# taz.de -- Bäume gegen den Klimawandel: Shoppen und pflanzen | |
> Zum Schokoriegel gibt’s einen Baum dazu. Konsumieren und dabei Gutes tun, | |
> lautet das Werbeversprechen. Hilft das wirklich gegen die | |
> Klimakatastrophe? | |
Bild: Auch in Deutschland werden Bäume gepflanzt, hier am Stadtrand von Berlin | |
Am Ende werde ich einen kleinen Wald gepflanzt haben. Mindestens zwanzig | |
Bäume auf Madagaskar. Bestimmt drei in Zentralamerika. Außerdem einen Baum | |
in der Eifel. Das war gar nicht schwer. Ich musste nur ein paar | |
Schokoriegel kaufen, Kondome bestellen, ein „Avocado-Klima-Plus-Paket“ | |
erstehen, außerdem 120-mal im Internet etwas suchen sowie zweimal meine | |
E-Mail-Adresse dalassen. Dafür hat man mich mit zwei Zertifikaten | |
ausgestattet, die mir offiziell bestätigen, dass ich zu einer | |
„nachhaltigeren Welt“ beigetragen habe. | |
Ich shoppe, pflanze so Bäume und halte damit den Klimawandel auf? Das geht? | |
Wir stehen vor der „alles entscheidenden Herausforderung unserer Zeit“, so | |
dramatisch benennt es UN-Generalsekretär António Guterres. Auch wenn Corona | |
den Klimawandel von der Prioritätenliste verdrängt hat und die letzte | |
wirklich große Fridays-for-Future-Demonstration eine Ewigkeit her scheint: | |
Die Erderhitzung geht weiter, ohne Pause. 2020 war sehr wahrscheinlich | |
gemeinsam mit 2016 das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, | |
wieder brennen in Australien die Wälder. Trotz E-Autos und | |
Klimaneutralitätsabsichten einzelner Staaten – die Perspektive ist | |
erdrückend, für mich, für meine Kinder. Umso mehr beschäftigt mich diese | |
Sache mit den Bäumen. Kann die Lösung der Klimaprobleme wirklich so einfach | |
sein? | |
Es ist Anfang Oktober 2020, ich stehe auf dem S-Bahn-Steig in Berlin, mir | |
gegenüber hängt ein Werbeplakat von einem Baumarkt, darauf ein grinsender | |
junger Mann. In seinen Händen trägt er eine Holzkiste mit einem jungen Baum | |
darin. Einer von exakt einer Million Bäume, die dieser Baumarkt pflanzen | |
möchte. Wow, denke ich. Das klingt nach einer Menge Holz. | |
Ein paar Tage später scrolle ich durch Instagram. Eine Werbeanzeige: Hier | |
bieten vier junge Männer aus Slowenien ein Armband aus Nickel und Leder für | |
20 Euro an. Sie versprechen, dafür drei Bäume in Indonesien zu pflanzen. | |
Wenn man noch 3 Euro spendet, gibt es einen weiteren Baum obendrauf. | |
245.535 Bäume wollen sie so schon in die Erde gesetzt haben. | |
Ich erinnere mich an diese Suchmaschine Ecosia. Dort heißt es, sie haben | |
inzwischen 114 Millionen Bäume gepflanzt. Für diesen Artikel wechsle ich zu | |
Ecosia. An der Biosupermarktkasse entdecke ich einen Schokoriegel. Dessen | |
Hersteller verspricht, eine Milliarde Bäume zu pflanzen – bis 2030. | |
Ich sehe nur noch Bäume: Kaufe eine gebrauchte Kamera – bekomme einen Baum. | |
Kaufe Hoodie – erhalte Baum. Und weil Black Friday ist, sogar noch einen | |
dazu. | |
Ob Müslihersteller, ob Bierproduzent, Flugreisenvermittler, | |
Marktforschungsinstitut, Buchladen oder Konzertticketverkäufer – alle sind | |
im Bäume-Business. Und mir schwirrt der Kopf. | |
