# taz.de -- Aktivistinnen über ägyptische Revolution: „Statt Hoffnung eine … | |
> Für ihr Engagement wurde Familie Seif bekannt. Mutter und Tochter | |
> erzählen von Gefängnisbesuchen, Repression und europäischer | |
> Verantwortung. | |
Bild: Sie würden alles wieder tun: Mona Seif und Leila Soueif in ihrer Wohnung… | |
Familie Seif steht in Ägypten für Aufmüpfigkeit. Als im Januar 2011 der | |
Aufstand gegen Hosni Mubarak begann, waren sie alle dabei: Die Mutter, | |
Laila Soueif, Mathematikprofessorin, organisierte Märsche ihrer Studenten | |
zum Tahrirplatz. Ihre Tochter Mona Seif ist Krebsforscherin und gründete | |
eine Organisation gegen die Verurteilung von Zivilisten durch | |
Militärgerichte. Der Vater Ahmad Seif, inzwischen verstorben und damals | |
Menschenrechtsanwalt, verteidigte verhafteter Demonstranten. Der älteste | |
Sohn [1][Alaa Abdel Fattah] wurde zu einem der bekanntesten Blogger in | |
Ägypten. Die damals 17-jährige Sanaa Seif filmte alles mit und produzierte | |
den Dokumentationsfilm The Square. | |
Doch die Geschichte der Familie ist auch die der gescheiterten Revolution. | |
Alaa kam nach der Machtübernahme von Abdel Fattah al-Sisi 2013 mehrfach in | |
Haft und wartet in einem Hochsicherheitsgefängnis auf seinen Prozess. | |
[2][Sanaa wurde im Juni vor dem Büro des Staatsanwaltes festgenommen]. | |
taz: Mona Seif, in den letzten Tagen haben die ägyptischen Medien eine | |
Kampagne gegen Sie gestartet. Mona arbeite „mit dem Teufel zusammen, um die | |
Heimat zu zerstören“. | |
Mona Seif: Schmierkampagnen gibt es immer wieder. Früher hat mich das | |
gestresst. Ich dachte, es würde noch mehr folgen. Inzwischen habe ich mich | |
daran gewöhnt. Das sind die Hintergrundgeräusche, wenn man | |
Menschenrechtsverletzungen des Regimes anprangert. | |
Vor zehn Jahren wurde mit der Selbstverbrennung eines Straßenhändlers in | |
Tunesien die Arabellion ausgelöst. Ahnten Sie, dass der Aufstand auch auf | |
Ägypten überschlagen wird? | |
Mona: Ich habe damals mit Freunden die Nachrichten in Tunesien verfolgt. | |
Wir wollten vor der tunesischen Botschaft in Kairo unsere Solidarität | |
ausdrücken. Wir haben instinktiv gespürt, dass die Ereignisse auch uns | |
betreffen werden, aber wir hatten keine Ahnung, wie massiv die Auswirkungen | |
sein würden. | |
Als Mubarak dann nach 18-tägigen Protesten abdankte, welche Träume hatten | |
Sie da? | |
Mona (lacht) Manchmal fühle ich mich unwohl darüber zu reden, wie ich mich | |
damals gefühlt habe, weil die Zeiten heute so unglaublich düster sind. Wir | |
hatten das Gefühl, dass uns alle Möglichkeiten offenstehen. Das ultimative | |
Ziel war, die Zukunft planen zu können und nicht bei jedem Kontakt mit der | |
Polizei voller Angst zu sein. Wir wollten, dass wir sicher sind und dass | |
dieses Land uns gehört. | |
Laila, Ihr Sohn und eine Ihrer Töchter sind im Gefängnis. Was macht das mit | |
Ihnen? | |
Laila: (Seufzt) So etwas hält dein Leben komplett an. Mein Leben spielt | |
sich ab zwischen Besuchen, zwischen Essen ins Gefängnis bringen, ohne dass | |
ich meine Kinder sehen kann, und meiner Anwesenheit bei Gerichtsprozessen. | |
Mona: Mein Bruder darf nur ein Mal im Monat von einer Person für 20 Minuten | |
besucht werden. Meine Mutter und ich wechseln uns ab. Seine Haftbedingungen | |
