| # taz.de -- Hommage an Rockband Ton Steine Scherben: Poesie und Rebellion | |
| > Mit viel hanseatischer Prominenz verneigt sich das Album „Wir müssen hier | |
| > raus!“ vor Rio Reiser. Es überzeugt nicht zuletzt durch stilistische | |
| > Diversität. | |
| Bild: Rio Reiser 1986 bei einem Konzert | |
| Tief im linken Spektrum der Siebziger- und Achtzigerjahre verwurzelt, waren | |
| die Scherben ihrer Zeit trotzdem weit voraus: Rio Reiser zeigte, dass | |
| Liebeslieder in deutscher Sprache nicht peinlich klingen müssen und dass | |
| politische Haltung musikalisch nur dann glaubhaft transportiert werden | |
| kann, wenn der Künstler seine ganze Persönlichkeit mit in die Waagschale | |
| wirft. | |
| Hätten die Scherben sich nicht 1985 aufgelöst und wäre Reiser nicht viel zu | |
| früh im August 1996 verstorben, den Pionieren von Rockmusik mit deutschen | |
| Texten wäre vielleicht doch noch irgendwann der kommerzielle Erfolg | |
| vergönnt gewesen, den sie anderen erst ermöglicht haben; und den zumindest | |
| Reiser sich mit seiner Solokarriere erhofft hatte. | |
| Unbestritten bleibt: Ton Steine Scherben haben deutsche Texte jenseits von | |
| Schlager salonfähig gemacht, das große Geld haben freilich nach ihnen | |
| andere verdient. Unbestritten ist aber auch, dass die Songs bis heute | |
| inspirieren, insbesondere jüngere Musiker:Innen. Und so kann es kaum | |
| überraschen, dass sich einige im Jubiläumsjahr 2020 – Rio Reiser wäre 70 | |
| geworden, Ton Steine Scherben feiern ihren Fünfzigsten – mit einer | |
| Tribute-Compilation verneigen. | |
| ## Texten auf Deutsch hat sich gemausert | |
| „Wir müssen hier raus! Eine Hommage an Ton Steine Scherben und Rio Reiser“ | |
| ist nicht die erste Zusammenstellung mit Coverversionen: 1997 tobten sich | |
| bereits diverse Deutschpunkbands auf dem Sampler „Viva L’ Anarchia“ aus, | |
| 2016 haute Sony anlässlich des zwanzigjährigen Todestags von Rio Reiser ein | |
| Best-of mit Coverversionen verschiedener Stars und Sternchen raus. Diesmal | |
| gibt sich nun viel Prominenz der unabhängigen deutschsprachigen Popszene | |
| ein Stelldichein. | |
| Wenig verwunderlich, dass sehr viele Hanseat:Innen mit dabei sind, seit der | |
| Hamburger Schule hat sich Texten auf Deutsch gemausert: Die Sterne nehmen | |
| sich „Wenn die Nacht am Tiefsten“ vor und setzen am Ende den Autotuneeffekt | |
| beim Gesang ein. Der hanseatische [1][Chansonier Rocko Schamoni] | |
| interpretiert „Morgenlicht“ und schiebt seine Fassung mithilfe eines | |
| Orchesterarrangements weit Richtung Sinfonicsoul. | |
| Der unverwechselbar näselnde Rapper Jan Delay ist hier mit seiner bereits | |
| bekannten eigenwilligen, aber eingängigen Version der Ballade „Für immer | |
| und dich“ vertreten. Gut, dass auch die Jungspunde von Erregung | |
| Öffentlicher Erregung mit dabei sind sowie das Tocotronic-Seitenprojekt Das | |
| Bierbeben, neben vielen anderen Künstler:innen. Zum Einstieg gibt es mit | |
| „Wir müssen hier raus“ ein Original der Scherben und zum Finale „Der Kri… | |
| von Rio Reiser. | |
| Kompiliert hat ein Überzeugungstäter: Timo Löwenstein vom Indie-Label Unter | |
| Schafen Records macht keinen Hehl daraus, selbst ein Scherben-Fan zu sein. | |
| Sein Ziel ist es, mit der Auswahl von „Wir müssen hier raus!“ Poesie und | |
| Rebellion der Scherben für eine jüngere Generation anschaulich zu machen. | |
| Das könnte „Wir müssen hier raus“ gelingen – durch Verzicht auf die | |
| üblichen Gassenhauer, aber nicht zuletzt durch stilistische Diversität. | |
| Denn neben Hip-Hop, Punk und Pop könnten die Portfolios der 19 Beitragenden | |
| unterschiedlicher kaum sein. Von ein oder zwei leider eher belanglosen | |
| Interpretationen abgesehen, bewegen sich die Künstler:innen trotzdem sehr | |
| nah an den Originalen. | |
| Aus Ehrfurcht? Wohl eher, weil die musikalischen Arrangements von TSS und | |
| die Lyrik Reisers auch ohne ein Update aus dem Jahre 2020 noch ganz gut | |
| funktionieren. Das zeigt die Pianofassung von Reisers „Der Krieg“. Er | |
| singt: „Der Krieg, er ist nicht tot / der Krieg. Der Krieg, er ist nicht | |
| tot – er schläft nur.“ | |
| 8 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tilmann Ziegenhain | |
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