Bäume zu pflanzen ist das neue Karma und scheint auf den ersten Blick auch | |
dringend notwendig. In den letzten drei Jahren hat die Kombination aus | |
Dürren, Stürmen und Schädlingen 285.000 Hektar Wald in Deutschland | |
vernichtet, so schätzt es das Bundesministerium für Ernährung und | |
Landwirtschaft. | |
Nimmt man die durchschnittliche Menge von 3.000 neu zu pflanzenden Bäumchen | |
pro Hektar an, müssten 855 Millionen Bäume nachgepflanzt werden, nur um den | |
Verlust der letzten drei Jahre auszugleichen. Pro Bundesbürger wären das | |
knapp 11 Stück. | |
Global ist das Ausmaß des Waldsterbens noch gigantischer. Seit 1990 hat der | |
Mensch 420 Millionen Hektar Wald zerstört, vor allem um Platz für Äcker und | |
Rinderweiden zu schaffen. | |
Aktuell sind es Brasilien, Indonesien und der Kongo, in dem die | |
artenreichen tropischen Urwälder in einem rasanten Tempo verschwinden. Das | |
ergab die globale Waldinventur der Vereinten Nationen. | |
Dann ist da noch die Sache mit dem Kohlendioxid: Ein Baum kann in der Zeit | |
seines Lebens mehrere 100 Kilogramm Kohlendioxid binden. Wie viel genau, | |
liegt an der Baumart und am Alter des Baums. Je mehr Bäume gepflanzt | |
werden, desto mehr Kohlendioxid würde der Atmosphäre entzogen. So die | |
Logik, die sich auch aus einer weltweit bekannt gewordenen Studie der | |
Technischen Hochschule Zürich (ETH) ergibt. | |
Nach dieser Studie ist auf der Welt noch Platz für 900 Millionen Hektar | |
Waldfläche, was laut Forscher der Fläche der USA entspricht. Hier könnte | |
eine große Menge Kohlendioxid gebunden und so die Erderwärmung zumindest | |
verlangsamt werden. | |
Die Studie wurde von verschiedenen Wissenschaftlern jedoch stark | |
kritisiert. Nicht jede der von einem Algorithmus berechneten Flächen sei | |
für einen Wald überhaupt geeignet, ja manchmal sogar kontraproduktiv. | |
Außerdem würde nicht nur Wald, sondern beispielsweise auch Weidefläche CO2 | |
speichern. | |
Ich finde: Bäume sind so ultimativ gut, da will ich auch ein paar | |
beisteuern. | |
Als Erstes kaufe ich drei dieser kleinen Schokoriegel. Drei fühlt sich | |
schon wie ein kleiner Wald an. Sie kosten jeweils 1,99 Euro. Auf der | |
Verpackung steht: „You buy one bar & we plant a tree.“ Drei Riegel, drei | |
Bäume, check. Hinter dem Schokoriegel steht „the nu company“. Ihr Slogan: | |
„Wir wollen, dass jedes Piepen an der Kasse zu einem Signal für eine | |
gesündere und grünere Welt wird.“ Willkommen im grünen Kapitalismus. | |
Videocall nach Leipzig, vor der Webcam sitzt Christian Fenner, 29. Er ist | |
Wirtschaftsingenieur und einer der drei Gründer des Food-Start-ups. Er hat | |
ein breites Lächeln. Spricht ruhig und besonnen. Wirkt überzeugt von seiner | |
Sache. | |
Warum pflanzen Sie als Schokoriegelhersteller überhaupt Bäume? „Kakao gibt | |
es nicht in Deutschland. Der muss importiert werden. Das vergrößert den | |
CO2-Verbrauch unseres Riegels, den wir ausgleichen wollen. Wir haben uns | |
gefragt, wo hier der größte Hebel liegen könnte, und kamen auf Bäume“, | |
erklärt Fenner. Es sei einfach: Pro einem von ihnen gepflanzten | |