sind grauenvoll. Bei seiner Einlieferung wurde er ausgezogen und ihm wurden | |
die Augen verbunden, dann wurde er von einem „Empfangskomitee“ verprügelt. | |
Sie sagten zu ihm: Du kommst nie wieder hier raus. Nun ist er seit 14 | |
Monaten allein in der Zelle. Er verlässt sie nur, wenn er Besuch bekommt | |
oder vor Gericht muss. Er hat kein warmes Wasser, keine Bücher, kein Radio, | |
keine Nachrichten. Sie erlauben ihm nicht einmal eine Armbanduhr. Sie | |
wollen nicht, dass er weiß, wie viel Uhr es ist. Aber als ich ihn das | |
letzte Mal getroffen habe, habe ich mich sehr gewundert, wie sehr er noch | |
er selbst ist. Er ist eine Inspiration für mich. | |
Und Ihre Schwester? | |
Mona: Ihre Verhaftung war eine große Überraschung für uns. Während meine | |
Mutter und ich immer wieder vor dem Gefängnis protestiert haben, hatte sie | |
beschlossen an ihrer Karriere zu arbeiten. Wir haben also überhaupt nicht | |
damit gerechnet, dass ihr etwas passieren könnte. Wir hatten die Sorge, | |
dass sie auf so etwas nicht vorbereitet war. Aber bei Gefängnisbesuchen | |
kümmert sie sich um dich, nicht andersherum. Sie ist eine Mischung aus sehr | |
jung und doch sehr stark. | |
Haben Sie Hoffnung, dass mit der neuen US-Regierung die Menschenrechtslage | |
in der arabischen Welt mehr ins internationale Rampenlicht kommt? | |
Mona: Ich werde immer etwas nervös, wenn jemand von Hoffnung spricht, ich | |
funktioniere derzeit nicht mit dem Prinzip Hoffnung. Vielleicht bekommt | |
unser Regime mit dem Ende von Trump weniger Unterstützung und wir damit | |
bessere Chance für unseren Widerstand. Aber ich habe gelernt, dass man | |
seine Hoffnung nicht in die Regierungen anderer Länder legen sollte. Wir | |
sehen, wie riesige Waffendeals und unterschiedliche Interessen dazu führen, | |
dass andere Länder auf dem ägyptischen Auge blind sind. Statt Hoffnung habe | |
ich eine gehörige Portion Wut. | |
Viele europäische Politiker glauben, arabische Autokraten seien der Garant | |
für Stabilität in dieser Region. | |
Laila: Wir hören von dort in den letzten paar Jahren immer wieder, dass | |
El-Sisi für Stabilität sorgt und dafür, dass keine Migranten mehr kommen. | |
Aber das ist nur ein Alibi. Sie wissen, dass die Lage hier instabil ist und | |
diese am Ende entweder in einem neuen Aufstand oder einem Exodus endet. Sie | |
dienen einem sehr eng begrenzten Interesse in Europa. Ihnen ist vor allem | |
wichtig, sehr teure und nutzlose Waffen an Ägypten zu verkaufen. | |
Die arabischen Regime kommunizieren in Richtung Europa auch: Wenn wir nicht | |
wären, dann wäre die Muslimbruderschaft an der Macht. | |
Laila: Die Muslimbrüder haben nie die europäischen Interessen bedroht. Sie | |
bedrohen eher uns als säkulare Ägypter. Aber das ist unser Problem und auch | |
nicht der wirkliche Grund, warum El-Sisi in Europa unterstützt wird. Das | |
ägyptische Regime hat die Europäer korrumpiert, nicht sie als einzelne | |
Personen, sondern als System, indem er bei ihnen für Abermilliarden | |
eingekauft hat. Das ist nicht im Interesse der europäischen Menschen, | |
sondern in dem einiger weniger Rüstungsbetriebe, Öl- und Gasfirmen. Die | |
Europäer sollten ihre Regierungen in deren Außenpolitik zur Rechenschaft | |
ziehen. Ich fordere von ihnen nicht, unsere Regierung zur Rechenschaft zu | |
