |
| „System“, das sie unter Kontrolle einer sogenannten Elite wähnen. | |
| Dieses Ereignis schildert der Roman „The Turner Diaries“, den der Autor | |
| William L. Pierce unter dem Pseudonym Andrew Macdonald schrieb. Das Buch | |
| wurde 1978 veröffentlicht und vom FBI einst als „Bibel der rassistischen | |
| Rechten“ bezeichnet. Es beschreibt einen Genozid an den BIPoC (Black, | |
| Indigenous, People of Color) und wird mit über 200 [1][rassistischen Morden | |
| weltweit] in Verbindung gebracht. Die Täter des Amoklaufs auf Utøya, der | |
| Morde in Christchurch, der NSU-Morde und der [2][Ausschreitungen im | |
| Kapitol] bezogen sich auf das Buch. | |
| Trotzdem boten die größten deutschen Onlineversandhändler die „Turner | |
| Diaries“ zum Verkauf an. Ein anderes Buch desselben Autors sowie unzählige | |
| weitere rassistische, antisemitische, geschichtsrevisionistische und | |
| holocaustleugnende Bücher sind ebenfalls dort zu finden. Wie gelangen diese | |
| Bücher auf die Verkaufsplattformen? Warum tun die Buchhandlungen nichts | |
| dagegen? Und wie gefährlich ist das? | |
| Der Büchertisch war einmal, heute wird rund ein Viertel aller Bücher online | |
| bestellt, etwa über die Onlineshops von Osiander, Amazon, Hugendubel und | |
| Thalia. Doch im Gegensatz zur Buchhandlung bieten Onlineplattformen nicht | |
| nur ausgewählte Literatur an. | |
| Auch Bücher mit menschenverachtenden Inhalten sind dort leicht zu finden: | |
| Es stehen SS-Glorifizierungen neben historischen Romanen, | |
| rassentheoretische Pseudowissenschaft neben Biologiebüchern und Abgesänge | |
| auf das sogenannte Abendland neben Gegenwartsliteratur. Und so wurden eben | |
| auch die „Turner Diaries“ angeboten. Bei Hugendubel, Osiander und Amazon | |
| waren sie bis vor Kurzem im Sortiment. | |
| Es mag in einer digital vernetzten Welt vielleicht verwundern, aber Bücher | |
| würden für die rechtsextreme Szene nach wie vor drei wichtige Funktionen | |
| erfüllen, sagt Rechtsextremismusexperte Samuel Salzborn: Erstens dienten | |
| sie zur Aneignung eines rechten Weltbildes. Zweitens zur Anbindung an die | |
| rechte Szene. Und drittens enthielten einige Bücher direkte | |
| Handlungsanweisungen, wie man rechte Interessen politisch durchsetzt – im | |
| legalen wie auch im illegalen Bereich. | |
| Diese Literatur dient zudem dazu, Neurechten den Anschein von | |
| Intellektualität zu geben, ihrer menschenverachtenden Ideologie ein | |
| pseudotheoretisches Fundament und eine Geschichte jenseits des | |
| Nationalsozialismus, sagt die österreichische Expertin für die Neue Rechte, | |
| Natascha Strobl. Umso wichtiger ist es für die Szene, dass die Bücher nicht | |
| im Nischenhandel, sondern bei den umsatzstärksten Onlinebuchhändlern neben | |
| seriöser Literatur auftauchen. Dazu passt auch die Aufmachung einiger | |
| Bücher: die Einbände des rechten Antaios Verlags etwa gleichen denen von | |
| Suhrkamp. | |
| Die menschenverachtenden Inhalte der „Turner Diaries“ und anderer Bücher | |
| werden durch das kontextlose Nebeneinander aufgewertet. Der Rahmen des | |
| Sagbaren verschiebt sich dadurch weiter nach rechts – was Hugendubel | |
| anbietet, kann ja nicht so schlimm sein. Diese Strategie nennen vor allem | |
| Neurechte oft „Metapolitik“. | |
| Dabei gehe es darum, „schleichend über bestimmte Themenfelder die | |
| gesellschaftliche Meinung zu verändern, [3][Debatten zu prägen und Begriffe | |
| zu lancieren]“, sagt Salzborn und nennt die zunehmende Verwendung von | |
| Naturkatastrophen-Metaphern für migrationspolitische Ereignisse | |