Mangrovenbaum auf Madagaskar würden innerhalb von 25 Jahren zirka 308 | |
Kilogramm CO2 gebunden werden. Einer ihrer Riegel verursache aber nur 400 | |
Milligramm CO2. Nimmt man das zusammen, sei der Riegel überkompensiert und | |
die Nu-Company ein klimapositives Unternehmen, so Fenners Rechnung. Eine | |
Rechnung, die dann aufgeht, wenn die Bäume auch tatsächlich lange stehen | |
bleiben, da sie erst mit zunehmendem Alter mehr CO2 binden können. | |
Bisher hätten sie mit ihren Schokoriegeln 3,6 Millionen Bäume gepflanzt, | |
sagt Fenner. Auf insgesamt eine Milliarde Bäume wollen sie bis 2030 noch | |
kommen. „Das ist ein so großes Ziel, da reicht es nicht mehr, ein nettes, | |
kleines, profitables Unternehmen zu sein“, sagt Fenner, „wir wollen diesen | |
Impact groß multiplizieren.“ Dafür müssten sie das Sortiment erweitern und | |
in neue Märkte vordringen. „Aber immer als Mittel zum Zweck, damit wir mehr | |
Bäume pflanzen können.“ | |
Ich bin zwiegespalten. Einerseits zählt jeder Baum. Andererseits kommt es | |
mir absurd vor: mehr zu produzieren, mehr zu konsumieren, um dann mehr | |
Bäume zu haben. | |
Konkret pflanzen die Nu-Jungs die Bäume nicht selbst. Sie spenden sie. 2019 | |
waren es 144.000 Euro und damit 6 Prozent ihres Umsatzes. 2020 soll die | |
Summe schon doppelt so hoch sein. Runtergebrochen sind das 9 Euro-Cent pro | |
Schokoriegel, die sie an das Eden Reforestation Project überweisen. Das ist | |
eine der größten Baumpflanzungsorganisationen der Welt, die von den 9 | |
Euro-Cent jeweils einen Mangrovenbaum auf beispielsweise Madagaskar | |
pflanzt. Zum Vergleich: In Deutschland ist man je nach Art bei 1 bis 5 Euro | |
pro gepflanztem Baum dabei, wie mir die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald | |
berichtet. | |
Produkte verkaufen, an Eden spenden, Bäume gepflanzt bekommen, damit | |
Werbung für die eigene Nachhaltigkeit machen – mit dieser Vorgehensweise | |
ist die Nu-Company nicht alleine. Auf seiner Website listet Eden seine | |
Partner auf, darunter diverse Hersteller von Heil- und Hautpflegeprodukten, | |
vielfältigste Software-, Technologie- und Technikunternehmen, auch | |
Kleidungs- und Sportartikelhersteller sowie Immobilienfirmen, schließlich | |
Ferienhaus- und Flugbuchungsvermittler, Restaurants, Kondomhersteller und | |
Telekommunikationsanbieter; kaum eine Branche, die nicht vertreten ist. | |
Nachgezählt sind es 32 Unternehmen und Stiftungen, die zwischen 50.000 und | |
mehr als eine Million US-Dollar spenden, sowie weitere 850 Unternehmen aus | |
fast der gesamten westlichen Welt, die jährlich zwischen 250 und 50.000 | |
Dollar beisteuern. | |
Darunter ist auch Tentree. Die kenne ich schon. Seit Wochen spült das | |
kanadische Kleidungslabel hartnäckig seine Werbung in meinen | |
Instagram-Kanal. Unter dem Motto: „Join the movement“ wollen sie zehn Bäume | |
pflanzen, wenn ich ein Kleidungsstück bei ihnen bestelle. Das will ich aber | |
nicht. | |
Doch sie haben noch ein Angebot. Sie nennen es „Klima+“ und versprechen | |
mir, dass ich mich damit nie wieder schlecht fühlen muss: „Hören Sie auf, | |
