| # taz.de -- Neue BVG-Chefin Eva Kreienkamp: „Die BVG kann wieder gestalten“ | |
| > Frisch im Amt, muss BVG-Chefin Eva Kreienkamp gleich die Coronakrise | |
| > stemmen. Aber sie verspricht den KundInnen einen „Quantensprung“ an | |
| > Modernität. | |
| Bild: „Metropolen brauchen öffentlichen Verkehr wie die Luft zum Atmen“: B… | |
| taz: Frau Kreienkamp, seit 1. Oktober sind Sie Vorstandsvorsitzende der | |
| BVG, dies ist Ihr erstes Interview für die taz. Deshalb erst ein kurzer | |
| Blick zurück: Zuletzt gehörten Sie der Geschäftsführung der Mainzer | |
| Verkehrsgesellschaft an und haben unter anderem die Planungen für die | |
| CityBahn vorangetrieben, eine Straßenbahn von Mainz nach Wiesbaden. Die | |
| WiesbadenerInnen haben das Projekt im November per Bürgerentscheid gekippt. | |
| Frustriert Sie das nachträglich? | |
| Eva Kreienkamp: Ich bedauere es tatsächlich sehr, weil damit ein regionales | |
| Verkehrsprojekt durch eine Kommune einfach gestoppt wurde. Die CityBahn | |
| sollte bis in den Rheingau-Taunus-Kreis führen, und sowohl dort als auch in | |
| Mainz war man sehr daran interessiert. Nur die Wiesbadener in der Mitte | |
| haben gesagt: Nö, wollen wir nicht. Wahrscheinlich muss man neue Wege | |
| finden, wie man interkommunale Zusammenarbeit organisiert und wie | |
| Bürgerbeteiligung in einem solchen Kontext funktioniert. | |
| Warum wollten die Wiesbadener keine Straßenbahn? | |
| Da müssen Sie tatsächlich die Wiesbadener fragen. Ich habe von der Mainzer | |
| Seite her meinen Beitrag dazu geleistet, auch in Wiesbaden die Straßenbahn | |
| als etwas Positives darzustellen. | |
| Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Job in Mainz und dem | |
| neuen in Berlin? | |
| Natürlich sind es erst einmal Unterschiede in der Größe und Komplexität. | |
| Mainz hat keine U-Bahn. Viele Fragestellungen sind aber ähnlich: Wie geht | |
| Verkehrswende? Wie lassen sich Ballungsraumverkehr und ländlicher Verkehr | |
| verzahnen? Wo und wie wächst eine Stadt, und was muss man tun, damit die | |
| Menschen in dieser Entwicklung möglichst früh ÖPNV-affin sind? | |
| Kann man allgemein sagen, dass BerlinerInnen passioniertere | |
| ÖPNV-NutzerInnen sind? | |
| Berlin ist eine Metropole, und Metropolen brauchen öffentlichen Verkehr wie | |
| die Luft zum Atmen. Dort, wo Großstädte weltweit stark gewachsen sind und | |
| keinen öffentlichen Verkehr vorgesehen haben, führt das regelmäßig zu | |
| Chaos. Berlin hat das Glück, schon vor 100 Jahren mit der Gestaltung des | |
| ÖPNV begonnen zu haben. Dessen Bedeutung ist heute angesichts von | |
| Klimawandel und Verkehrswende umso wichtiger, und er muss gut gemacht | |
| werden, um immer mehr Menschen zu überzeugen. | |
| Sie haben 1998 die Wirtschaftsweiber mitgegründet, ein Netzwerk lesbischer | |
| Fach- und Führungskräfte, heute gelten Sie schon mal als „Deutschlands | |
| bedeutendste LGBTI-Managerin“. Ist die Tatsache, dass eine lesbische Frau | |
| die BVG leitet, heute Normalität? | |
| Ich habe zuletzt einige Ehrungen für Dinge bekommen, die ich vor 30 Jahren | |
| angestoßen habe. Damals waren sie wahrscheinlich noch wesentlicher als | |