| („Flüchtlingswelle“) als Beispiel. Dies führe zu einer Naturalisierung des | |
| Sozialen und Migration erscheine so als etwas unausweichlich | |
| Apokalyptisches. | |
| ## Glaubwürdigkeit und Reichweite | |
| Trotzdem hätten die Bücher auf den Plattformen nicht nur symbolische | |
| Funktion: Sie erreichten dort eben auch ein Publikum, das sich in der Szene | |
| noch nicht auskennt, sagt Salzborn. Hinzu käme ihr problematischer | |
| Werbetext, vor dem der Verfassungsschutz bereits 2012 warnte: „So erreichen | |
| entsprechende Veröffentlichungen auch einen nicht rechtsextremistisch | |
| vorgeprägten potenziellen Kundenkreis“. | |
| Das sieht auch Natascha Strobl so: „Dadurch, dass man die Bücher aus einer | |
| Nischensparte neben normalen Verlagen platziert, macht man sie größer, als | |
| sie eigentlich sind.“ Das verleihe ihnen Glaubwürdigkeit. | |
| Damit konfrontiert, verweisen die Buchhandlungen zunächst aufs System: Ihre | |
| Onlinekataloge synchronisierten sich automatisch mit den Datenbanken des | |
| Verzeichnisses lieferbarer Bücher (VLB) sowie mit Katalogen einzelner | |
| Verlage und anderer Großhändler – und überprüften nicht systematisch, | |
| welche Art von Büchern sie unter ihrer eigenen Marke anbieten. | |
| Die Pressestelle des Versandriesen Amazon zeigt sich selbstbewusst und | |
| versichert, dass ein „Zusammenspiel aus Algorithmus und Mensch“ mit | |
| „proaktiven Maßnahmen“ gegen solche Bücher vorgehe, die gegen die | |
| Amazon-Richtlinien verstoßen. Dieses Vorgehen habe sich als effektiv | |
| erwiesen. Nichtsdestotrotz wolle man im Sortiment eine Vielfalt an | |
| Meinungen abdecken. | |
| ## Hugendubel will „alles abbilden“ | |
| Auf Amazon sind unzählige holocaustleugnende Kriegsberichte zu finden, aber | |
| auch die Biografie eines Rechtsrockers oder das Buch eines weißen | |
| Nationalisten, der auf seinem Youtube-Kanal ein Interview mit dem | |
| ehemaligen Ku-Klux-Klan-Chef David Duke veröffentlichte. | |
| Eine Sprecherin bei Thalia erklärt auf Anfrage der taz, Bücher mit | |
| antisemitischen und rassistischen Inhalten würden manuell gelöscht, | |
| allerdings nur, wenn Kund:innen darauf aufmerksam machen. Zudem arbeite | |
| Thalia neuerdings „mit betroffenen externen Organisationen zusammen, um | |
| diskriminierende Inhalte zu identifizieren“. Welche Organisationen das | |
| sind, will sie jedoch nicht bekannt geben. | |
| Hugendubel hingegen setzt auf Vollständigkeit und sagt auf Anfrage der taz: | |
| „Online wollen wir grundsätzlich alles abbilden“. Man greife nicht in das | |
| Sortiment ein, es sei denn, ein Buch verstoße gegen das Gesetz. Das ist bei | |
| „Turner Diaries“ der Fall. | |
| Das Buch steht seit 2006 auf dem Index der Bundesprüfstelle für | |
| jugendgefährdende Medien und darf deshalb nur noch „unter dem Ladentisch“ | |
| angeboten werden. Trotzdem landete es in den Onlineshops von Amazon, | |
| Osiander und Hugendubel. Dann verschwand es auf Hinweis der taz | |
| vorübergehend. Kurz danach war es bei Osiander und Hugendubel jedoch wieder | |
| auffindbar – in französischer Übersetzung. | |
| ## Wie politisch ist es, Bücher zu verkaufen? | |
| Die Schwierigkeit sei, sagt die Thalia-Vertreterin, dass es noch nicht | |
| gelang, Bücher durch bestimmte Schlagworte automatisch aus dem Sortiment zu | |
| filtern. Das liege daran, dass Anbieter solcher Bücher verschiedene | |
| Strategien verwenden, um ihre Bücher zu platzieren. Zum Beispiel vergeben | |
| sie immer wieder neue ISBN-Nummern für dieselben Titel. | |
