# taz.de -- Atelierhaus Neue Panzerhalle: Kunst der Umnutzung | |
> Die Ateliergemeinschaft in der Panzerhalle einer ehemaligen sowjetischen | |
> Kaserne in Groß Glienicke feiert ihr 25-jähriges Bestehen. | |
Bild: Michael M. Heyers bei der Installation seiner Werke | |
Schneeflocken rieseln sanft über das ehemalige Kasernengelände. Im Inneren | |
einer früheren Mannschaftsunterkunft, einem von außen mittlerweile schön | |
sanierten Backsteinbau, trägt Michael M. Heyers silberne Farbe auf ein | |
Kreissegment auf. Heyers stellt konkrete Kunst her, Kreise und Ellipsen, | |
die durch Schichtung des Materials Dreidimensionalität und Objekthaftigkeit | |
erlangen. | |
Heyers ist Mitglied des [1][Atelierhauses „Neue Panzerhalle“, einer | |
Künstler*innengemeinschaft,] die seit 25 Jahren auf dem Areal der einstigen | |
Waldkaserne Groß Glienicke westlich von Berlin existiert. Gräbt man sich | |
durch Vergangenheit und Gegenwart dieses Atelierhauses, wird es zum Echolot | |
der Geschichte. Es erinnert an Walter Benjamins berühmten Engel der | |
Geschichte, der der Zukunft entgegengeblasen wird, vor dessen Blick sich | |
aber gerade Vergangenes und längst Vergangenes abspielen. | |
Im Oktober feierte das Atelierhaus das 25-jährige Jubiläum. Feiern | |
allerdings ist ein euphemistischer Begriff in Pandemiezeiten. [2][Die | |
Jubiläumsausstellung in der Kommunalen Galerie Wilmersdorf] ist zwar fix | |
und fertig aufgebaut. Auch Heyers’ Arbeit „große welle“ – 13 | |
Kreisringobjekte, die sich zu einer Woge auftürmen – ist an der Wand | |
befestigt. | |
Die Ausstellung wurde sogar formal eröffnet Anfang Dezember, allerdings nur | |
in Form eines Videorundgangs. „Sie soll aber, wenn es wieder geht, auch für | |
Publikum zugänglich werden. Sie wird auf jeden Fall verlängert“, versichert | |
Heyers der taz. | |
## Geschlossene Galerien, abgesagte Ausstellungen | |
Geschlossene Galerien, abgesagte oder verschobene Ausstellungen – all dies | |
ist trauriger Alltag bildender Künstler*innen in diesen Zeiten. „Ich | |
musste meine Ausstellung im Kunstverein Kleinmachnow, auf die ich drei | |
Jahre gewartet hatte, unmittelbar nach der Eröffnung wieder abbauen“, | |
schildert Heyers die Auswirkungen des Lockdowns. | |
Zahlreiche Künstler*innen treffen die Einschränkungen doppelt. „Niemand | |
von uns hier im Atelierhaus kann allein von der Kunst leben. Viele haben | |
ein zweites Standbein – oft Kurse, Lehraufträge und Workshops. Vieles davon | |
darf momentan aber nicht stattfinden“, erzählt Bettina Schilling. | |
Schilling gehört zu den [3][Gründungsmitgliedern des Atelierhauses]. | |
Bereits in den frühen 1990er Jahren entdeckte die gelernte Buchhändlerin | |
das Kasernengelände und ging im Rahmen des Projekts „Tatortbesichtigung“ | |
auf Spurensuche in dem militärischen Komplex. | |
Damals waren noch kyrillische Aufschriften zu sehen. Unweit des heutigen | |
Atelierhauses befanden sich Schützengräben und Erdbunker. Die | |
Künstler*innen arbeiteten in der Panzerhalle, einer 55 Meter langen, 10 | |
Meter breiten und 8 Meter hohen Reparaturhalle der DDR-Grenztruppen. Die | |
Halle bot phänomenale Arbeitsmöglichkeiten. | |
## Auf Knopfdruck große Lasten bewegen | |
„Es gab einen Kran, mit dem man auf Knopfdruck große Lasten bewegen | |
konnte“, erinnert sich Heyers, der damals als Bildhauer mit großen Volumina | |
umging. Die Gruben und Nischen in der Halle ermöglichten ganz besondere | |
installative Arbeiten. | |
Schilling fand durch die Arbeit in der Halle den Weg zu ganz neuen | |