| heute – inzwischen sind ja Diversity Management und Gender Equality auch | |
| Teil wirtschaftlichen Denkens und Handelns. Da sind wir schon ein großes | |
| Stück weiter. Ich persönlich bin einfach in einer Lebensphase, in der ich | |
| mich kraft meiner beruflichen Aktivitäten so entwickelt habe, dass ich | |
| jetzt Chefin des größten öffentlichen Nahverkehrsunternehmens der Republik | |
| geworden bin. Das ist das Ergebnis einer gesamten beruflichen Karriere. | |
| Wie ist denn die BVG als Arbeitgeberin in Sachen Diversity aufgestellt? | |
| Sie ist meines Erachtens auf einem sehr guten Weg. Die BVG hat die | |
| Bedeutung von Diversity Management sehr früh erkannt, was auch daran liegt, | |
| dass sich der Vielfalt der Stadt im Unternehmen abbildet. Bei uns arbeiten | |
| Menschen mit sehr unterschiedlicher Herkunft, und auch Berlins große | |
| LGBTI-Community findet sich bei uns wieder. Daraus etwas zu machen, ist | |
| einfach folgerichtig. Nichtsdestotrotz gibt es Felder, wo sich das noch | |
| mehr lohnen kann. Etwa beim Thema Generationen: Dadurch, dass die BVG wie | |
| andere Anstalten öffentlichen Rechts einen Sparkurs hinter sich hat, gibt | |
| es bei der Altersstruktur eine Lücke in der Mitte: Wir haben viele junge | |
| Menschen und etliche, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. | |
| Diese Lücke muss durch Erfahrungsaustausch gefüllt werden. Und als | |
| Mobilitätsunternehmen haben wir tatsächlich auch deutlich mehr Männer als | |
| Frauen in der Belegschaft und werden da in den nächsten zehn Jahren nicht | |
| auf 50:50 kommen. Das wäre illusorisch. | |
| Weil diese Berufe immer noch mehr männliche Auszubildende anziehen? | |
| Das sind natürlich geschlechterstereotype Berufsbilder. Dass es in den | |
| Werkstätten und auch beim Fahrpersonal relativ wenige Frauen gibt, ist | |
| gesellschaftlich konnotiert, indem etwa solche Tätigkeiten als „schwer“ | |
| angesehen werden. Aber wir haben, das ist europaweit einzigartig, eine Frau | |
| als U-Bahn-Chefin, und es gibt noch mehr Frauen in Führungspositionen. Wir | |
| versuchen in diese noch männlich dominierten Bereiche Frauen hinzubringen, | |
| sodass sich das über die Zeit wandelt. Manchmal muss man eben von oben | |
| anfangen. | |
| Lassen Sie uns einen Blick auf die aktuelle Situation werfen: Auch wenn | |
| heute viel mehr Menschen Bahn und Bus nutzen als zu Beginn der | |
| Coronapandemie, dürfte der Einbruch massiv gewesen sein. Haben Sie schon | |
| einen Überblick? | |
| Zurzeit hat es sich auf ein Niveau von rund 70 Prozent des Vorjahres | |
| eingependelt. Das ist natürlich katastrophal, 2019 hatten wir noch | |
| Rekordzahlen. Und es bedeutet Einnahmeverluste, zu denen Mehraufwand durch | |
| erhöhte Sicherheitsanforderungen kommt. Nicht nur die „Duschvorhänge“, die | |
| in den Bussen die Fahrkabine schützen: Wir reinigen auch häufiger und haben | |
| unsere Schichten etwas auseinandergezogen, damit sich in den Werkstätten | |
| keine großen Gruppen ballen. Das bedeutet in diesem Jahr ungefähr ein | |
| Volumen von 190 Millionen Euro, wobei wir den Fehlbetrag durch Einsparungen | |
| auf rund 160 Millionen drücken konnten. Dank des ÖPNV-Rettungsschirms, für | |
