# taz.de -- Bürokratische Flüchtlingspolitik: Auserwählt, aber nur geduldet | |
> Wer über ein Bundesaufnahmeprogramm als Flüchtling nach Berlin kommt, ist | |
> noch lange nicht in Sicherheit. Denn das muss auch das Land wollen. | |
Bild: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im April auf dem Weg von Grieche… | |
BERLIN taz | Der Fall des 9-jährigen Jungen aus Afghanistan, der eine | |
„Ausreiseaufforderung mit Abschiebeandrohung“ bekommen hat, offenbart einen | |
erschreckenden Mangel an Abstimmung zwischen Bundes- und Landesbehörden. So | |
war dem Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) offenbar nicht bekannt, | |
dass das Kind über ein Bundesaufnahmeprogramm nach Berlin gekommen war. | |
Dies legt jedenfalls das Schreiben an den Vormund des Kindes nahe, das der | |
taz vorliegt. Darin heißt es: „Wie Sie anlässlich Ihrer Vorsprache am | |
[Datum unkenntlich gemacht; d.Red.] angaben, sind Sie aus Griechenland nach | |
Deutschland geflogen. Laut eigenen Angaben wurden Ihnen seitens der | |
deutschen Behörden dafür Ersatzpapiere ausgestellt. Jedoch ist dies hier | |
nicht bekannt.“ Im Anschluss moniert das LEA, dass das Kind kein Visum | |
vorlegen konnte. | |
Nach Angaben des Flüchtlingsrats, [1][der den Fall öffentlich gemacht | |
hatte], kommt es regelmäßig vor, dass unbegleitete minderjährige | |
Flüchtlinge vom LEA eine solche Ausreiseaufforderung mit Abschiebeandrohung | |
erhalten – und zwar auch dann, wenn das Land (wie im Fall dieses Jungen) | |
offenbar gar nicht beabsichtigt, die Betreffenden abzuschieben. Die | |
Innenverwaltung begründet diese Briefe mit rechtlichen Erfordernissen in | |
Fällen, in denen bislang kein Asyl beantragt wurde. Die | |
Flüchtlingsorganisationen sagen, das Amt habe einen rechtlichen Spielraum. | |
Die Briefe würden unnötig Angst bei den Betreffenden auslösen und diesen | |
signalisieren, dass sie nicht willkommen seien. | |
„Besonders befremdlich ist das, wenn man kurz zuvor extra für ein | |
Bundesprogramm ausgewählt wurde“, sagte Daniel Jasch vom Beratungs- und | |
Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ) vorige | |
Woche der taz. Die katastrophale Situation in den griechischen Elendslagern | |
hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach langen Debatten im | |
Frühjahr dazu gebracht, einem Aufnahmeprogramm für unbegleitete | |
minderjährige Flüchtlinge von dort zuzustimmen. Im Zuge dessen kamen im | |
April 47 Kinder und Jugendliche nach Deutschland, 8 von ihnen nach Berlin, | |
darunter auch der erwähnte Junge. Die „Auserwählten“ waren in Griechenland | |
vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), weiteren | |
Hilfsorganisationen und den griechischen und deutschen Behörden bestimmt | |
worden. | |
Nach Informationen des Flüchtlingsrates wurden die Kinder und Jugendlichen | |
auch in der deutschen Botschaft interviewt und bekamen dort bei Bedarf ein | |
Laisser-passer für die Einreise; zumindest hat der betreffende Junge dort | |
ein solches Passersatzpapier bekommen. Warum dieses Papier offenbar nie bei | |
der Berliner Einwanderungsbehörde ankam, ist laut Flüchtlingsrat unklar. | |
## Duldung bis zur Abschiebung | |
Fraglich ist zudem die Darstellung des Falls seitens der Innenverwaltung. | |
„In dem aktuellen Bescheid stand im Übrigen auch, dass das Kind eine | |
Duldung besitzt, eine Abschiebung allein schon aus diesem Grund nicht | |
infrage kommt“, hatte Sprecher Martin Pallgen der taz erklärt. Dies stimmt | |
so allerdings nicht. Der Hinweis, „dass eine Abschiebung allein schon aus | |
diesem Grund nicht infrage kommt“, fehlt in dem Brief. | |
Im Gegenteil steht dort auf der ersten Seite fett gedruckt, dass der | |
Adressat bis 14. Dezember das Bundesgebiet zu verlassen habe oder | |
andernfalls abgeschoben werde. Erst auf der folgenden Seite steht: „Dem | |
Erlass der Abschiebungsandrohung steht gem. § 59 Abs. 3 AufenthG auch nicht | |
entgegen, dass auf die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung derzeit | |
verzichtet wird“; dies gelte „solange bei Ihnen die Voraussetzungen für | |
eine (weitere) Duldung des Aufenthalts gegeben sind. Aktuell sind Sie Im | |
Besitz einer bis zum 01.05.2022 gültigen Duldung.“ | |
Dies kann als verklausulierter Hinweis darauf gelesen werden, dass nicht | |
abgeschoben wird. Allerdings sind Duldungen kein grundsätzliches Hindernis | |
für eine Abschiebung, rechtlich sind sie nur die „vorübergehende Aussetzung | |
der Abschiebung“. Die Frage, warum Geflüchtete, die extra ausgewählt | |
wurden, nach Deutschland zu kommen, hier nur eine Duldung bekommen, ist | |
weiter unbeantwortet. | |
8 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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