# taz.de -- BER und der Fluglärm: Nach der Stille | |
> Kiekebusch sollte ein verschlafenes Dorf in Brandenburg bleiben, trotz | |
> der Nähe zum neuen Berliner Flughafen BER. Doch daraus wurde nichts. | |
Bild: Dagmar und Horst Bieber zu Hause im Wohnzimmer | |
Die Wiesen, die Wälder und 360-Grad-Horizont machen Brandenburg so schön. | |
Das wusste Theodor Fontane. Er kam auf seinen Wanderungen auch durch das | |
Dörfchen Kiekebusch. Heute wäre er froh, er wäre schwerhörig, wenn es ihn | |
dorthin verschlüge. | |
Draußen: In Kiekebusch leben viele der 200 Menschen in eigenen Häusern – | |
getüncht, aus Backstein, mit Fachwerk. In den großen Gärten ist Platz für | |
Pferde-, Ziegen- oder Hühnergehege. Auch bei den Biebers ist das so. Am | |
Gartenzaun will Horst Bieber das Plakat wieder anbringen, auf dem ein | |
Flugzeug durchgestrichen ist. Vor Jahren hatten sie gegen den Berliner | |
Flughafen BER protestiert, der zweieinhalb Kilometer entfernt gebaut wurde. | |
Als gesagt wurde, in Kiekebusch sei kaum [1][Fluglärm] zu erwarten und als | |
niemand mehr glaubte, dass der BER fertig wird, haben sie es irgendwann | |
abgenommen. „Aber wir sind verschaukelt worden“, sagt Bieber. | |
Der Himmel: In den Himmel guckt man selten. Bis wieder ein Flugzeug direkt | |
übers Haus fliegt. „Wenn es so wenige sind wie jetzt, kann man es | |
aushalten“, sagt Dagmar Bieber und schaut dem Flieger nach. „Aber was, wenn | |
es nicht mehr aufhört. Wenn jede Minute eins kommt?“ Ohne Corona wäre es | |
so. | |
Drinnen: Tiere gibt es auch im Haus. Katzen, Hunde, Fische. Alles strahlt | |
Behaglichkeit aus. Das liegt am verbauten Holz und an den alten Möbeln, dem | |
Klavier, dem Ofen. An der Wand hängen Bilder von Heinrich Zille. Eine | |
Ledernähmaschine steht an einem Fenster. Klar benutze er die, sagt Horst | |
Bieber. „Für Taschen, für Sättel, was es halt zu flicken gibt.“ Würde | |
gegenüber kein Gebäude die Aussicht verstellen, das Ehepaar könnte vom | |
Wohnzimmer aus den Flughafen sehen. | |
Die Hoffmannkurve: Kiekebusch liegt seitlich der Landebahn. Eigentlich, was | |
Lärm angeht, nicht so schlecht. „Ja, wenn, ja, hätte, hätte, Fahrradkette�… | |
sagt Horst Bieber. Er und seine Frau beugen sich über eine Karte und | |
zeigen, warum bei Ostwind plötzlich die Flugzeuge über sie fliegen. Wenig | |
Lärm wäre, wenn die Flugzeuge geradeaus flögen, „was man als | |
Normalsterblicher annimmt“. Aber dann würde Zeuthen, ein größerer Ort, den | |
Lärm abkriegen. „Die wollen das ja auch nicht“, sagt Dagmar Bieber. Ein | |
Mann, Hoffmann hieß er, setzte sich, als die Flugrouten schon beschlossen | |
und die Lärmschutzgebiete ausgewiesen waren, mit dem Plan durch, die | |
Flugzeuge gleich nach dem Start, eine Kurve fliegen zu lassen. | |
[2][„Kotzkurve“ heißt die schon.] Und die geht über Kiekebusch, wo Horst | |
Bieber ein paar Jahre lang Ortsvorsteher war. Jetzt haben Wohnungen | |
andernorts keinen Fluglärm mehr, Kiekebusch dagegen schon. | |
Der Fluglärm zieht mit: In den 1970er Jahren hat Horst Bieber im Norden | |
Berlins gewohnt. Direkt beim [3][Flughafen Tegel]. „Der Lärm war kaum zum | |
Aushalten.“ Er ist dann nach Rudow im Südosten gezogen, nicht weit vom | |
Flughafen Schönefeld. „Aber kein Vergleich zu Tegel.“ Als die Kinder da | |
waren, suchte die Familie ein Haus. Kiekebusch gefällt den Biebers. Sie | |
erkundigten sich, wie der Fluglärm wird. „Kein Problem“, die Antwort. 2002 | |
zogen sie ein. | |
Die Dinge sehen, wie sie sind: Horst Bieber hat ein pragmatisches | |
Verhältnis zum Ungemach: „Wenn man Dinge absolut nicht ändern kann, muss | |
