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# taz.de -- Rechter Sturm auf US-Kongress: Der Putschversuch
> US-Präsident Trump rief, Tausende kamen. Wie es gelingen konnte, den
> Kongress in Washington zu stürmen und die Sitzung des Senats zu sprengen.
Bild: Mit gezogener Waffe: Zivilpolizisten vor einer Tür, hinter der Eindringl…
Es ist kurz vor 17.00 Uhr am Mittwochnachmittag, als die Polizei damit
beginnt, das Kapitol, dieses Symbol der Demokratie in den Vereinigten
Staaten, von den Eindringlingen zu räumen. Blendgranaten explodieren. Rund
eine halbe Stunde später sind es noch einige Dutzend Menschen, die aus dem
Gebäude abgedrängt werden. „Gehen Sie zurück!“, rufen die Polizisten.
Einige der Demonstranten antworten mit „USA, USA!“-Rufen und beschimpfen
die Beamten als „Verräter“. Einer sagt: „Wir werden zurückkehren, und du
wirst bedauern, was du hier gemacht hast.“ Dann verlassen die Menschen das
weiße Haus mit der großen runden Kuppel. Doch draußen befinden sich zu
diesem Zeitpunkt noch Tausende ihrer Anhänger und Freunde.
Es sind verstörende Szenen, die aus Washington um die Welt gehen. Anhänger
von US-Präsident Donald Trump haben am Mittwoch das [1][US-Kongressgebäude
gestürmt], die Abgeordneten dazu gezwungen, ihre Sitzung zur Bestätigung
des Wahlsiegs von Joe Biden zu unterbrechen. Die Demonstranten, in ihrer
großen Mehrheit weiße Männer, reklamieren den Wahlsieg für Donald Trump und
wiederholen all die Lügen, die der amtierende US-Präsident ihnen immer
wieder in die Köpfe eingehämmert hat. Sie verhindern eine Sitzung ihrer
frei gewählten ParlamentarierInnen und stellen damit die Demokratie genau
dort infrage, wo ihr Herz schlägt.
Wie konnte das geschehen?
Das war seit mindestens vier Jahren vorbereitet, mögen die Weitsichtigen
sagen, die im Agieren von Donald Trump vom ersten Tag seiner
Präsidentschaft an eine Gefahr sahen. Aber ganz konkret begannen die
Vorbereitungen zu diesem versuchten Putsch einige Wochen zuvor, lange nach
dem Sieg Joe Bidens, den Trump bis heute nicht anerkennen will.
## Der Marsch, die Trump-Rede
„Rettet-Amerika-Marsch“, so lautete der Name der Demonstration, die seit
Tagen in Washington angekündigt war, just für den Tag, an dem der Kongress
Joe Bidens Wahlsieg bestätigen sollte. „Rettet Amerika“: So nennt sich auch
die Organisation, die nach dem 3. November zusammen mit „Trump Victory“ 200
Millionen US-Dollar an Spendengeldern eingesammelt hat, um Trump mit allen
erdenklichen und unerdenklichen Mitteln doch noch zur Fortsetzung seiner
Präsidentschaft zu verhelfen. Am Montag, zwei Tage vor Beginn der
Protestaktion, kündigt Trump an, bei der Demonstration seiner Anhänger zu
sprechen.
Und das tut er dann auch. Er gibt den [2][Einpeitscher], wiederholt seine
Behauptung, er sei der Sieger vom 3. November und die Wahl sei von den
„radikalen“ Demokraten gestohlen. Und dann sagt er: „Niemals hat es eine …
großartige Bewegung gegeben wie diese. Wir müssen den Diebstahl stoppen
und dann müssen wir sicherstellen, dass so etwas nie wieder stattfinden
wird.“
Immer wieder sagt Trump: „Wir können das nicht zulassen.“ Er ermutigt die
Demonstranten in seiner Ansprache, sich auf den Weg zum Kongressgebäude zu
begeben und sich dort Gehör zu verschaffen. „Wir werden heute sehen, ob
Republikaner die Integrität besitzen, für unsere Wahlen einzustehen.“
Und die Menge antwortet: „Kämpft für Trump! Kämpft für Trump! Kämpft für
Trump!“
Unter den Demonstranten befindet sich Elizabeth Buchholz, die nun zusammen
mit einer Freundin aus Michigan in der Nähe des Kongressgebäudes
demonstriert. „Sollte dieses Wahlergebnis nicht gekippt werden, dann werden
wir in diesem Land niemals wieder gültige Wahlen haben“, glaubt sie.
## „Ich bin bereit zu kämpfen“
Trotz der aufgeheizten Stimmung geben sich die meisten Demonstranten damit
zufrieden, ihre Unterstützung für den Präsidenten mit Fahnen und Plakaten
unter Beweis zu stellen. In der Menge befinden sich jedoch auch
Trump-Anhänger, die schusssichere Westen und Militärkleidung tragen.