sich wegen Ihres Vergnügens schuldig zu fühlen, und setzen Sie auf | |
‚Klima+‘. Damit pflanzen Sie Bäume als Ausgleich für Ihre täglichen Freu… | |
wie die extraheiße Dusche, den Avocado-Toast und die Wochenendausflüge.“ | |
Wow. Ich kann mich also von meinen Sünden freikaufen. Tatsächlich esse ich | |
gerne Avocado, deswegen kaufe ich die „Avocado-Obsession“. | |
5 Dollar per Paypal nach Kanada gesendet, dafür bekomme ich eine E-Mail mit | |
der Bestätigung, dass nun zehn Mangroven auf Madagaskar gepflanzt werden. | |
Zehn Bäume mal 308 Kilogramm gebundenes Kohlendioxid. Das sind laut | |
CO2-Rechner des Umweltbundesamts ein Drittel meiner jährlichen CO2-Sünden. | |
Ein fast reines Gewissen für umgerechnet nur 4,14 Euro. Billiger kriege ich | |
das nirgendwo. Dass die Avocado im Transport nicht nur CO2 emittiert, | |
sondern im Anbau extrem viel Wasser verbraucht, dabei ganze Landstriche und | |
Flüsse austrocknen, wie die dänische NGO Danwatch herausfand, ignoriere | |
ich. Ich verfalle in einen Bäumekaufrausch und bestelle gleich noch eine | |
Packung Kondome dazu. Pro Kondom wird ein Baum gepflanzt, so das | |
Versprechen des Herstellers. Neun insgesamt. Ich bin ein Waldhero. Dass die | |
Paketzustellung C02 verursacht – geschenkt. | |
„Das ist eine moderne Form des Ablasshandels – oft anstelle eines zu | |
verändernden Produktionsprozesses“, sagt Stephan A. Jansen, Kommunikations- | |
und Wirtschaftswissenschaftler, außerdem Professor für Philanthropie und | |
Zivilgesellschaft an der privaten Karlshochschule in Karlsruhe. Ich | |
erwische ihn am Telefon. Gerade hat er Online-Konferenzpause. Jansen redet | |
schnell. Das Thema der glaubwürdigen Nachhaltigkeit treibt ihn schon länger | |
um. | |
Der Wald habe eine fast schon religiöse, existenzielle Bedeutung. Er werde | |
verehrt, sei mythisch aufgeladen und beatme ganz praktisch pro | |
ausgewachsenem Baum zirka 26 Menschen am Tag. „Lebensspenden also. Ein | |
Schokoriegel oder ein Hautpflegeprodukt hat diese Bedeutung eher nicht“, | |
sagt er. Deswegen verbänden sich diese eigentlich überflüssigen Produkte | |
auch mit den Bäumen, um sich selbst eine höhere Bedeutung zu verleihen. | |
Als ich berichte, dass ich mir drei Schokoriegel gekauft habe, sagt Jansen: | |
„Ich finde das wirklich super. Es macht nur nicht so einen großen | |
Unterschied. Es ist nicht so sehr die Frage, ob wir ein Produkt haben, das | |
seinen CO2-Ausstoß mit Bäumen kompensiert. Es ist vielmehr so, dass alles, | |
was produziert wird, Folgen hat. Einige der Folgen sind einberechnet, | |
andere negative externe ökologische und soziale Effekte von Luft-, | |
Wasserverschmutzung oder Lohndumping nicht.“ | |
Jansen sieht darin eine Paradoxie der Nachhaltigkeit: Man möchte Ressourcen | |
schonen, produziere dabei aber Produkte, mit denen Ressourcen verbraucht | |
werden. „Es ist besser, keine Fashion zu haben als eine Fairfashion“, sagt | |
er. Ähnlich argumentiert auch Stefan Adler, Waldexperte des | |
Naturschutzbundes: „Der Konsum ist mitverantwortlich dafür, dass es wärmer | |
wird. Wenn man das aufhalten will, muss man den Konsum reduzieren.“ | |
