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# taz.de -- Online-Theater in Hannover: Generation Homeschooling
> Theresa Henning sucht im Lockdown den „Beginn einer neuen Welt“. Ihr in
> Hannover uraufgeführter Text trifft den Duktus genervter Jugendlicher.
Bild: Momentaufnahmen eines Lebensgefühls: vom Lockdown genervt
Herzrasen als Groove für mäanderndes Denken. Das in existenzielle
Verlorenheit abtaucht und platzend vor Lust auf anderes wieder auftaucht.
Zermürbendes Realitätsgrau und geahntes Morgenrot im steten Wechsel, das
ist „Der Beginn einer neuen Welt“. So betitelt Theresa Henning ihr neues
Stück.
Die Berliner Autorin, Regisseurin und Schauspielerin sollte am Schauspiel
Hannover zwar etwas anderes inszenieren, aber dann kam Corona und sie
nutzte das quarantänisierte Leben, um den Diktatoren der Vernunft wie auch
den dämonischen Gegenspielern in ihrem Kopf zu lauschen und diesen inneren
Monolog aufzuschreiben.
Das Ergebnis wusste wohl zu beeindrucken, jedenfalls wurde die Produktion
des ursprünglich geplanten Stücks abgebrochen und Henning konnte ihren Text
für alle ab 14 Jahren uraufführen. Zumindest als Onlinepremiere, die laut
Theaterangaben von 4.156 Personen aufgerufen wurde. Das sind 20 Mal so
viele Menschen, wie bei einer analogen Premiere in der [1][Spielstätte
Ballhof 2] Platz gefunden hätten.
Für drei Stimmen ist der Text geschrieben. Auf die Bühne tritt ein
Schauspieltrio, um sich mit jugendlichem Furor zu beschweren. #corona. Die
eigentlich von Austausch, Ausprobieren und Orientierung gekennzeichnete
Adoleszenz läuft ins Leere. Der Stillstand des öffentlichen Lebens und die
eingeschränkte Selbstbestimmung sorgen für Stress. Wer sich nicht damit
abzufinden vermag, lehnt sich gegen das Unvermeidbare auf, leugnet die
Pandemie oder verfällt Verschwörungstheorien.
„Der Virus öffnet uns die Augen“, heißt es hingegen bei Henning. Für sie
befördert der Lockdown eine Offenheit gegenüber der Unsicherheit. Sie
entdeckt, dass die Welt schon immer ungewiss gewesen ist – viele aber
wohlstandsvergessen gelernt haben, das auszublenden.
## Unbehagen an der Alltagskultur
Keine neue Erkenntnis, passt aber gerade sehr gut. Das coronabedingt
eingeschränkte Leben wird zum Anlass, ganz grundsätzlich das Unbehagen an
der Alltagskultur zu formulieren. „Nur leere, hohl gewordene Konzepte“
werden konstatiert, „diesem zu Tode konditionierten Sein, dem maschinellen
Fühlen“ Absagen erteilt.
Gut gelingt, die Hüpf-, Sprung-, Flugbewegungen des wilden Denkens auf den
Rhythmen zeitgenössischer Popmusiksplitter in körperliche Bewegungen
umzusetzen. Auf und um ein achteckiges Podest wird viel getanzt und getobt
im leeren, dank drangsalierender Projektionen von Stahlskulpturen
flirrenden Raum.
Beglückend auch die Arbeit der durchs Geschehen irrlichternden Kameraleute.
Sie stellen eine Nähe zwischen den Spielenden her, die es
coronaverordnungsbedingt auf der Bühne gar nicht geben darf.
## Drang nach Ablenkung
Der Text trifft wunderbar den Duktus fragmentarischen Räsonierens einer
gerade von Homeschooling, digitalem Studium oder Leerstellenmangel
[2][genervten Generation.] Ihr Drang nach Ablenkung mag noch so immens
sein, es pulsiert auch das Bedürfnis nach Veränderung – ebenso wie die
Angst davor, hat doch niemand konkrete „Ambitionen, Pläne und Konzepte“.
Ob das Schauspieltrio nun verträumt im Liegen artikuliert oder lautstark
mit kämpferischer Gestik seine Sätze illustriert, meist sind es Versuche
schwärmerischen Aufbrechens. Die Utopie wird mit Worten beschrieben, die
auch jede PR-Agentur als positiv konnotiert in den Raum unendlicher
Möglichkeiten werfen würde – „Leben“, „keine Begrenzung mehr“,
„Transformation“, „Einheit der Gegensätze“, „Liebe“, „Freiheit�…
Alles kommt verzweifelt bedeutungsvoll und pathosgetränkt daher. Ist eben
Ausdruck einer Suchbewegung nach einer neuen Welt mit klischeehaften Worten
der alten Welt. Klassische Dialoge und eine narrative Konstruktion mit
Anfang und Ende haben da keinen Platz. Schauspielerisch und inszenatorisch
spürt die Produktion das Warum der jugendlichen Widerstandssehnsucht auf,
ohne Ahnung, wohin damit. Authentisch wirken so die Momentaufnahmen eines
diffusen Lebensgefühls.
7 Dec 2020
## LINKS
[1] /Erinnerungs-Theater-in-Hannover/!5657202
[2] /Bremens-Bildungssenatorin-ueber-Corona/!5731216
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Theater
Junges Theater
Homeschooling
Schlagloch
Schwerpunkt Coronavirus
Schule
Vulva
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