# taz.de -- Baumrinde als Rohstoffe für Textilien: Schicke Borke | |
> Industriedesignerin nutzt die Rinde heimischer Bäume zur Herstellung von | |
> Textilien. Dazu musste sie neue Verarbeitungstechniken entwickeln. | |
Bild: Schon jetzt ziemlich schick, aber nicht Prêt-à-porter: die Eiche | |
BERLIN taz | Charlett Wenig geht in den Wald, um eine neue Jacke zu | |
designen. Sie fertigt sie zusammen mit ihrer Kollegin Johanna | |
Hehemeyer-Cürten aus der Rinde der Kiefer. Noch sind es Unikate. Wenig, | |
eine junge Industriedesignerin, geht es aber nicht nur um eine Jacke: Sie | |
ist auf der Suche nach grüneren, also ökologischeren Materialien, mit denen | |
sie Models auf den Laufsteg schicken, aber auch Werkstoffe für Zelte oder | |
Messepavillons ersetzen kann. | |
Derzeit schreibt sie dazu ihre Doktorarbeit am [1][Max-Planck-Institut für | |
Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam]. Sie wurde zusammen mit | |
Hehemeyer-Cürten – sie ist eine Modedesignerin von der [2][Kunsthochschule | |
Weißensee] – bereits in einem Wettbewerb für Nachwuchsforscherinnen und | |
-forscher ausgezeichnet – Kategorie: „Visions“. | |
Eigentlich ist es allerdings eine alte Sache. Baumrinde zählt zu den | |
ältesten Textilien der Welt. In Uganda zum Beispiel kleidete der Stoff | |
früher Könige. Doch im 19. Jahrhundert brachten arabische Händler gewebte | |
Baumwollstoffe in das ostafrikanische Land. Die Produktion des | |
Borkenstoffs, häufig englisch Bark Cloth genannt, nahm rapide ab. | |
Wiederentdeckt wird er erst in den 90er Jahren. | |
2005 erklärte die Unesco die handwerkliche Herstellung des Rindentuchs zum | |
„Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Kulturerbes“, 2014 zählt die | |
Nasa den Stoff zu den Top 10 weltweiter Materialinnovationen, genauer: das | |
Rindentuch, das das deutsch-ugandische [3][Unternehmen Barktex] mit Sitz im | |
baden-württembergischen Ebringen aus Uganda importiert. | |
Die Kunden sind Designer und Innenausstatter, sie machen daraus Schuhe, | |
Tapeten, Lenkradbezüge. Nur: Der Stoff ist aus der sich immer wieder | |
erneuernden Rinde des [4][ostafrikanischen Feigenbaums Mutuba.] Forscherin | |
Wenig sucht das Material bei frisch gefällten Bäumen in Brandenburg und | |
Hessen. | |
## Bisher nur ein Abfallprodukt | |
Sie, eigentlich ein ruhig, sachlicher Typ, schwärmt regelrecht: „Kiefern, | |
Eichen, Fichten werden mehr als 20 Meter hoch, die Baumrinde ist ein | |
riesiges Stück.“ Nur sei diese bislang ein Abfallprodukt. Weltweit fielen | |
in der Holzindustrie jedes Jahr rund 60 Millionen Tonnen Rinde an, die | |
allenfalls zu Rindenmulch für den Garten verarbeitet, meist aber verbrannt | |
werde. Eine Verschwendung, zumal wenn man bedenkt: Der Ressourcenverbrauch | |
der Menschheit ist derzeit so hoch, dass eigentlich 1,6 Erden nötig wären, | |
um ihn nachhaltig zu decken. Das rechnen Umweltexperten immer wieder vor. | |
Charlett Wenig geht in Schritten vor. Herausforderung Nummer eins, die sie | |
zunächst lösen musste: Wie schält man einen Baum? „An der Antwort habe ich | |
ein Jahr lang viel gearbeitet“, sagt Wenig. Ohne Wulf Hein im hessischen | |
Birstein hätte es womöglich noch länger gedauert. | |
Hein sei Archäo-Techniker, erzählt die Forscherin. Ihn habe sie ausfindig | |