Baumpflanzwerbung suggeriere: Ich kaufe den gleichen Lolli wie vorher, lege | |
jetzt aber ein paar Cent drauf und halte damit den Klimawandel auf. | |
Dagegen sagt Christian Fenner von der Nu-Company: „Die Menschen werden | |
nicht aufhören, Schokolade zu essen. Da wäre es doch besser, fairen Kakao | |
zu importieren und einen Riegel mit wenig Zucker und ohne Plastikverpackung | |
zu produzieren, für den auch noch Bäume gepflanzt werden.“ Tatsächlich | |
haben einige der Eden-Partner Produktketten aufgebaut, die im Vergleich zu | |
den normalen Konkurrenten Ressourcen und Umwelt schonen. | |
Zoom katapultiert mich nach Kalifornien. Hier sitzt das Eden Reforstation | |
Project. Vor 16 Jahren begann ihre Arbeit, 443 Millionen Bäume haben sie | |
bisher gepflanzt. Gerade eben erst hat Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, | |
ihnen 5 Millionen Dollar gespendet. | |
Steve Fitch, der Eden-Chef höchstpersönlich, nimmt sich für mich Zeit. | |
Außerdem Sehr Ali, die für die internationalen Operationen zuständig ist. | |
Ich fühle mich geehrt, gleichzeitig will ich mich nicht um den Finger | |
wickeln lassen. So toll ihre Arbeit auf den Videos ihres Youtube-Kanals | |
aussieht, der Vergleich von Professor Jansen und dem modernen Ablasshandel | |
geht mir nicht aus dem Kopf. | |
„Karl, unsere Arbeit ist einfach erklärt“, spricht Steve Fitch mich an, | |
„wir bekämpfen die Armut und pflanzen Bäume.“ Konkret sind sie in acht | |
Ländern des Globalen Südens tätig, darunter Haiti, Indonesien, Kenia, Nepal | |
und Honduras. Als Erstes bauen sie Teams aus nationalen Experten auf. Diese | |
suchen nach Land, das in der Vergangenheit entwaldet wurde. Sie suchen aber | |
auch nach Communitys, mit denen sie vor Ort zusammenarbeiten können. Diese | |
Menschen werden angestellt und als Pflanzer und Waldbeschützer geschult. | |
„Arbeit kommt in die Dörfer, dadurch verdrängen wir die Armut. Gleichzeitig | |
wird der Wald zu einem Herzensprojekt der Menschen, sie schützen ihn, weil | |
sie ihn selbst angepflanzt haben“, sagt Sehr Ali. Insgesamt ist das ein | |
übliches Vorgehen, das zum Beispiel der WWF bei seinen Pflanzprojekten | |
ebenso handhabt. | |
Auf Madagaskar pflanzen Edens lokale Angestellten seit 2007 Mangroven | |
entlang der Küsten. Sie sammeln die heruntergefallenen Früchte von noch | |
stehenden Mutterbäumen ein und setzen diese dann in den Boden. Die | |
Dorfbewohner werden für die Bewachung der Wälder bezahlt. | |
„Und all das bekommt man für nur ein paar Cents pro Baum?“, frage ich nach | |
Kalifornien. Steve Fitch nickt. Tatsächlich koste ein Baum zwischen 10 und | |
20 US-Cents. Das habe viele Gründe. Er zählt auf: „Im Vergleich geringe | |
Lohnkosten, die Mangrovenfrüchte brauchen keine Baumschule, wenige Arbeiter | |
können viele Bäume in kurzer Zeit in die Erde stecken.“ 375 Millionen | |
Mangroven haben sie auf Madagaskar inzwischen gepflanzt. Bei den Lohnkosten | |
hake ich nach. Fitch berichtet, dass die Arbeiter mindestens 90 US-Dollar | |
pro Monat bezahlt bekämen, insgesamt 1.080 Dollar im Jahr. Das | |
durchschnittliche Jahreseinkommen im Land liegt bei 400 Dollar. | |