| Noch schwieriger sei es, fremdsprachige Bücher und Bücher aus Versandlagern | |
| außerhalb von Deutschland aufzuspüren. Das indizierte „Turner Diaries“ | |
| nahmen alle Anbieter auf Hinweis der taz erneut, und auch in französischer | |
| Version, aus dem Sortiment. Einige nichtindizierte Bücher von Autoren, die | |
| mit anderen Büchern auf dem Index stehen, sind aber weiterhin auffindbar. | |
| Die Debatte darüber, ob und wie gefährlich es ist, rechtsextremen | |
| Ideologien eine Plattform zu bieten, kocht regelmäßig hoch. Zuletzt etwa, | |
| als Donald Trump von Twitter gesperrt wurde. Oder nachdem die Stände | |
| rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse in einen Seitenflur verlegt | |
| wurden. In der rechten Presse hieß es dazu: Schaut her, in der vermeintlich | |
| weltoffenen Buchbranche herrscht eigentlich die totale Zensur. | |
| Auch diese Empörung ist Metapolitik – und funktioniert: „Inzwischen wird in | |
| deutschsprachigen Medien viel öfter die Frage aufgeworfen, ob es sich beim | |
| Widerstand gegen Rechte nicht um ‚Deplatforming‘ oder um Empörungskultur | |
| handle“, sagt Lisa Mangold vom Netzwerk „Verlage gegen Rechts.“ Dabei sei | |
| es im Kapitalismus nie ein neutraler Akt, Bücher zu verkaufen. | |
| Auf Onlineplattformen kommt im Vergleich zur Buchhandlung aber noch ein | |
| weiteres Problem dazu: Die Algorithmen vergessen nichts. Sie mochten Bücher | |
| eines französischen Alt-Right-Youtubers? Vielleicht gefällt Ihnen dann auch | |
| dieses Manifest zu weißem Nationalismus – und munter dreht die | |
| Radikalisierungsmaschinerie. | |
| Dabei könnte das umstrittene „Deplatforming“ ganz gut funktionieren: Die | |
| Studie „Hate not found“ des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft | |
| (IDZ) stellt fest: „Es bricht die Inszenierung der extremen Rechten | |
| zusammen, eine normale politische Kraft zu sein, wenn man nicht mehr im | |
| digitalen Mainstream erscheint.“ So könnten sich Reichweite und Bedeutung | |
| rechter Akteur:innen erheblich reduzieren, wenn sie auf gängigen | |
| Plattformen nicht mehr auftauchen. | |
| 4 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Rechter-Terror/!t5007732 | |
| [2] /Nach-dem-Sturm-auf-das-US-Kapitol/!5738598 | |
| [3] /Debatte-Identitaere-Bewegung/!5531561 | |
| ## AUTOREN | |
| Anina Ritscher | |
| Simon Muster | |
| ## TAGS | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Buch | |
| Schwerpunkt Neonazis | |
| Bücher | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Versandhandel | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Österreich | |
| Dänemark | |
| USA | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Angriffe auf Muslime im Jahr 2020: Mehr Gewalt und Hetze | |
| Im vergangenen Jahr wurden mindestens 901 Angriffe auf Muslim:innen oder | |
| deren Einrichtungen registriert. Damit stieg die Zahl solcher Übergriffe | |
| leicht – trotz Pandemie. | |
| Nazi-Rapper verhaftet: Mr. Bond hält endlich die Klappe | |
| Er verherrlichte rechtsextreme Morde und inspirierte den Attentäter aus | |
| Halle. Jetzt wurde der österreichische Nazi-Rapper Mr. Bond verhaftet. | |
| Rechte Politikerin Inger Støjberg: Ein seltenes Amtsvergehensverfahren | |
| Vor fünf Jahren machte sie als dänische Ministerin Stimmung gegen | |
| Migrant*innen. Jetzt muss sich Støjberg rechtlich verantworten. | |
| Streit um QAnon nahe US-Abgeordnete: Radikal rechte Republikanerin | |
| Trump-Fan und Verschwörungsideologin Marjorie Taylor Greene ist nun | |
| Kongressmitglied. Selbst RepublikanerInnen fordern ihren Ausschluss. |