| # taz.de -- Meckerei in der Pandemie: Die Zeit der Unzufriedenen | |
| > Es steht uns allen zu, uns zu beschweren. Aber wir sollten nicht | |
| > vergessen, dass es Menschen sind, die wir beim Meckern verantwortlich | |
| > machen. | |
| Bild: Alles Dreck: Ungeliebte OP-Maske im Winter 2021 | |
| Es ist ja beinahe schwer, nicht zu meckern. Die meisten Leute sind mit den | |
| verschiedensten Dingen nicht zufrieden und das tun sie überall und | |
| ausführlich kund. Es ist anstrengend, die Unzufriedenheit anderer Leute | |
| auszuhalten, besonders, wenn man selbst auch unzufrieden ist, aber wegen | |
| ganz anderer Dinge. Die Unzufriedenheit der anderen kommt einem oft | |
| übertrieben und überflüssig vor. Leute, die mit denselben Dingen | |
| unzufrieden sind, bilden Pulks, in denen sie sich gemeinsam erregen können. | |
| Gemeinsame Unzufriedenheit bestätigt in der eigenen Ansicht und schafft so | |
| zumindest auch etwas Gutes, eine unzufriedene Verbundenheit. | |
| So sieht die Situation im Moment aus. Die Leute, die Kinder haben, sind | |
| unzufrieden. Die Lehrer*innen und Kindergärtner*innen sind | |
| unzufrieden. Unzufrieden sind die, die nicht mehr arbeiten dürfen. | |
| Unzufrieden sind auch die, die noch arbeiten müssen, unzufrieden sind die, | |
| die im Homeoffice arbeiten und dann aber auch die, die nicht im Homeoffice | |
| arbeiten können. | |
| Unzufrieden sind die, die sich in ihrem Freizeitverhalten eingeschränkt | |
| fühlen und die, die darüber nur lachen können. | |
| Unzufrieden sind die Familien und die Alleinstehenden. Unzufrieden sind | |
| die, die extrem viel arbeiten müssen, im Krankenhaus oder beim | |
| Paketlieferdienst zum Beispiel, und dann die, die kaum oder gar nichts mehr | |
| zu tun haben. Unzufrieden ist die Wirtschaft, weil die Wirtschaft es nun | |
| überhaupt nicht gewöhnt ist, dass ihnen irgendwas empfohlen wird. Die | |
| Wirtschaft ist nämlich der Ansicht, dass sie das Herz unserer Gesellschaft | |
| ist. | |
| Und wer weiß – vielleicht ist sie’s ja? Nico Fickinger, Chef von | |
| Nordmetall, ist sehr unzufrieden darüber, dass er seine | |
| Mitarbeiter*innen nun ins Homeoffice schicken soll, unverhältnismäßig | |
| findet er das, ebenso wie die FFP2-Maskenpflicht in den Werkshallen. Uli | |
| Wachholtz, Präsident vom Unternehmensverband UV Nord, ist unzufrieden | |
| darüber, dass eine Behörde beurteilen will, wer im Homeoffice arbeiten | |
| könne. Wir Künstler*innen schicken uns lange schon in den Umstand, dass | |
| wir nicht mehr auftreten dürfen und aus diesen Gründen reihenweise aus der | |
| Künstlersozialkasse fliegen, aber wir sind ja auch nicht die Wirtschaft. | |
| Auch ich bin aktuell unzufrieden! Über die neue Maskenpflicht. Ich besitze | |
| viele dreilagige, sehr gut sitzende Stoffmasken, die ich nach jedem | |
| Gebrauch heiß gewaschen habe. Ich sehe es ein, FFP2-Masken schützen besser | |
| als dreilagige Stoffmasken. Aber OP-Masken? Diese dünnen Papierdinger, die | |
| der Formung eines Gesichtes nicht im mindesten angepasst sind, die rechts | |
| und links zum Ohr und neben den Nasenflügeln immer aufsperren? | |
| Ich kann natürlich entscheiden, keine von diesen Masken zu benutzen, | |
| sondern die teureren FFP2-Masken, aber wenn ich an meine Kinder denke, die | |
| in der Krise jetzt ihre studentischen Jobs verloren haben und von sehr | |
| wenig Geld leben müssen, wenn ich an die Leute denke, die sehr wenig Geld | |
| verdienen und große Familien haben, an die Menschen, die von Hartz IV | |
| leben? Die bekommen jetzt immerhin in Hamburg einen Zuschuss von 10 Euro | |
| pro Monat. Dafür können sie sich ein Paket billiger OP-Masken kaufen, oder | |
| sie nehmen doch die Teureren und gehen ganz einfach nur noch selten aus dem | |
| Haus. | |
| Oder – und ich denke, so wird es vielfach gehandhabt werden – sie verwenden | |
| diese billigen Papierdinger wieder und wieder. Das wäre dann aber eine | |
| Verschlechterung der Wirksamkeit gegenüber der Verwendung von viel besser | |
| sitzenden Stoffmasken, die man immerhin waschen und bügeln konnte. | |
| Gut. Meckern ist erledigt. Das ist ja das Thema. Ich denke, es steht uns | |
| allen zu, ein bisschen zu meckern, uns zu beschweren, uns Luft zu machen. | |
| Wir sollten nur nicht vergessen, dass es Menschen sind, die uns in allen | |
| Fällen gegenüberstehen, die wir verantwortlich machen. Und Menschen wollen | |
| anständig behandelt werden, selbst, wenn sie Fehler machen, die vielleicht | |
| aus ihrer Sicht nicht wie Fehler aussehen. Wir sollten zusehen, dass wir | |
| uns nicht alle gegenseitig fertig machen. Das ist alles, was ich sagen | |
| wollte. | |
| 27 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Seddig | |
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