# taz.de -- Aufregung über „Corona-Bonus“: Opfer höherer Tarifpolitiklogik | |
> Die Empörung über eine Sonderzahlung an Mitarbeiter:innen von | |
> Bundestagsabgeordneten ist groß. Aber ist sie auch berechtigt? | |
Bild: Sollen Mitarbeitende von Bundestagsabgeordneten Sonderzahlungen bekommen? | |
Wenn sonst nicht mehr viel funktioniert, dann wenigstens noch die Reflexe. | |
Der „Corona-Bonus“ für die Mitarbeiter:innen der Bundestagsabgeordneten, | |
den der Ältestenrat beschlossen hat, sorgt für mächtige Entrüstung. In den | |
Sozialen Medien überschlagen sich die Empörungswellen. Da wird wutgewittert | |
bis die Schwarte kracht. „Unfassbar unverschämt!“, „Unglaublich dieser | |
Selbstbedienungsladen!“ oder „Ich bin fassungslos“ sind noch die | |
moderateren Reaktionen. | |
Einschlägige rechtspopulistische Heiopeis heizen kräftig die Stimmung an: | |
„Der normale Arbeitnehmer – insbesondere aber die Menschen die an | |
vorderster Front in der Corona-Krise standen und stehen – müssen sich doch | |
total verarscht vorkommen“, [1][twittert beispielsweise] der Berliner | |
AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski. | |
Selbst manche, die es eigentlich besser wissen müssten, stimmen in den Chor | |
der Aufgebrachten mit ein. So schreibt Jules El-Khatib, wissenschaftlicher | |
Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag, [2][auf Twitter]: „Ich bin | |
Mitarbeiter von Abgeordneten im Bundestag, alle Mitarbeiter erhalten | |
Corona-Bonus für die Arbeit, während es für Krankenpfleger nur Applaus | |
gibt. Das kann ich nicht mit mir vereinbaren und werde daher das Geld an | |
Organisationen spenden, die sich um die Ärmsten kümmern.“ | |
Es ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, wenn El-Khatib, der nebenbei | |
auch noch stellvertretender Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen | |
Linkspartei ist, Geld für einen guten Zweck spenden will. Allerdings: | |
Tatsächlich bekommt er die gleiche Sonderzahlung wie auch alle | |
Krankenpfleger:innen – wenn sie denn im öffentlichen Dienst beschäftigt | |
sind. | |
## Unwissenheit über Tarifpolitik | |
Offenkundig ist er nicht der einzige im Bundestag Beschäftigte, der keine | |
Ahnung davon hat, wie der „Corona-Bonus“ zustande gekommen ist. So | |
[3][zitiert die Augsburger Allgemeine] einen namentlich nicht genannten | |
Kollegen El-Khatibs mit der Aussage, mehrere Abgeordnetenmitarbeiter:innen | |
würden sich „überrascht, aber eher etwas befremdet als erfreut“ über die | |
Zahlung zeigen. | |
Verständlich ist diese Überraschung nicht. Denn sie hätten schon Ende | |
Oktober wissen können, dass es für Beschäftigte im Bundestag eine | |
vermeintliche „Corona-Sonderzahlung“ von – je nach Gehaltsgruppe – 300 … | |
600 Euro geben wird. | |
Warum sie das schon damals hätten wissen können? Weil es Ende Oktober die | |
[4][Tarifeinigung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund | |
und Kommunen] gegeben hat. Und Teil der Vereinbarung zwischen der | |
Gewerkschaft Verdi und dem Deutschen Beamtenbund mit der Arbeitgeberseite | |
war auch der „Corona-Bonus“. Den bekommen übrigens alle rund 2,3 Millionen | |
Tarifbeschäftigte des öffentlichen Dienstes – auch die, die im Krankenhaus | |
oder in der Pflege arbeiten! | |
Nun sind Mitarbeiter:innen von Abgeordneten zwar nicht Beschäftigte des | |
öffentlichen Dienstes, sondern haben ausschließlich befristete | |
privatrechtliche Arbeitsverträge. Aber dass die Ergebnisse der | |
Tarifverhandlungen auf sie übertragen werden, ist das lange schon | |
praktizierte Verfahren. Gleiches gilt für die Beamt:innen. | |
Der angebliche „Skandal“ ist also sogar noch größer. Denn die Beschäftig… | |
im Bundestag werden nicht nur einen „Corona-Bonus“ erhalten, sondern auch | |
noch ab dem 1. April 2021 eine Gehaltserhöhung von 1,4 Prozent, am 1. April | |
2022 kommen noch einmal 1,8 Prozent hinzu. Ob der Linksparteiler Jules | |
El-Khatib auch dieses zusätzliche Geld an Organisationen spenden wird, „die | |
sich um die Ärmsten kümmern“? Die würden sich bestimmt darüber freuen. | |
## Der „Corona-Bonus“, der eigentlich keiner ist | |
Das wirklich Ulkige an der gegenwärtigen Aufregung ist, dass es sich | |
eigentlich gar nicht um einen echten „Corona-Bonus“ handelt, den die | |
Bundestagsbeschäftigten da bekommen. Denn tatsächlich haben die | |
Tarifparteien bei ihrem Abschluss im Oktober einen kleinen Trick | |
angewendet, um eine ohnehin übliche Einmalzahlung anders zu verpacken. Das | |
klingt kompliziert, ist es aber bei genauerer Betrachtung nicht. | |
Also: Der Tarifvertrag von Verdi und dem Beamtenbund mit den Arbeitgebern | |
des Bundes und der Kommunen gilt rückwirkend zum 1. September 2020, die | |
erste prozentuale Gehaltserhöhung gibt es am 1. April 2021. Für einen | |
solchen Zeitraum dazwischen gibt es üblicherweise eine einmalige | |
Ausgleichszahlung. | |
Nun hat die Bundesregierung allen Unternehmen ermöglicht, ihren | |
Beschäftigten bis Ende dieses Jahres einen Corona-Bonus in Höhe von bis zu | |
1.500 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei auszuzahlen. Diese Regelung | |
haben sich die Tarifparteien im öffentlichen Dienst zu Nutze gemacht. | |
Deswegen nennen sie die vereinbarte Einmalzahlung nun „Corona-Bonus“. | |
Der Deal: Die Arbeitgeber zahlen einen niedrigeren Betrag als eigentlich | |
für die Gewerkschaften akzeptabel wäre – was diese aber deswegen mitgemacht | |
haben, weil die Arbeitnehmer:innen das Geld steuerfrei bekommen, also ohne | |
Abzüge. Und alle gemeinsam können so tun, als würden sie den | |
Corona-Belastungen der Beschäftigten besonders Rechnung tragen. Nun ja, | |
diese höhere Tarifpolitiklogik müssen nun die Mitarbeiter:innen von | |
Bundestagsabgeordneten ausbaden. Dumm gelaufen. | |
4 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Georg_Pazderski/status/1334457938098987012 | |
[2] https://twitter.com/ju_khatib/status/1334526250690502663 | |
[3] /Hilfe-fuer-Mitarbeitende-von-Abgeordneten/!5736527 | |
[4] https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++df6f2fd0-16ad-11eb-bac… | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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