Zirka 10.000 Setzlinge werden auf einem Hektar Fläche gesetzt. Als Beweis | |
fotografieren die Arbeiter ihre Fortschritte, außerdem gibt es von jedem | |
Standort GPS-Daten. Alle paar Monate besuchen die übergeordneten | |
Mitarbeiter der nationalen Teams diese Standorte und lassen Drohnen darüber | |
fliegen. | |
Die Nu-Company bestätigt, dass sie monatliche Berichte mit diesen Daten von | |
„ihren“ Bäumen bekommt. Großspender können ihre Wälder auch besuchen. | |
Insgesamt hat Eden bisher 43.400 Hektar wiederbewaldet. Zur Erinnerung: | |
Seit 1990 wurden weltweit 420 Millionen Hektar Wald verdrängt, in | |
Deutschland allein in den letzten drei Jahren 285.000 Hektar Wald zerstört. | |
Für das Youtube-Format „STRG_F“ des NDR hat sich eine Reporterin in | |
Madagaskar auf die Suche nach den Bäumen und Arbeitern von Eden gemacht und | |
fand sie so vor wie angegeben. Was die Journalistin jedoch nicht bestätigen | |
konnte: ob all die ursprünglich gezählten Stecklinge am Ende auch wirklich | |
zu Bäumen werden und damit das Ein-Produkt-gegen-einen-Baum-Versprechen | |
eingelöst wird. | |
Ich frage Fitch, ob diese Philosophie „Ein Produkt für einen Baum“ nicht | |
eine fatale Konsumbotschaft in die Welt sende und Eden so zum Greenwashing | |
einlade. Er antwortet: „Nein. Ein Produkt mit einem Baum zu verbinden ist | |
als Marketing-Werkzeug sehr praktisch. Jede Firma soll selbst entscheiden, | |
wie es seine soziale Verantwortung gestaltet. Für uns zählt jeder neu | |
gepflanzte Baum. Denn jeder neue Baum ist ein guter Baum.“ | |
Ich stecke in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite stehen die Vorwürfe des | |
modernen Ablasshandels. Und die einer kontraproduktiven Konsumbotschaft. | |
Sowie meine Sorge, dass diese ganze CO2-Kompensationsrechnung eine Wette | |
auf die Zukunft ist, von der man gar nicht weiß, ob die Bäume noch stehen | |
werden. | |
Auf der anderen Seite wurden 375 Millionen Setzlinge auf Madagaskar | |
gepflanzt, viele von ihnen werden groß werden, und irgendwo muss man ja | |
anfangen. | |
## In der Mondlandschaft | |
Mitten in diese Gedanken platzt die Zeit mit einer umfangreichen | |
[1][Recherche], in der sie aufdröselt, wie die bekannte deutsche | |
Baumpflanzorganisation „Plant for the Planet“ Millionen von Spendengeldern | |
einsammelt und angibt, davon Millionen Bäume in Mexiko gepflanzt zu haben. | |
Die Autoren der Zeit jedoch bezweifeln das – ein dickes Brett. | |
Auch deshalb habe ich jetzt erst mal genug von fernen Bäumen an fernen | |
Orten. Ich will es konkreter, realer haben. Wie läuft das in Deutschland | |
mit dem Bäumepflanzen, mit der Wiederaufforstung, mit der Waldrettung? | |
Ich stehe in einer Mondlandschaft. Schaue ich nach links: Sand. Schaue ich | |
nach rechts: Sand. Drehe ich mich einmal um mich selbst: Sand. Dazwischen | |
ein paar Baumstümpfe. Ich bücke mich und hebe verkohlte Rindenreste auf. Im | |
August 2018 brannten hier 400 Hektar Kiefernwald. Der größte Brand seit | |
vielen Jahren in Brandenburg. Der Geruch wehte bis nach Berlin. Ich | |
