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# taz.de -- Thüringens Innenminister im taz-Gespräch: „Ich bin ja gut erzog…
> Thüringens Innenminister Georg Maier sieht eine Radikalisierung von
> Impfgegnern in Thüringen. Er befürwortet eine Beobachtung der AfD durch
> den Verfassungsschutz.
Bild: Die Demokratie sei unter Druck „wie schon lange nicht mehr“, beklagt …
taz: Herr Maier, Sie haben jüngst nach der Innenministerkonferenz gesagt,
die Demokratie ist unter Druck. Was heißt das konkret – hier in Thüringen?
Georg Maier: Wir hatten Mitte Dezember eine größere
„Querdenken“-Versammlung hier in Erfurt, mit Ausschreitungen, AfD-Leute
waren vorne mit dabei. „Querdenken“ ist ein neues Phänomen, zu dem auch
Verschwörungstheorien gehören und Verbindungen zu den Reichsbürgern. Allein
aufgrund der schieren Größe der Versammlungen ist das eine neue Dimension.
Rechtsextreme versuchen ja immer, die Anschlussfähigkeit in die Mitte der
Gesellschaft herzustellen. Und die Dimension, in der diese
Anschlussfähigkeit jetzt denkbar ist – da muss ich sagen: Wow, das ist
groß. Das erfüllt mich wirklich mit Sorge und führt zu der Einschätzung,
dass die Demokratie wie schon lange nicht mehr unter Druck ist.
Der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer hat früh darauf
hingewiesen, dass sich die „Querdenker“-Bewegung radikalisiert. Wie
schätzen Sie diese Bewegung hier in Thüringen ein?
[1][Die Beziehungen zum Rechtsextremismus liegen auf der Hand], da ist die
Lage [2][in Baden-Württemberg, wo die „Querdenker“ jetzt beobachtet
werden], gar nicht so anders als in Thüringen. Michael Ballweg, der
führende Kopf von „Querdenken“, hat sich ja hier in Thüringen mit einer
größeren Anzahl von Reichsbürgern getroffen. Da gibt es keine
Berührungsängste. Und Patrick Wieschke, NPD-Funktionär aus Eisenach,
mobilisiert zu einer „Querdenker“-Demonstration, [3][da gibt es auch keine
Berührungsängste]. Auch Äußerungen, wie man müsse das „Merkel-Regime“
beseitigen oder das Parteiensystem abschaffen, bringen die Radikalität der
Bewegung zum Ausdruck.
Trotzdem beobachtet der Verfassungsschutz in Thüringen die so genannten
Querdenker nicht. Warum?
Wir sind noch nicht so weit, aber der Verfassungsschutz arbeitet dran.
Qualität geht vor Schnelligkeit.
Was bedeutet diese Radikalisierung mit Blick auf die Impfungen, die jetzt
begonnen haben?
Die ideologische Verhärtung bei einem Teil der Impfgegner ist sehr groß, es
hat eine Radikalisierung stattgefunden. Sie treten bei den Demonstrationen
besonders fragwürdig auf, zum Beispiel mit Davidstern, auf dem „ungeimpft“
steht. Das ist eine ungeheuerliche Verharmlosung der NS-Verbrechen. Wir
müssen davon ausgehen, dass es unter den Impfgegnern Kräfte gibt, die nicht
davor zurückschrecken, einen Angriff auf ein Impfstofflager durchzuführen.
Deshalb werden wir die Impfstofflager mit der Polizei schützen.
Im Januar, so hört man, wird das Bundesamt für Verfassungsschutz
entscheiden, ob die AfD als Gesamtpartei beobachtet wird. Wird die
Beobachtung kommen?
Nach der Innenministerkonferenz ist jüngst [4][ja schon einiges
durchgesickert], aber mehr kann ich dazu hier nicht sagen.
Fänden Sie die Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall richtig?
Ich sehe die AfD als parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus und wenn
man das weiterdenkt, ja: Das würde Sinn ergeben, ich finde das richtig.
Diese Partei ist stramm rechts unterwegs und wie knapp die Abstimmungen auf
dem Bundesparteitag in Kalkar waren, zeigt doch, wie geschwächt die
sogenannten gemäßigten Kräfte inzwischen sind. Aber das entscheide nicht
ich, das ist Aufgabe des Verfassungsschutzes.
Der Thüringische Landesverband der AfD ist einer der radikalsten, bei der
Landtagswahl vor einem Jahr hat fast jeder Vierte für die extrem rechte
Partei gestimmt. Was bedeutet das für den politischen Alltag?
Es ist schwer erträglich. Bei den Landtagssitzungen, die derzeit wegen
Corona in einem Saal in der Fußballarena stattfinden, sitzt mir diese ganze
Riege inklusive Höcke direkt gegenüber. Ich guck den ganzen Tag auf diese
Fraktion, das ist eine große Zumutung. Wie dort geredet wird, mit welcher
Häme kommentiert wird, das hat die parlamentarischen Kultur nachhaltig
beschädigt.
Beeinflusst das Ihr Verhalten – oder das der SPD-Fraktion?
