# taz.de -- Bootsunglück vor tunesischer Küste: Bisher 20 Leichen geborgen | |
> Noch ist die Gesamtzahl der Opfer unklar. Das Boot mit 45 Menschen an | |
> Bord sei am Heiligabend schon mit Schräglage in Sfax gestartet, berichten | |
> Augenzeugen. | |
Bild: Traurige Szenerie in Sfax: Noch ist nicht klar, wie viele Opfer das jüng… | |
TUNIS taz | Nach einem weiteren Schiffsunglück vor der tunesischen Küste | |
ist die Zahl der Opfer noch unklar. Am Donnerstag bargen Suchkommandos 20 | |
Leichen und brachten sie in den Hafen der Industriestadt Sfax. Die Insassen | |
eines in Seenot geratenen Fischerbootes hatten am Morgen per Telefon um | |
Hilfe gerufen. Der Sprecher des Innenministeriums, Khaled Hayouni, sagte, | |
dass nach Angaben der Überlebenden mehr als 45 Menschen an Bord waren, von | |
denen nur 5 gerettet werden konnten. | |
Auch ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Roter Halbmond“ berichtet der | |
taz am Telefon aus Sfax, dass die Opferzahl höher als ursprünglich | |
angenommen sei. Fünf der Opfer seien möglicherweise Tunesier, die anderen | |
an Bord des Fischerbootes waren offenbar Westafrikaner. Tunesische Fischer | |
und Patrouillenboote der Küstenwache suchten auch am Freitag nach den | |
Vermissten. | |
Bei vorangegangenen Unglücken in dem Seegebiet vor Sfax wurden die Opfer | |
oft erst Tage später an den Stränden bei Sidi Mansour gefunden. | |
Ali Ayari von der Nationalgarde schilderte dem Radiosender Mosaique FM, | |
dass Menschenhändler das kleine Fischerboot überladen hatten. Freunde von | |
Passagieren an Bord des angeblich 10 Meter langen Bootes erzählten von | |
einer Schräglage bereits bei der Abfahrt am frühen Donnerstagmorgen. | |
Offiziell mehr als 400 Mal haben tunesische Patrouillenboote oftmals | |
seeuntaugliche Gummi- oder Fischerboote mit Migranten in diesem Jahr | |
zwischen der Hafenstadt Sfax und der libysch-tunesischen Küste aufgebracht. | |
Die Nationalgarde und die Küstenwache werden finanziell und logistisch von | |
der Europäischen Union unterstützt. Auf der 65 Kilometer von Tunesien | |
entfernten italienischen Insel Pantelleria starten Beobachtungsflugzeuge | |
und Drohnen und klären tunesische und libysche Patrouillen über Bewegungen | |
von Migrantenbooten auf. | |
Doch Sfax ist trotz aller Versuche der Sicherheitskräfte, die Netzwerke der | |
Schmuggler zu kappen, weiterhin der Knotenpunkt der Migration von Tunesien | |
nach Europa. Neben Westafrikanern versuchten in diesem Jahr mehr als 8.000 | |
meist junge Tunesier über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, 17.000 | |
Menschen kamen auf Malta und in Italien an. 620 ertranken nach Angaben der | |
internationalen Organisation für Migration (IOM). Über 20.000 Opfer gab es | |
seit 2014 zwischen Tunesien, Libyen, Malta und Italien. Laut den Vereinten | |
Nationen ist [1][das südliche Mittelmeer] damit das tödlichste Seegebiet | |
der Welt. | |
## 900 Euro für einen Platz in einem Boot nach Lampedusa | |
Aus Westlibyen kommen derweil täglich mehr Migranten nach Zarzis. In der | |
Kleinstadt südlich der Ferieninsel Djerba verdienen sich viele der vor der | |
unsicheren Lage in ihrer Heimat Geflohenen das Geld für die Überfahrt von | |
Sfax nach Sizilien. | |
Der Eritreer Moussa Barry kam Ende September auf Malta an und kennt einige | |
der am Heiligabend Verunglückten. Der taz berichtete er aus Valletta, dass | |
die durch Corona verursachte Wirtschaftskrise in Libyen und Tunesien die | |
Lage für die Migranten noch einmal verschärft hat. „Es gibt kaum noch Jobs | |
für Nichtlibyer auf Baustellen, die Löhne, die für landwirtschaftliche | |
Arbeit gezahlt werden, sind deutlich gesunken. Sowohl die Schmuggler als | |
auch ihre Kunden sind trotz des jahreszeitbedingten gefährlichen | |
Wellengangs bereit, ein hohes Risiko einzugehen.“ | |
Während man zurzeit in Sfax rund 900 Euro für einen Platz in einem Boot | |
nach Lampedusa oder Sizilien zahlen muss, bieten die [2][libyschen Milizen | |
die Fahrt] zur Zeit für die Hälfte an. Moussa Bary ging nach zwei | |
gescheiterten Überfahrtversuchen aus Tunesien zu Fuß über die Grenze nach | |
Libyen. Den Kontakt zu dem Menschenhändler, der ihn schließlich nach | |
Italien brachte, fand er über Facebook. | |
„Wie viele meiner Freunde wusste ich bis zum Einsteigen in das Boot nicht, | |
was mich erwartet.“ | |
25 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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