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# taz.de -- Theaterszene im Online-Modus: Plötzlich Konkurrenz von Instagram
> Coroabedingt mussten Theatermacher*innen auf online wechseln. Ein Buch
> zeigt: Leider kreist die Szene dabei nur um den eigenen
> Darstellungsdrang.
Bild: „Bei Anruf:Kunst!“ – Online Versuch des Theaters Magdeburg
Das Impulse Theater Festival hat einige Lehren freier
Theatermacher*innen aus den Erfahrungen des Lockdown zusammengetragen
und in Buchform veröffentlicht. In den Beiträgen werden altbekannte Makel
der Branche kritisiert wie etwa die mangelnde Diversität.
Produktive Ansätze allerdings, wie der Krise der eigenen Wirkungslosigkeit,
die im globalen Aufmerksamkeitswettbewerb mit anderen
Videostreamdienst-leister*innen schärfer denn je zutage trat, zu begegnen
sei, lässt die immerhin mehr als 200 Seiten starke Publikation aber
vermissen.
Die besten Beiträge sind die, die die eigene Ratlosigkeit nicht verhehlen.
„Ich habe keine Ahnung“, leitet Arne Vogelgesang, seit einigen Jahren
intensiver Erforscher der toxischen Elemente digitaler Kommunikation,
seinen Text ein. Der Performer und Rechercheur betont nicht nur die
Schwierigkeit, nach dem ersten Lockdown einen Text zu schreiben, der zum
Zeitpunkt der Publikation wegen neu gemachter Erfahrungen längst überholt
sein könnte.
Vogelgesang konstatiert auch, dass es digitale performative Praktiken schon
lange vorher gab, also vor dem Corona-bedingten Digital-Erkundungstrip der
aus ihren Proben- und Aufführungsräumen verbannten Theatermacher*innen. Nur
hätten Letztere das bislang eben weitgehend ignoriert und fänden sich jetzt
in der sonderbaren Position immer noch behaupteter kultureller
Überlegenheit und ganz hart erfahrener aufmerksamkeitsökonomischer
Minderwertigkeitsgefühle wieder. Das ist völlig zutreffend.
Es ist gar nicht so einfach, mit postdramatisch zwar weniger erfahrenen,
aber dafür mit Sehgewohnheiten und Algorithmen von Plattformen wie
Youtube, Instagram, Tiktok oder Twitch vertrauten Videoblogger*innen
und Influencer*innen zu konkurrieren. Die digitale Welt wurde zur
Bühne, gewiss. Bis vorn an die Rampe gelangte aber kaum jemand aus den
freien darstellenden Künsten.
## Bildschirmkonsum am Abend
Das muss auch nicht das Ziel sein. Eine Beschäftigung mit den
aufmerksamkeitsökonomischen Bedingungen, unter denen digitales Theater in
Zukunft möglich wäre, und damit, welche Veränderungen für Spiel und
Interaktion dies mit sich bringen dürfte, sucht man allerdings vergebens.
Und auch die Frage, ob ein Publikum, das den Arbeitstag schon mit diversen
Videokonferenzen bestreiten muss, überhaupt noch für einen Bildschirmkonsum
am Abend zu mobilisieren ist, wurde nicht gestellt. Die Szene kreiselt um
sich, um den eigenen Darstellungsdrang.
Wertvoll immerhin ist die mehrfach geäußerte Kritik am sozioökonomischen
und sozioethnischen Blasenzustand der Szene. Daniela Dröscher wies darauf
hin, dass sich nur solche Personen länger freies Theatermachen leisten
könnten, die durch Erbe oder gut verdienende Partner*innen abgesichert
seien oder zumindest einen soliden Brotjob hätten. Die Szene ist also
bürgerlich, mindestens bürgerlicher Herkunft.
## Expert*innen für Homevideos
Hinzu kommt eine mangelnde ethnische Diversität. Michael Annoff und Nuray
Demir führten nicht nur aus, wie wenig sich das freie Theater für
migrantische Communities interessiert. Sie erinnerten auch an die Millionen
Expert*innen für Homevideos in Deutschland: migrantische Arbeiter*innen,
die ihre Wohnungen in Bühnen für Alltagsbotschaften umbauten und so ihre
Familien in der alten Heimat auf dem Laufenden hielten.
Hat irgendjemand, der jetzt im Lockdown auf einer Zoom-Kachel performt,
sich für diese Videoperformance-Geschichte je interessiert?
Annoff und Demir befürchten denn auch, dass in Zukunft bestenfalls ein
Subjekt antidiskriminatorischer Kämpfe nach dem anderen durch die
Spielpläne gejagt werde: schnell genug, um mal präsent zu sein, nicht
nachhaltig genug aber für strukturelle Änderungen.
## Keine Zeit, Kritik zu üben?
Gar keine Rolle spielten Überlegungen, wie das Kerngeschäft der
performativen Künste, die Begegnung im physischen Raum, im Lichte der
Infektionsgefahr überhaupt noch organisiert werden könnte. Das vom RKI
publizierte Ansteckungsszenario von Kontakten über mehr als 15 Minuten in
weniger als anderthalb Meter Abstand lässt zumindest zeitliche wie
räumliche Spielräume zu. Aber freie Theater waren im ersten Lockdown die
Ersten, die schlossen, sogar dann schon, als es von den Behörden noch gar
nicht verfügt war, zumindest in Berlin.
Jetzt sei nicht die Zeit, Kritik zu üben, meinte bei der Onlinepräsentation
des Buches auch [1][Yves Regenass, Regisseur der Gruppe machina eX.] Die
hatte mit ihren Theatergames „Lockdown“ und „Homecoming“ auf der
Messenger-Plattform telegram noch die Abgründe der sozialen Isolation
ausgelotet.
Als Bürger fiel hier Regenass hinter die eigene Regiearbeit zurück.
14 Dec 2020
## LINKS
[1] /Dezentrales-Theaterspiel-fuer-zuhause/!5721136
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Theater
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