Offenes Waffentragen hingegen, wie es immer wieder bei
Pro-Trump-Demonstrationen etwa in Wisconsin zu sehen war, ist in
Washington, D. C., verboten.
„Ich bin bereit zu kämpfen“, sagt Bradley Anderson. „Ich habe Enkelkinder
und ich will nicht, dass diese in einem Land aufwachsen, in dem sie nicht
frei sind. Ich werde es nicht zulassen. Und ich weiß, dass viele andere
ähnlich denken.“
Anderson, der ursprünglich aus Erie im Bundesstaat Pennsylvania stammt, ist
als sogenannter MAGA(„Make America Great Again“)-Mann verkleidet. Er trägt
einen Umhang, eine Maske und ist von Kopf bis Fuß in den US-Farben Rot,
Weiß und Blau gekleidet. „Es wird eine Revolution geben. Sollten die
Politiker die aktuelle Situation nicht berichtigen, dann wird es zu Kämpfen
kommen“, sagte er. Tausende von Trump-Anhängern haben sich in den
vergangenen Tagen in der Hauptstadt versammelt, um gegen die nach ihrer
Meinung gestohlene Wahl zu demonstrieren.
Die Polizei ist an diesem Nachmittag nur mit erstaunlich geringen Kräften
vor Ort. Die Beamten präsentieren sich in ihren Uniformen und keineswegs in
Kampfmontur. Das Vorfeld des Kapitols haben sie mit Absperrgittern
gesichert. Man ist offenbar nur darauf vorbereitet, den Protest zu
begleiten, aber nicht, einen Angriff abzuwehren. Für einen Teil der
Demonstranten ist es ein Leichtes, die Metallabsperrungen zu überwinden und
bis an die Mauern des Gebäudes vorzudringen.
## Der Angriff
Immer wieder schlägt ein Mann in schwarzem Kapuzenpullover mit seinem
Baseballschläger auf ein Fenster im Erdgeschoss ein, bis die Scheibe
zersplittert. Er drängt sich durch das Fenster, andere folgen ihm. Bald
bevölkern Hunderte Eindringlinge das Gebäude, die es auch anderswo
hineingeschafft haben. Sie tragen blaue Flaggen mit der Aufschrift „Trump
2020. Nie wieder diese Scheiße“ bei sich oder die US-Flagge mit Sternen und
Streifen. Manche haben Gasmasken dabei. Sie rufen „USA“ und „Vier Jahre
mehr“.
Bevor die weißen Männer die Tagungsräume erreicht haben, wird der Kongress
evakuiert. Die Abgeordneten beider Kammern werden eiligst in geschützte
Räume gebeten. Von dort geben sie telefonische Interviews mit den großen
Fernsehanstalten, aus denen die Verzweiflung über das Geschehen
durchscheint. Auf der Bühne oberhalb eines Sitzungssaals kauern und liegen
zeitweise Menschen, die Schutz vor den Putschisten suchen. Möbel sind
umgestürzt. Wolken von Tränengas wabern durch die Räume. Zum Schutz der
Abgeordneten stellen sich vier in Zivil gekleidete Sicherheitsbeamte mit
gezogenen Pistolen vor eine Tür, durch die Angreifer hereinzukommen drohen.
Dann fallen Schüsse, die Details bleiben bis zum Donnerstag ungeklärt. Eine
35-jährige Frau, die offenbar zu den Eindringlingen zählt, wird in die
Brust getroffen. [3][Ashli B.] aus Kalifornien diente früher bei der Air
Force. Auf ihrem Twitter-Account finden sich später Fotos und Videos von
Pro-Trump-Demonstrationen. Noch am Mittwoch stirbt Ashli B. an ihren
Schussverletzungen. Sie bleibt das einzige Todesopfer.
Die Demonstranten dringen inzwischen bis in die Büros der Abgeordneten vor.
Unbekannte brechen auch in das Zimmer von [4][Nanci Pelosi], der
Mehrheitsführerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, ein. Einer
hinterlässt dort auf dem Schreibtisch einen Zettel. In roter Schrift steht
da: „Wir werden nicht aufgeben.“
Etwa zwei Dutzend Demonstranten sind in den Sitzungssaal des Senats
eingedrungen. Ein weißer Mann mit dunkler Kapuze und Mund-Nasen-Schutz
lässt sich demonstrativ auf dem Stuhl des Senatspräsidenten nieder.
[5][Rick Crosby], ein 25-Jähriger aus Connecticut, sagt der Washington
Post, sie hätten ein Foto mit der Bibel von US-Vizepräsident Mike Pence
gemacht. „Ich glaube, das wird ein Moment werden, der in die
Geschichtsbücher eingehen wird“, sagt er zum Sturm auf das Kapitol.