Ich bin ja gut erzogen, aber diesen Menschen möchte ich nicht „Guten
Morgen“ sagen. Das sind in weiten Teilen Rechtsextremisten und damit möchte
ich nichts zu tun habe. Das ist in der SPD-Fraktion auch so.
Rot-Rot-Grün hat keine eigene Mehrheit. Beeinflusst die Gefahr,
entscheidende Stimmen von der AfD zu bekommen, das Verhalten der
SPD-Fraktion?
Sie meinen, wie es gerade in Sachsen-Anhalt bei der CDU der Fall war? So
etwas ist bei uns noch nicht vorgekommen.
Laut Umfragen liegt die AfD in Thüringen derzeit bei etwa 22 Prozent – also
fast so hoch wie bei der letzten Landtagswahl. Haben Sie etwas falsch
gemacht?
Die AfD hat Glück gehabt: Sie kann jetzt das Thema Corona für sich nutzen.
Und ihre Narrative einfach fortsetzen.Vorher stand sie ohne Thema da, über
Migration wurde ja kaum noch diskutiert. Inzwischen hat sich die AfD hier
in Thüringen klar auf die Seite der Coronaleugner gestellt. Insgesamt hat
sie ihr Wählerpotential aber inzwischen voll ausgeschöpft, ich seh da keine
Luft mehr nach oben.
In Thüringen wird der AfD-Landesverband vom Verfassungsschutz als
Verdachtsfall eingestuft, für die Strömung „Flügel“ gilt sogar bundesweit
als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Auf die Umfragen hat es sich
offensichtlich nicht ausgewirkt.
Das stimmt. Ich glaube aber, dass es in der Partei Effekte ausgelöst hat.
Zum Beispiel müssen sich alle Beamte und Beamtinnen die Frage stellen, wie
sie damit umgehen. Als wir die AfD zum Verdachtsfall erklärt haben, haben
wir zum Beispiel alle Beamten in relevanten Sicherheitsbereichen
angeschrieben und sie darauf hingewiesen, dass es bei einer entsprechenden
Unterstützung des „Flügels“ hier einen Konflikt geben könnte. Die
entsprechende Überprüfung wurde erneuert.
Hat jemand sie bisher nicht geschafft?
Nach meiner Kenntnis nein.
Sie sagen: Die AfD radikalisiert sich weiter. Woran machen Sie das fest?
Nehmen Sie doch nur, was jüngst in Berlin passiert ist: [5][Dass sie Leuten
Zutritt zum Parlament verschafft hat, die dann Abgeordnete bedrängten.] Die
sind jetzt nun mal in den Parlamenten und greifen das Parlament, die
Herzkammer unserer Demokratie, von innen an. Dann der
Geschichtsrevisionismus, das Relativieren des Holocausts: Das alles stellt
eine Radikalisierung da.
Es ist immer dasselbe Handlungsmuster: Man bricht ein Tabu, rudert zurück,
geht aber immer einen Schritt weiter. Auch die Nähe zu Rechtsextremisten
wird immer deutlicher. Und dann Höckes Bücher – da wird ideologisch und
organisatorisch ein Fundament gebaut. Diese Partei ist eine Bedrohung für
die Demokratie.
Sie haben sich den Kampf gegen rechts auf die Fahne geschrieben, auch gegen
Rechtsrock. Erst hatten Sie dabei Erfolge, auch in der Gemeinde Magdala bei
Jena: Vor zwei Jahren wurde dort ein Rechtsrock-Konzert verboten. Jetzt hat
sich die Gemeinde mit dem Veranstalter auf Schadensersatz geeinigt. Geht
das ganze nach hinten los?
Das ist für mich eine persönliche Niederlage. Ich habe bis zuletzt
gekämpft, dass der Stadtrat in Magdala sich nicht auf diesen Vergleich
einlässt. Wir haben dieses Rechtsrockkonzert zusammen mit der Stadt, einem
mutigen Bürgermeister und einer mutigen Amtrichterin im letzten Moment
verhindert. Das war ein großer Erfolg. Sie müssen sich vorstellen: Von dem
Ort des Konzerts hätte man den Turm von Buchenwald gesehen – und die Nazis
wollten genau das.
Und jetzt ist der Bürgermeister nicht mehr mutig?
Er ist in eine komische Situation gekommen. Ein solcher Gerichtsprozess
belastet die Gemeinde Vor-Ort schon erheblich. Das Landgericht hat dann das
Verbot kassiert und dabei mit dem Versammlungsrecht argumentiert. Aber ein
Rechtsrockkonzert ist meines Erachtens keine Versammlung, sondern eine
kommerzielle Veranstaltung. Da geht es um viel Geld. Ich dachte: Jetzt
klagen wir das bis zum Bundesverfassungsgericht durch.
Aber das Landgericht hat – so als wäre das ein normaler
Nachbarschaftsstreit – zu dem Bürgermeister auf der einen und dem
Hardcore-Nazi auf der anderen Seite gesagt: Einigt euch doch, macht einen
Deal. Und er hat auch gesagt, dass die Stadt im Falle eines Urteils eher
verlieren werde. Der Stadtrat wollte dann den Rechtstreit nicht
weiterführen.