| den Mittel vom Bund und vom Land kommen, stehen wir im Ergebnis ganz gut | |
| da. | |
| Hat sich denn die Disziplin der Fahrgäste beim Maskentragen auch | |
| eingependelt? | |
| 95 bis 98 Prozent der Menschen haben verstanden, dass es sinnvoll ist, sich | |
| und andere in der Bahn oder im Bus mit einer Maske zu schützen. Aber dann | |
| gibt es leider noch diese 2 bis 5 Prozent Personen, die das nicht verstehen | |
| können oder wollen. Wegen ihnen müssen wir weiterhin kontrollieren, und die | |
| anderen Fahrgäste erwarten das auch. Für Berlin ist das neu, hier war ja | |
| sonst jede Form von Kontrolle im öffentlichen Bereich tendenziell als | |
| negativ angesehen. | |
| In anderen europäischen Metropolen haben sogar Bushaltestellen | |
| Desinfektionsmittelspender. Warum gibt es so etwas nicht bei der BVG? | |
| Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir daran glauben, dass die | |
| Menschen vernünftig sind, aber auch aus Gründen der Praktikabilität. | |
| Mittlerweile ist ja klar, dass das größte Infektionsrisiko nicht von | |
| Oberflächen ausgeht. Wenn man nun unsere mehr als 7.000 Haltestellen mit | |
| Desinfektionsspendern ausstattet, wird erwartet werden, dass die immer voll | |
| sind. Wenn sie dann aber auch mal geklaut sind, heißt es: Die BVG kümmert | |
| sich nicht. | |
| Gerade wurde der neue Verkehrsvertrag zwischen Senat und BVG abgeschlossen, | |
| laut Senatorin Regine Günther ein „Wachstumsvertrag, der die Verkehrswende | |
| vorantreibt“. Was erwartet uns da? | |
| Frau Günther hat recht, es ist ein Wachstumsvertrag, und dafür sind wir | |
| sehr dankbar. Nachdem die BVG jahrzehntelang quasi nur reagiert hat, ist | |
| sie jetzt wieder in einer gestalterischen Rolle. Es wird Wachstum geben und | |
| vor allem höhere Qualität: durch neue Fahrzeuge, Digitalisierung, | |
| Prozessoptimierung. In den nächsten Jahren bekommen wir 1.500 neue | |
| U-Bahn-Wagen, das heißt, der ganze Bestand wird ausgetauscht. Bei den | |
| Bussen kommen erst einmal noch 200 Doppeldecker als Diesel mit der | |
| modernsten Euro-6d-Abgasnorm – die alten Modelle müssen einfach ersetzt | |
| werden, und E-Doppeldecker gibt es noch nicht. Und dann bekommen wir | |
| Straßenbahnen aus dem neuen Rahmenvertrag, zunächst 20 Stück. In den | |
| nächsten vier, fünf Jahren werden Sie eine wirkliche Erneuerung unseres | |
| Fuhrparks sehen und einen echten Quantensprung bei der Modernität. | |
| Bis 2030 soll die gesamte Busflotte auf Elektroantrieb mit Batterie | |
| umgestellt werden. Ob ein reiner Batteriebetrieb ideal ist, ist umstritten. | |
| Aber es war ein Versuch in Spandau geplant, bei dem in einem Hybridsystem | |
| Oberleitungen mit deutlich kleineren Batterien in den Fahrzeugen kombiniert | |
| werden. Gibt es da Neues? | |
| Für uns ist jetzt am wichtigsten, die Fahrzeuge, die wir haben und die in | |
| der Pipeline sind, einzufahren und Erfahrungen damit zu sammeln. Man muss | |
| immer schauen: Wie viel Experiment machen wir? Wie viel Stabilität wollen | |
| wir aufrechterhalten? Ja, wir probieren das aus, es ist in Planung, aber es | |
| wird sicher nicht schon morgen kommen. | |