erinnere mich, wie ich die Fenster schloss und im Internet nachlas, was los | |
war. | |
Neben mir steht Jeanette Blumröder. Sie ist 35, Doktorandin und Ökologin | |
von der [2][Hochschule] für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Oft war sie | |
schon hier, zwischen den Sanddünen, der einstigen Brandstätte. Jedes Mal | |
wieder wird sie wütend. Sie zeigt auf einen kleinen verdorrten Setzling. | |
„Kiefer“, sagt sie. „Da noch eine, da noch eine, da noch eine.“ | |
Tatsächlich: Reihe um Reihe kleiner Kiefern und alle vertrocknet. Blumröder | |
erklärt: Hier hätten die privaten Waldbesitzer nach dem Brand die Fläche | |
komplett freigeräumt, die Stümpfe gerodet, alles einmal umgepflügt und dann | |
einfach wieder Kiefern gepflanzt, Tausende und Abertausende. | |
Doch erst kam kein Regen, dann prallte die Sonne, schließlich pfiff der | |
Wind über die kahle Fläche. Kein Schatten, kein Schutz, nichts. Der | |
umgepflügte, sandige Boden konnte weder eine neue Schicht Waldboden bilden | |
noch den Regen speichern. Die Folge: Die neuen Jungpflanzen starben. | |
Blumröders Chef, Pierre Ibisch, hat diese Form „der Totalrodung, des | |
Waldaufräumens, des Waldbodenpflügens“ auch in vielen anderen Bundesländern | |
beobachtet. Etwa da, wo der Borkenkäfer unterwegs ist und der Mensch mit | |
Kahlschlag reagierte. „Die Konzepte von früher wirken einfach nicht mehr, | |
sind sogar überaus schädlich“, sagt er am Telefon. Wenn die restlichen | |
285.000 Hektar Wald, die in den letzten drei Jahren durch Brände, Hitze und | |
Borkenkäfer vernichtet wurden, genauso wiederaufgeforstet würden, „dann | |
verpassen wir wertvolle Jahre, in denen wir jetzt schon einen anderen Wald | |
zulassen könnten“, sagt er. | |
Ein paar hundert Meter von den Sanddünen entfernt liegen die | |
Forschungsflächen der Hochschule. Blumröder und ihre Kollegen haben die | |
Stämme der verbrannten Bäume stehen und die Asche und das verbrannte Holz | |
liegen gelassen und auch sonst nichts angerührt. | |
Es ist ein Unterschied wie Wüste und Oase, denn das Leben ist hier längst | |
wieder zurück. Den Boden bedecken Moose und Krautpflanzen. Dazwischen | |
wachsen junge Zitterpappeln, manche von ihnen sind schon über zwei Meter | |
hoch, und kleine Eichen. Insgesamt müssen es Tausende sein. „Das ist | |
Naturverjüngung“, sagt Blumröder, „der Wald erholt sich von alleine. Der | |
Mensch braucht eigentlich gar nichts zu machen.“ | |
Das Problem: Zum einen ist die Zitterpappel kein gutes Bauholz. Zum anderen | |
würde mit der Naturverjüngung ein Wald wachsen, der nicht in die genormte | |
Forst- und Holzwirtschaft passe. | |
Bisher hatte ich verstanden, dass Bäumepflanzen das große Ding ist. Nun | |
lerne ich, dass die Natur ihre Arbeit auch ohne den Menschen macht, wenn | |
man sie nur ließe. Allerdings viel langsamer, ungeordneter. Und für den | |
Menschen weniger nutzbar. | |
## Voller Lust in die Erde | |
Ich wechsle den Standort. Von Treuenbrietzen in Brandenburg geht es nach | |
Berlin-Buch. Hier wird es eine Pflanzaktion geben. Ich will jetzt endlich | |
selbst Gutes tun, endlich einen kleinen aktiven Beitrag leisten. Gefunden | |
