# taz.de -- Geplatzte Regierungskoalition in Italien: Den Ruf retten | |
> Italiens Regierungskoalition ist geplatzt. Ministerpräsident Conte | |
> braucht jetzt neue Verbündete. Es geht um viel Geld – und Italiens | |
> Reputation. | |
Bild: Kann er weiter regieren? Italiens Premierminister Conte am 15. Januar in … | |
Vielleicht gelingt Italiens Ministerpräsident [1][Giuseppe Conte] ja das | |
Kunststück. Seine Koalition ist am Ende, dank des Auszugs der Kleinpartei | |
[2][Italia Viva] unter [3][Matteo Renzi] – seine Regierung jedoch bleibt | |
womöglich im Amt. Renzi überflüssig machen und isolieren, neue | |
Unterstützer*innen im Parlament suchen: Auf diese Taktik setzt Conte, mit | |
voller Unterstützung der beiden großen Parteien im Bündnis, des Movimento 5 | |
Stelle (M5S) und der Partito Democratico (PD), aber auch der kleinen | |
radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche). | |
Nächste Woche will Conte sich in beiden Häusern der Vertrauensabstimmung | |
stellen, und dann wird sich zeigen, ob seine Rechnung aufgeht, ob er Renzis | |
Kalkül durchkreuzt, der die Regierungskrise lostrat, um wieder zum | |
zentralen Akteur der italienischen Politik zu werden, obwohl er nur über | |
eine Drei-Prozent-Partei gebietet. | |
Conte könnte dann erst einmal weitermachen. Das ist eine gute Nachricht, | |
denn auch in Italien hat die Pandemie in den letzten Monaten wieder Fahrt | |
aufgenommen – nicht gerade die beste Zeit, um politische Energie in | |
langwierigen Koalitionsverhandlungen oder nach einer Parlamentsauflösung im | |
Wahlkampf zu binden. Vor allem aber ist es eine gute Nachricht, weil | |
Italiens Regierung bis zum 30. April ihren detaillierten Wiederaufbauplan | |
vorlegen muss, wenn sie pünktlich die 209 Milliarden Euro aus dem | |
europäischen Fonds „Next Generation EU“ erhalten will. | |
In dieser heiklen Phase steht nicht nur enorm viel Geld auf dem Spiel, | |
sondern auch Italiens Reputation in Europa. Die Auflegung des Mega-Plans | |
„Next Generation EU“ samt gemeinsamer europäischer Schuldenaufnahme | |
verkörpert eine echte Wende in der Union, die – anders als in der Eurokrise | |
– die Solidarität entdeckte. Möglich war das nur, weil die Regierung Conte | |
in den europäischen Hauptstädten als zuverlässiger, proeuropäischer Partner | |
wahrgenommen wurde. | |
Der Alt-Ministerpräsident und frühere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi | |
kommentierte, er sei diesmal „wirklich besorgt“, denn es drohe nicht nur | |
der Rücktritt einer Regierung, sondern „der Rücktritt eines Landes“. In d… | |
gleiche Kerbe schlug Enrico Letta, Regierungschef von 2013 bis 2014, bevor | |
ihn der damalige PD-Vorsitzende Matteo Renzi abservierte, so wie er jetzt | |
auch Conte abservieren will. Dank Renzi, so ätzte Letta, liefere Italien | |
wieder einmal „das Bild des wie gehabt unzuverlässigen Landes, Pizza, | |
Spaghetti, Mandoline“. | |
Diese Gefahr wäre erst einmal gebannt, wenn Conte das Manöver gelingen | |
sollte, durch die Rekrutierung oppositioneller Mitte-Abgeordneter für die | |
Koalition seine Mehrheit zu sichern. Und der EU bliebe der Albtraum | |
erspart, nach Neuwahlen den Trump-Fan Matteo Salvini von der Lega im Amt | |
des Ministerpräsidenten zu sehen. | |
Doch die sich abzeichnende neue Koalition ist weder stark noch geschlossen. | |
Im besten Falle kann Conte im Senat auf eine hauchdünne Mehrheit zählen, | |
garantiert von Parlamentarier*innen, die ihn in Zukunft genauso erpressen | |
können wie Renzi. Zudem steckt der größte Koalitionspartner M5S in einer | |
tiefen Krise. 2018 hatten die Fünf Sterne mit ihrer Anti-Establishment- und | |
auch europaskeptischen Rhetorik fast 33 Prozent geholt. Die gegenwärtigen | |
Meinungsumfragen sehen sie halbiert. | |
Zwar gibt sich das M5S mittlerweile überzeugt proeuropäisch, doch was die | |
Bewegung eigentlich in Zukunft will, ist ihr selbst nicht klar. Wie in den | |
frühen Zeiten der deutschen Grünen steht den Realos ein Fundi-Flügel | |
gegenüber, der die Koalition als zu enges Korsett empfindet. Dieser Flügel | |
könnte Conte und der Koalition noch Ungemach bereiten. Nur die Angst vor | |
Neuwahlen, vor einem Triumph Salvinis, kann Contes Überleben sichern. Diese | |
Angst kauft ihm womöglich Zeit zum Weitermachen. Doch er muss diese Zeit | |
auch nutzen; anderenfalls wäre Salvinis Sieg bloß hinausgeschoben. | |
15 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Regierungskrise-in-Italien/!5744242 | |
[2] /Regierungskoalition-in-Italien-geplatzt/!5744254 | |
[3] /Streit-um-EU-Corona-Gelder-in-Italien/!5738895 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Italien | |
Giuseppe Conte | |
Matteo Renzi | |
5-Sterne-Bewegung | |
Matteo Salvini | |
Italien | |
Italien | |
Italien | |
Matteo Renzi | |
Matteo Renzi | |
Corona-Maßnahmen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regierungskrise in Italien: Conte könnte nochmal | |
Italiens Ministerpräsident reicht seinen Rücktritt ein. Doch die allgemeine | |
Angst vor Neuwahlen könnte ihm zu einer weiteren Amtszeit verhelfen. | |
Regierungskrise in Italien: Atempause für Conte | |
Auch wenn Ministerpräsident Conte die Vertrauensabstimmung im Parlament | |
überstanden hat: Die Regierung ist schwächer als zuvor. | |
Regierungskrise in Italien: Für Conte wird's eng | |
Die erste Hürde ist geschafft, doch schon kommt für Italiens Premier die | |
nächste. Nach der Vertrauensabstimmung im Unterhaus geht es in den Senat. | |
Regierungskoalition in Italien geplatzt: Krise zur Unzeit | |
Italia-Viva-Chef Matteo Renzi glaubt, mitten in der Pandemie müsse er | |
Italien auch noch eine Regierungskrise bescheren. Damit hat er sich | |
verzockt. | |
Regierungskrise in Italien: Koalition geplatzt | |
Die Partei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi verlässt die Regierung. | |
Die Wege aus der Krise sind offen. Auch Neuwahlen scheinen jetzt möglich. | |
Coronapolitik in Italien: Keine Zeit für Spielchen | |
Italien steht vor weiteren harten Coronamaßnahmen. Schuldzuweisungen aus | |
den Regionen weiß Ministerpräsident Conte zu verhindern. |