Inzwischen wird [6][Donald Trump] von allen Seiten bestürmt, seine Anhänger
zum Rückzug zu bewegen. Erst gegen 16.15 Uhr erscheint der US-Präsident auf
einem Video, wo er aber zunächst nur die Mär von der gefälschten Wahl
wiederholt. Erst dann sagt er: „Wir müssen Frieden haben. Also geht nach
Hause. Wie lieben euch, ihr seid etwas ganz Besonderes.“ Eine Distanzierung
sieht anders aus.
In seiner Heimatstadt Wilmington, Delaware tritt der gewählte Präsident
[7][Joe Biden] vor die Fernsehkameras und findet deutlichere Worte: Was wir
sehen, ist eine kleine Zahl von Extremisten, die der Gesetzlosigkeit
frönen. Dies ist keine Meinungsverschiedenheit. Es ist Unordnung. Es ist
Chaos. Und es muss enden. Jetzt. Ich rufe den Mob dazu auf, das Haus zu
verlassen und der Demokratie zu erlauben weiterzuarbeiten.“
Inzwischen hat die Bürgermeisterin von Washington eine Ausgangssperre von
18.00 Uhr bis 6.00 Uhr am nächsten Morgen verhängt. Polizeieinheiten aus
der Hauptstadt und der Umgebung sind alarmiert worden und erreichen das
Gelände des Kapitols, wo noch immer Tausende Trump-Anhänger direkt vor dem
Gebäude die machtlosen Sicherheitsbeamten vorführen.
## Das Versagen der Polizei
Aber dabei bleibt es nicht. Während bei Black-Lives-Matter-Protesten in den
USA die Beamten häufig mit äußerster Gewalt gegen Demonstranten vorgehen,
kommt es zwischen den rechtsgerichteten Protestlern und den Polizisten in
Washington zu regelrechten Verbrüderungsszenen. Ein in den sozialen Medien
gepostetes Bild zeigt einen Offizier, der zusammen mit einem der
Eindringlinge ein Selfie macht. Ein Video legt nahe, dass Polizisten
Demonstranten ein Sicherheitsfenster öffneten.
Etwa bei Einbruch der Dunkelheit beginnen sich die ersten Demonstranten
außerhalb des Gebäudes langsam auf den Heimweg zu machen. Niemand hält sie
auf. Voller Stolz zeigen sie ihre blauen Trump-Banner und US-Flaggen. Nicht
alle sind damit einverstanden, dass andere Menschen den Kongress gestürmt
und besetzt haben. Einige zeigen sich schockiert über das Verhalten des
aggressiven Mobs. Trump-Anhängerin Elizabeth Buchholz meint, dieses
Verhalten mache die USA zum Gespött der Welt.
Als die Verstärkung der Polizei eingetroffen ist, beginnt endlich die
Räumung des Geländes und des Kapitols. Außerhalb drängen die Beamten die
Demonstranten immer weiter ab, aber auch nach Beginn der Sperrstunden
zeigen die Fernsehbilder keine Festnahmen. Lautsprecherdurchsagen werden
gemacht: Eine Ausgangssperre ist jetzt in Kraft. Alle Personen müssen das
Gelände des US-Kapitols verlassen oder sie werden festgenommen, heißt es.
Auch die meisten Eindringlinge können das Gebäude unbegleitet verlassen.
Unter ihnen befinden sich auch Rechtsradikale von den „Proud Boys“ und der
antisemitischen Bewegung QAnon. Ein Foto zeigt eine Person, die offenbar
den Arm zum Hitlergruß reckt. Ein bekannter QAnon-“Schamane“ posiert auf
einem Foto. Eine Frau wird bei der Räumung von einem Polizeioffizier die
Treppe heruntergeleitet, schreibt die Washington Post. Am späten
Mittwochabend heißt es vonseiten der Behörden, es habe 52 Festnahmen
gegeben, darunter 47 wegen Verletzung der Ausgangssperre. Alle anderen
Personen können unbehelligt den Ort eines versuchten Putsches in
Washington, D. C., der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika,
verlassen.
Am frühen Donnerstag ruft das FBI die Öffentlichkeit dazu auf, „Hinweise
und digitale Medieninformationen, die dabei helfen könnten, Aufrührer, die
das Kapitol besetzt hielten“, zu ermitteln, an die Behörde weiterzugeben.
7 Jan 2021
## LINKS
[1] /Chaos-in-Washington/!5742460
[2] https://www.rev.com/blog/transcripts/donald-trump-speech-save-america-rally…
[3] https://www.theguardian.com/us-news/2021/jan/07/ashli-babbitt-woman-shot-an…
[4] /Demokraten-nach-der-US-Wahl/!5728012
[5] https://www.washingtonpost.com/dc-md-va/2021/01/06/dc-protests-trump-rally-…
[6] https://www.youtube.com/watch?v=CTM7gYSMn7A
[7] https://www.youtube.com/watch?v=BaTFqDNtuuc
## AUTOREN
Hansjürgen Mai
Klaus Hillenbrand
## TAGS
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