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# taz.de -- Handelsvertrag mit Großbritannien: Mit heißer Nadel gestrickt
> Bis zum Inkrafttreten muss der Brexit-Deal noch Hürden nehmen. Wenn sich
> das EU-Parlament querstellt, könnten sie zum Problem werden.
Bild: So präsentiert Boris Johnson den Deal auf Twitter bei der Weihnachtsansp…
Brüssel taz | Freude kam keine auf, als sich die Botschafter der 27
EU-Staaten am ersten Weihnachtstag in Brüssel trafen, um den Brexit-Deal
entgegenzunehmen. Denn das voluminöse Geschenk, das auf dem schmucklosen
Gabentisch des deutschen EU-Vorsitzes lag, bedeutet das Ende einer Ära. Der
knapp [1][1.300 Seiten dicke Handelsvertrag], der mit heißer Nadel am
Heiligabend fertiggestrickt worden war, besiegelt den Abschied
Großbritanniens. Mehr noch: Er regelt den Ausstieg aus dem Binnenmarkt und
der Zollunion – also aus dem harten ökonomischen Kern der EU.
Am 31. Dezember geht die Übergangsphase zu Ende, in der sich London noch an
die wirtschaftspolitischen Vorgaben aus Brüssel halten musste. Ab Januar
wird der Bruch auch im Alltag spürbar. Das sorgt für Brexit-Blues. Erst
jetzt, mit elfmonatiger Verspätung nach dem Austritt am 31. Januar,
realisieren viele EU-Politiker, was die Scheidung wirklich bedeutet. Manch
einer hatte auf ein Nachspiel bei den Verhandlungen gesetzt; nun weicht die
Hoffnung der Ernüchterung.
Der Deal sorgt aber auch für Erleichterung: „Endlich können wir den Brexit
hinter uns lassen und nach vorne schauen“, erklärte Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen. Sie will London mithilfe des neuen Handelsabkommens
so eng wie möglich an die EU binden. Andere Europapolitiker wittern dagegen
die Chance, nun endlich all jene Ziele umzusetzen, die mit Großbritannien
nicht möglich waren. Dazu zählen nicht nur eine Verteidigungsunion, sondern
auch eine eigenständige europäische Außenpolitik oder gemeinsame Anleihen,
wie sie nun mit dem Corona-Aufbaufonds kommen.
Doch zunächst muss der mit heißer Nadel gestrickte Brexit-Deal in die Tat
umgesetzt werden. Dies wird auf EU-Seite nur mit einigen Verrenkungen
möglich sein, denn für eine ordentliche Ratifizierung durch die
Mitgliedstaaten und das Europaparlament reicht die Zeit nicht mehr. Damit
das Abkommen wie geplant am 1. Januar in Kraft treten kann, wollen sich die
EU-Botschafter am Montag erneut in Brüssel treffen, um grünes Licht von
allen 27 Mitgliedstaaten einzuholen und den Weg für eine vorläufige
Anwendung frei zu machen.
Formalie mit Frustpotenzial
Was wie eine Formalie klingt, könnte mit neuem Frust enden. Denn das
Abkommen enthält [2][viele Zugeständnisse] an den britischen Premier Boris
Johnson, die manch einem Staats- und Regierungschef nicht schmecken
dürften. Zu den Konzessionen gehört, dass der Europäische Gerichtshof keine
tragende Rolle spielen wird. Vielmehr wollen sich Europäer und Briten bei
allen Streitfragen zusammensetzen und nach Lösungen suchen, die Richter in
Luxemburg bleiben außen vor.
Zudem wird sich Großbritannien nicht – wie bis zuletzt von Brüssel
gefordert – automatisch an alle EU-Regeln in der Wirtschafts-, Umwelt- und
Sozialpolitik anpassen. Johnson hat sich zwar zu gleichen
Wettbewerbsbedingungen bekannt. Doch bei der Gesetzgebung ist London
künftig wieder souverän – anders als Norwegen oder die Schweiz, die
ebenfalls Zugang zum Binnenmarkt haben, dies aber mit Anpassungen an die
EU-Regeln erkauft haben. Die Briten zahlen einen anderen Preis: Bei allzu
großen Abweichungen kann die EU Zölle verhängen oder Einfuhrquoten
erlassen.
Außerdem werden britische Waren künftig bei der Einfuhr nach
Kontinentaleuropa kontrolliert. So will Brüssel sicher-stellen, dass die
hohen EU-Standards eingehalten und keine Güter aus Drittländern
„eingeschmuggelt“ werden. Für die Wirtschaft auf der Insel wird es also
schwieriger, mit dem Kontinent Handel zu treiben. Frankreich hat bereits
umfangreiche Kontrollen angekündigt.
Als Stolperstein könnte sich auch noch das Europaparlament erweisen. Die
EU-Parlamentarier müssen den Deal noch ratifizieren, wollen damit aber erst
im Januar beginnen. Was passiert, wenn sie mit einigen Passagen nicht
einverstanden sind, gehört zu den vielen noch ungeklärten Fragen in
Brüssel.
27 Dec 2020
## LINKS
[1] /Neuer-Handelsvertrag-mit-Grossbritannien/!5736152
[2] /Was-Briten-nach-dem-Brexit-blueht/!5740556
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
Europäisches Parlament
Schwerpunkt Brexit
Europäische Union
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