ziehen, das ist unser Job. | |
Mona, Sie haben gesagt, mit Hoffnung können Sie nicht viel anfangen. Was | |
dachten Sie, als letztes Jahr in Algerien und Sudan die Diktatoren gestützt | |
wurden und die großen Protestbewegungen im Libanon und Irak begannen? | |
Mona: Ich habe das mit meinen Freunden Stunde für Stunde verfolgt, weil wir | |
uns mit diesen arabischen Protestbewegungen persönlich verbunden fühlen. | |
Jeder ihre Fortschritte, dreht für uns das Licht ein wenig mehr an. | |
Laila: Unser Leid ist nicht umsonst, andere lernen aus unserer Erfahrung | |
und machen es besser. Ich hoffe, dass sie sich unser Beispeil genau | |
ansehen. Erst die Dinge, die die Muslimbrüder und uns auseinandergetrieben | |
haben, dann die, bei denen wir uns gegenseitig spalten lassen haben. | |
Mona, haben Sie jemals darüber nachgedacht Ägypten zu verlassen? | |
Mona: Ich bin sehr mit meinem Land verbunden. Aber seit einem Jahr denke | |
ich darüber nach. El-Sisi ist seit sechs Jahren an der Macht und mein | |
Bruder hat mit Ausnahme von wenigen Monaten all diese Zeiten Gefängnis | |
verbracht. Meine Schwester, die nur 27 Jahre alt ist, war in dieser Zeit | |
dreimal im Gefängnis. Mir wurde klar, dass die enge Verbindung unserer | |
Familie mit dem Gefängnis, die uns aufgezwungen wurde, nie enden wird, | |
solange dieses Regime an der Macht ist. Ich habe meinem Bruder gesagt: Wenn | |
du aus dem Gefängnis kommst, möchte ich, dass du diesmal das Land sofort | |
verlässt. Und auch meine Schwester, die ist so jung und sollte sich darauf | |
konzentrieren, was sie im Leben machen möchte. Nun denke ich selbst darüber | |
nach hier wegzugehen. | |
Ihre Familie hat wegen politischen Engagements einen hohen Preis bezahlt. | |
War es das wirklich wert? | |
Laila: Ich möchte eine ehrliche Antwort geben, die nicht wie ein | |
propagandistisches Manifest klingt. Du hast die Wahl, das still auszuhalten | |
oder laut gegen Unrecht zu sprechen. Ich wäre sehr unglücklich und | |
verärgert über mich selbst, würde ich da still bleiben. Aber in dem Moment, | |
an dem ich anfange zu sprechen, gehe ich ein Risiko ein. | |
Mona: Es ist es wert, weil ich gar nicht sehe, wie es anders gehen sollte. | |
Ich würde auch aus heutiger Sicht erneut auf die Straße gehen. Die Person, | |
die ich seit dem Aufstand geworden bin, die hätte ich sonst nie | |
kennengelernt. Meine Familie, meine Geschwister und ich waren in dieser | |
Situation zu so einer Stärke fähig. Es ist es auch wert, weil ich den | |
Respekt sehe, den unsere Familie genießt, trotz aller Schmierkampagnen | |
gegen uns. | |
Laila: Ich möchte auch noch etwas zur Machtlosigkeit sagen. Ich erinnere | |
Menschen immer daran, dass es eine minimale Rolle gibt, die wir spielen | |
können, wie bei Shakespeares Macbeth. Dort gibt es den Geist Banquos. Der | |
erscheint beim Bankett zur Feier der Krönung von Macbeth und ruiniert | |
dessen Triumph. Wir sind so ein Geist, wir verfolgen sie und sie können | |
nicht genießen, was sie erreicht haben. Das ist einer der Gründe, warum sie | |
so wütend auf uns sind. Wir sind nicht machtlos, wir sind die | |
Spielverderber ihres Triumphs über die Revolution. | |
20 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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