| Das Straßenbahnnetz wächst recht langsam. Wann können Sie die nächsten | |
| Teilstrecken einweihen? | |
| In Adlershof haben wir gerade eine Strecke eröffnet, eine weitere ist dort | |
| im Bau und wird 2021 eröffnet. Die nächsten Strecken – vom Hauptbahnhof | |
| zur Turmstraße und die Anbindung des Bahnhofs Ostkreuz – sind im | |
| Planfeststellungsverfahren. Wir bauen sehr gerne, wenn die Planfeststellung | |
| einmal durch ist, und davor unterstützen wir die Senatsverwaltung | |
| natürlich. Aber wir sind eben auch von deren Fortschritt abhängig. | |
| In jüngster Zeit war immer wieder von der Erweiterung von U-Bahn-Linien die | |
| Rede. Braucht Berlin das? Ist das Geld nicht bei der Tram effizienter | |
| eingesetzt? | |
| Ich gehöre zu den Menschen, die versuchen, mehr Sowohl-als-auch zu denken | |
| als Entweder-oder. Es kommt auf den verkehrlichen Nutzen an. Gerade haben | |
| wir die neue U5 eröffnet, und ich fand es sehr schön, dass ich in meiner | |
| neuen Funktion gleich so etwas Großartiges machen durfte. Aber man muss | |
| sich natürlich fragen, an welchen Stellen eine U-Bahn sinnvoll ist, zumal | |
| es auch sehr lange dauert, sie zu bauen. Die Straßenbahn kann wesentlich | |
| mehr Fahrgäste aufnehmen als der Bus, und sie kann auf eigenen Trassen auch | |
| schneller fahren. Wenn es um richtig viele Menschen geht, kann dagegen auch | |
| eine U-Bahn das Verkehrsaufkommen entlasten. Das ist auch abhängig von der | |
| Bevölkerungs- und Quartiersentwicklung. Die Senatsverwaltung versucht | |
| gerade, sich ein vernünftiges Bild von Nutzen und Kosten zu machen, da will | |
| ich nicht vorgreifen. | |
| Das heißt aber auch: U-Bahn-Erweiterungen im Außenbereich sind deutlich | |
| weniger sinnvoll als Lückenschlüsse in der Innenstadt? | |
| Erst einmal ist es gut, dort hinzuschauen, wo viel Verkehr ist, und das ist | |
| im Innenstadtbereich. Man muss schauen, welche Entwicklungen wir vor uns | |
| sehen, wie die Mobilität in der Zukunft aussieht. Da stellt sich etwa die | |
| Frage, welche Langstrecken wir brauchen, ob Pendler- oder Touristenströme | |
| zu befördern sind. Daran muss man sich dann orientieren. Die Frage, ob wir | |
| in Außenbezirken U-Bahn bauen müssen, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht | |
| beantworten. | |
| Im Rahmen der Verkehrswende stehen möglicherweise Konflikte an: Wo | |
| geschützte Radwege mehr Raum beanspruchen, kann es passieren, dass der | |
| BVG-Bus auf einmal im Stau steht. Ein kommender Dauerkonflikt? | |
| Es ist auf jeden Fall ein Thema, das uns in den nächsten Jahren | |
| beschäftigen wird. Die Frage ist: Wie soll Stadtentwicklung aussehen, wie | |
| eine lebenswerte Stadt? Wie stelle ich sicher, dass alle angemessenen Raum | |
| erhalten? Die Frage nach der Verteilung des Straßenraums muss | |
| gesamtgesellschaftlich adressiert und beantwortet werden, sonst heißt es | |
| immer nur gegenseitig: Du nimmst mir was weg. Ein Teil dieser Lösung könnte | |
| sein, dass es Fahrradstraßen gibt, auf denen weniger Autoverkehr herrscht – | |
| aber warum nicht auch Busstraßen? | |
| 5 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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