Man hört, Sie hätten der Stadt keine konkrete finanzielle Hilfe zugesagt.
Ich bin extra zu dieser Stadtratssitzung hingefahren. Aber ich war
vielleicht zu ehrlich: Ich hab zugesagt, dass ich im Haushalt einen
entsprechenden Posten einrichten werde – dass der aber auch noch durch den
Landtag muss. Am Schluss hat es den Mitgliedern des Stadtrates nicht
gereicht und sie haben sich für den Vergleich entschieden. Und die Nazis
haben noch nicht mal den Beweis erbracht, dass sie wirklich 25.000 Euro
Verlust hatten.
Herr Maier, Sie sind nicht nur Innenminister, sondern seit einem schönen
Tag im September, nicht nur ein weiteres Mal Vater, sondern auch Landeschef
der SPD…
Ja, das war anstrengend. Das ganze Jahr. Diese Corona-Geschichte,
IMK-Vorsitz, es reicht eigentlich. Aber jetzt kommt ja gleich mal die
nächste Landtagswahl...
Wo Sie als Spitzenkandidat für die SPD antreten. In Umfragen dümpelt Ihre
Partei bei um die neun Prozent herum. Wie wollen Sie sie nach vorne
bringen?
Wir sind in einer schwierigen Situation, das muss man gar nicht versuchen,
schön zu reden. Wir haben auf der einen Seite Höcke, der besonders rechts
angesiedelt ist, und wir haben einen sehr beliebten Ministerpräsidenten,
der zwar der Partei Die Linke angehört, aber sozialdemokratisch angehaucht
ist und mit Landesvater-Attitüde auftritt.
In dieser Polarisierung ist es als kleinerer Partner in der Regierung
schwer sich zu behaupten. Ich glaube, wir haben gute Arbeit geleistet, aber
wenn die Finanzen in Ordnung sind, wenn die Wirtschaft und die Innenpolitik
laufen, dann zahlt das eher bei dem Ministerpräsidenten ein, obwohl alle
drei zuständige Minister aus der SPD sind. Wir müssen auf uns aufmerksam
machen.
Und wie?
Wir müssen klar machen, dass wir in der Koalition das Element sind, das für
Stabilität sorgt. Wir stehen für Verlässlichkeit und verfolgen eine klare
Linie in der Coronapolitik, der Ministerpräsidenten hat ja schon mal
spontane Ausbrüche in die eine oder andere Richtung – wenn er etwa
plötzlich eine Maskenpflicht verkündet oder weitgehende Lockerungen der
Coronamaßnahmen, und wir das dann aus den Nachrichten erfahren.
Werden Sie mit Innerer Sicherheit Wahlkampf machen – das ist ja eigentlich
eher ein Thema der CDU?
Sozialdemokratische Innenpolitik muss die Ursachen von Kriminalität viel
stärker in den Blick nehmen und nicht vor allem die Folgen, wie die
Konservativen dies tun. Diese Unterschiede kann man deutlich machen.
Wichtig ist auch der Kampf für die wehrhafte Demokratie, da setzen wir
einen deutlichen inhaltlichen Akzent und sagen nicht nur reflexhaft, wenn
es um Gefahren von „rechts“ geht, dass es aber auch den gefährlichen
Linksextremismus gibt. Aber wir werden keinen SPD-Landtagswahlkampf vor
allem mit der Inneren Sicherheit machen.
Das klassische SPD-Thema, die soziale Gerechtigkeit, können Sie in
Thüringen schlecht ausspielen – eingeklemmt zwischen der Linkspartei und
Höckes völkischer Sozialpolitik.
Klar, wir sind mit den Linken thematisch in vielem nicht so weit
auseinander und bei manchem anderen schon – zum Beispiel beim Thema
Verfassungsschutz. Wir haben hier kein Arbeits- und kein
Bildungsministerium, deshalb ist es schwer in diesen sozialdemokratischen
Kernthemen Akzente zu setzen. Aber ich setze auch auf die Bedeutung
gelebter politischer Kultur – jenseits von Stinkefinger und Drecksack auf
der einen und all den Ausfällen auf der anderen Seite. Ich glaube, die
Leute wollen einen politischen Meinungswettstreit mit einem gewissen
Niveau.
Mit Stinkefinger und Drecksack spielen Sie auf Ministerpräsident Ramelow
an. Setzen Sie auf Rot-Rot-Grün auch nach der Landtagswahl im April?
Ja, es ist unser Ziel, das fortzusetzen. Es ist die wahrscheinlichste
Konstellation, aber wir machen trotzdem vorher keine feste
Koalitionsaussage.
Und wenn es genauso ausgeht, wie im vergangenen Jahr – es also keine
Mehrheit gibt?
Ich hoffe nicht. Aber notfalls muss man ein Konstrukt wie jetzt fortsetzen.
Also die Minderheitsregierung, die de facto von der CDU geduldet wird?
Wir nennen es Stabilitätsmechanismus, aber ja: Denn es hat ja einigermaßen
funktioniert.
27 Dec 2020
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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