Techniken und Materialien – weg von der Leinwand hin zu Cutouts aus Kork | |
oder Fußbodenbelag. „Es war so kalt damals. Ich hatte mir deshalb den Boden | |
mit Kork ausgelegt. Und dann arbeitet man auf dem Boden und es gibt da | |
Spuren. Ich wollte damals auch etwas in meiner Kunst verändern, wollte | |
nicht mehr im Tafelbild bleiben. | |
In diesen Räumen gab es auch so viel zu sehen, sodass ich dachte, ich nehme | |
etwas heraus aus dem Bild und installiere das in die Wand“, blickt sie | |
zurück. So kam sie zu den Cutouts – und kniet jetzt, im neuen Atelier, auf | |
dem Fußboden und schneidet Silhouetten von Menschen- und Tierkörpern aus, | |
um sie auf Gazerahmen oder auf Wänden zu einzelnen Szenen zu arrangieren. | |
2007 wurde die Panzerhalle abgerissen. Sie fiel kurz vor der weltweiten | |
Finanzkrise, die durch eine Immobilienfinanzierungskrise ausgelöst worden | |
war, der damaligen Bauwut zum Opfer. „Wir hatten uns bemüht, die Halle | |
unter Denkmalschutz zu stellen, aber das klappte nicht“, erzählt Heyers. | |
## Das Areal erwab dann der Bürstenmann | |
Die Berliner Gewobag wollte Tabula rasa machen für den Bau von Wohnungen | |
für die nach Berlin ziehenden Mitarbeiter der Bundesministerien. Doch das | |
zerschlug sich. Das Areal erwarb später der Investor Bernd Wolfgang | |
Steuten, ein von Stefan Raab wegen dessen eigenwilliger Frisur als | |
„Bürstenmann“ verspotteter und bundesweit als Verkäufer von | |
Schrottimmobilien berüchtigter Unternehmer. | |
Steuten brachte immerhin einen Villenpark zustande – die üblichen | |
Fertigteileinfamilienhäuser, die mit Säulen am Eingang auf römisches | |
Imperium machen. Es ist ein klassisches Suburbia: Wohnanlagen mit | |
schlechter Verkehrsanbindung und fast ohne Infrastruktur. „Falls mal die | |
Milch zum Kaffee fehlt, muss man drei Kilometer fahren“, beschreibt Heyers | |
die Versorgungssituation. | |
Kulturelles Highlight ist – neben dem Karnevalsverein, der gelegentlich die | |
unter Denkmalschutz gestellte Preußenhalle bespielt – daher das | |
Atelierhaus. Denn es organisiert immer wieder Ausstellungen und Workshops | |
und lädt auch zu Tagen der offenen Ateliers ein. Dann wieder, wenn Publikum | |
erlaubt ist. | |
Nach dem Abriss der Panzerhalle verließen einige Künstler*innen | |
enttäuscht das Areal. Andere suchten sich als Ausweichstandort die alten | |
Mannschaftsquartiere. Dort befand sich nach der Wende eine Schule, die | |
wegen Schülermangel aber geschlossen wurde. Zurzeit sind noch ein Depot des | |
Potsdam Museums und eine Geflüchtetenunterkunft dort angesiedelt. Die neuen | |
Räumlichkeiten sind kleiner, weniger spektakulär als die alte Halle. | |
Aber angesichts des Kostendrucks auf Immobilien in Berlin und Potsdam seien | |
die aktuell 24 Künstler*innen froh über die Möglichkeiten, die sie jetzt | |
haben, versichern Schilling und Heyers. Gesichert ist der Standort | |
allerdings nicht. „Seit 25 Jahren schwebt das Damoklesschwert immer dicht | |
über unseren Köpfen“, meint so drastisch wie realistisch Heyers. Bleibt nur | |
zu hoffen, dass noch viele Jubiläen hinzukommen zu diesem ganz besonderen | |
25. Jahrestag. | |
19 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://www.neues-atelierhaus-panzerhalle.de/index.php/startseite.html | |
[2] http://www.kommunalegalerie-berlin.de/ausstellungen/vorschau/panzerhalle/ | |
[3] /Archiv-Suche/!1440357&s=Katrin+Bettina+M%C3%BCller+Panzerhalle&Suc… | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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