gemacht. Er könne Rinden schälen, weil er sich viel damit beschäftigt habe, | |
wie die Menschen in der Steinzeit gelebt hätten. Damals seien Fußböden aus | |
Birkenrinde gelegt worden. Auch im Neuen Garten des Potsdamer Schlosses | |
Sanssouci stünde ein „Borkenhäuschen“, wenn auch wieder neu aufgebaut, es | |
sei ein Zeichen für die Nutzung von Rinde auch im Barock. | |
„Man brauche ein bisschen Handwerk und Geschick, um sie zu gewinnen“, meint | |
Wenig. „Der Baum muss gerade voll im Saft stehen, es muss also geregnet | |
haben, dann setzen Sie einmal einen Längsschnitt, gehen dort mit einem | |
Schäleisen hinein und heben die Borke, so dass Sie sie dann langsam in | |
einem Stück abziehen können.“ Das hört sich einfacher an. als es ist: | |
Selbst wenn sie Helferinnen und Helfer hat, braucht sie zwei bis drei Tage, | |
um rund 12 Bäume zu schälen, die sie im Jahr für ihre Forschung benötigt. | |
Nur: Die Rinde besteht in der Regel aus einer inneren Bastschicht, in der | |
Nährstoffe für den Baum transportiert werden, und aus der Borke, das sind | |
die abgestorbenen Bastzellen. Elastisch ist sie nicht. „Baumrinde trocknet | |
superschnell und zerbröselt dann regelrecht“, sagt Wenig. So kam | |
Herausforderung Nummer zwei. Wenig versuchte mit ihren Kolleginnen und | |
Kollegen im Labor die Rinde – wie sie sagt – zu „flexibilisieren“. | |
Es gelang mit einer Lösung aus Glyzerin, die sonst Lebensmittel feucht hält | |
und in Kosmetik steckt. Bis zu zwei Tage legte Wenig die Rinde darin ein | |
„da wurde das wie Leder, nur nicht ganz so flexibel“. Aber sie konnte mit | |
Hehemeyer-Cürten zum ersten Mal eine Jacke aus dem Material fertigen – und | |
stieß auf Herausforderung Nummer drei. | |
## Verwebte Rindenstreifen | |
Der Stoff war noch immer zu steif. Das Model, dem sie die Jacke auf den | |
Leib schneiderten, konnte die Arme nicht heben. Also tüftelten sie weiter, | |
verwebten Rindenstreifen dünn wie Spaghetti. Es entstand ein stretchiger | |
Stoff für Jacken oder Hosen. | |
Lässt er sich denn auch im strömenden Regen tragen? „Ich würde auch mit | |
einer Lederjacke bei solchem Wetter nicht rausgehen“, sagt Wenig. Und wie | |
soll die Rinde im großen Stil geerntet werden? Die Holzindustrie müsse sich | |
dafür freilich umstellen, doch es sei denkbar, mit der Technik zu arbeiten, | |
mit der auch Holzfurnier hergestellt werde. | |
Dass ihr Rindenstoff nicht von heute auf morgen auf den Laufstegen der Welt | |
getragen wird, schreckt Wenig nicht. „Das ist Grundlagenforschung“, sagt | |
sie. Und weiter: „Bis Carbon entwickelt wurde, hat es auch lange gedauert.“ | |
Das Material, aus dem zum Beispiel Fahrradrahmen und Sportgeräte gemacht | |
werden, gilt als bruchfest und leicht. Sie wolle Naturmaterialien verstehen | |
und Designerinnen und Designer damit vertraut machen, meint Wenig: | |
„Baumrinde könnte auch ein Stoff sein, der sich als Außenhaut für Zelte auf | |
Festivals oder Pavillons auf Messen eignet.“ Sie wird wieder in den Wald | |
gehen und am Stoffwechsel forschen. | |
22 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mpikg.mpg.de/ | |
[2] https://www.kh-berlin.de/ | |
[3] https://www.barktex.com/ | |
[4] /Globaler-Textilhandel-mit-lokalen-Folgen/!5469852 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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