habe ich die Initiative über die Webseite „Deutschland forstet auf“. Diese | |
bringt pflanzwütige Bürger mit ehrenamtlichen Pflanzinitiativen, Förstern | |
oder Privatwaldbesitzern zusammen. | |
Es ist kalt, die Hände sind klamm, trotzdem treibe ich den Spaten voller | |
Lust in die Erde. Endlich echte Arbeit und echte Bäume. Insgesamt 400 | |
sollen an diesem Herbstsonntag auf den ehemaligen Rieselfeldern am Rande | |
von Berlin gepflanzt werden. Vor Jahrzehnten hat man hier das Berliner | |
Abwasser ausgebracht, heute ist der Boden immer noch so schwer belastet, | |
dass neue Bäume nur mit menschlicher Hilfe wachsen können. „Wir sind | |
Städter, die was für Natur, Wald und Klima machen wollen“, erklärt Karo | |
Streicher von der Initiative „aufbuchen“. Der Förster hat ihnen erlaubt, | |
auf diesem sonst aussichtslosen Stück Land ihr Glück zu versuchen. | |
Loch ausheben, die alte schlechte Erde mit neuer guter Erde mischen. Das | |
Loch wieder füllen. Die Wurzeln des kleinen Bäumchens anfeuchten, | |
Spezialdünger draufstreuen, dass Bäumchen in die lockere Erde setzen, | |
drumherum alles festtrampeln. Dann den Rehbeißschutz über den Baum stülpen, | |
an der Pflanzstange anbringen und diese mit dem Spaten in die Erde hämmern. | |
Fertig. Das dauert ewig, ist schweißtreibend. Wenn ich Deutschland | |
wiederaufforsten müsste, wäre die Natur längst vor mir fertig. Drei | |
Elsbeeren-Bäume schaffe ich. Alex, Matthias und Barbara, so taufe ich sie. | |
Auf dem Weg nach Hause setze ich ein paar Fotos auf meinem Instagram-Kanal | |
ab, dabei fällt mein Blick auf die Werbung eines Mineralwassers, das mit | |
mir Bäume in die Erde bringen möchte. Ich bräuchte nur einen virtuellen | |
Baum anklicken, schon pflanzen sie einen Baum für mich in ihrem | |
Zukunftswald in der Eifel. Ich entscheide mich für den Bergahorn. | |
Am Ende dieser Recherche komme ich auf 30 Bäume insgesamt. Ein kleiner | |
Karl-Wald. | |
Jeder Baum zählt, in Deutschland und Madagaskar, dem stimme ich zu. Doch | |
wiederum nicht überall: Wo welche Bäume gepflanzt werden, ist für Klima und | |
regionale Ökosysteme ein entscheidender Faktor. | |
Wer in Deutschland Bäume pflanzt und dafür Fördergelder beantragt, muss | |
Quittungen aus Baumschulen vorweisen und sich von den örtlichen Behörden | |
kontrollieren lassen. International fehlt so eine externe Instanz. Es sind | |
die Organisationen selbst, die zählen und Nachweisbarkeit versprechen, mehr | |
Sicherheit gibt es bislang nicht. | |
Und: Selbst Milliarden neue Bäume werden den Klimawandel allein nicht | |
aufhalten können. Es ist nur ein Punkt auf einer langen Liste. Alte Wälder | |
müssen geschützt werden. Konsum, Verkehr, Energie, Ernährung müssen neu | |
gedacht werden. Ein Weiterso wie bisher kann es nicht geben. Auch nicht, | |
wenn man für einen Flug 100 Bäume pflanzt. | |
12 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/2020/53/plant-for-the-planet-klimaschutz-organisation-m… | |
[2] https://www.hnee.de/de/Startseite/HNEEberswalde-Startseite-E9875.htm | |
## AUTOREN | |
Karl Grünberg | |
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