man die Einstellung zu den Dingen ändern“, sagt er. Man müsse das Große | |
dann klein denken. Diese Haltung ist waschechten Berlinern, wie er einer | |
ist, eigen. „Berliner Wurschtigkeit“, heißt das im Rest der Republik, dabei | |
ist es doch eher Überlebenswille. „Du hast gut reden“, sagt seine Frau, �… | |
hörst schlecht.“ Sie dagegen spürt, dass ihr durch den Lärm Gewalt angetan | |
wird. | |
Laute Provinz: Ihr Mann nimmt die Sorge seiner Frau ernst. Auch die Klagen | |
anderer Leute im Dorf. „Ich kenn welche, die wohnen ihr ganzes Leben hier | |
und sind nie verreist.. ‚Ich hab doch alles‘, sagen die.“ Jetzt nimmt man | |
ihnen die Stille. „Nur, damit zum Spottpreis geflogen werden kann“, sagt | |
Biebers Frau. Und zudem: Kiekebusch ist umzingelt von Autobahnen. Eine | |
Ausfahrt soll jetzt für den Flughafen gebaut werden, die direkt im Dorf | |
endet. „Das gibt es nirgendwo sonst.“ Horst Bieber engagiert sich, wo er | |
kann. „Ich kann nicht nichts tun.“ | |
Wer sie sind: Dagmar Bieber ist in München groß geworden, neun Jahre jünger | |
als ihr Mann und arbeitet als Buchhalterin. Sie ist ein ruhiger Typ. Das | |
Reden überlässt sie ihm. Er ist in Rudow aufgewachsen. Sein Vater war | |
Polizist, seine Mutter hatte einen Kiosk. Er ist um die Häuser gezogen, als | |
deren Fassaden noch Einschusslöcher hatten vom Krieg. | |
Er und sie: Dagmar und Horst Bieber haben sich in der Berliner U-Bahn | |
gesehen. Immer wieder. Morgens hatten sie den gleichen Weg. „Du bist | |
gestanden, ich gesessen“, sagt er. „Weil ich früher einstieg und es da noch | |
Sitzplätze gab.“ Irgendwann seien ihre Augen dann aneinander kleben | |
geblieben. 1987 heirateten sie. „Die Frau aus Bayern und der Preuß“, sagt | |
er. Dass es zwischen denen eine Feindschaft gibt, das hat er mal erfahren. | |
Deshalb hat seine Berufsbiografie einen Knick. | |
Was tun: „25 Jahre Ausbildung, 20 Jahre Siemens, 20 Jahre Graveur.“ So | |
fasst Bieber seinen Berufsweg zusammen. Erst ’ne Lehre, dann Abendschule, | |
danach Elektrotechnik studieren. Bei Siemens in Berlin war er | |
Entwicklungsingenieur. Mitte der 1990er Jahre sollte er nach München | |
versetzt werden. „Für mich war klar, wir ziehen da hin. Die Frau hat sich | |
gefreut.“ Dann der Knall: Der Betriebsrat dort lehnte ihn ab. „Wir haben | |
genug arbeitslose Ingenieure in Bayern, wir brauchen den Preußen nicht“, | |
soll einer gesagt haben. „To be a Preiß is nice, to be a Bayer is higher“, | |
sei bayerisches Grundwissen, sagt Bieber. | |
Was Neues anfangen: Er hat sich dann selbständig gemacht mit Alarmanlagen. | |
Da war ja die Abfindung. Ein Freund, der ein Graveurgeschäft aufzog, hatte | |
Platz in seinem Laden; Bieber stieg ein. Aber das sei auch so ein Ding | |
gewesen. Denn kurz darauf hat der Freund ihn hängen lassen, mit allem. Da | |
hat er sich selbst das Graveurhandwerk beigebracht, hat Pokale verkauft. | |
Einmal habe ein Kind im Laden gesagt: Oh wie toll, hier ist Freude. „Ja, | |
Freude, das ist es, dachte ich.“ Bis die Internetkonkurrenz aufkam, konnte | |
er davon leben. | |
Noch so ein Ding: Anders als seine Frau ist Horst Bieber ein Pferdenarr. | |
Bis zu jener Nacht, als er mit einem Kumpel betrunken durch den Spandauer | |
Forst ritt und sich die Büsche bewegten, die Pferde durchgingen. Die Büsche | |
bewegten sich, weil darunter Soldaten steckten, britische, die im Grunewald | |
den Krieg übten. Die konnten so was machen, als in Westberlin die | |
britische, amerikanische und französische Armee noch eigentlicher Stadtherr | |
war. Wie er damals nach Hause kam, wisse er nicht. Er stieg dann aufs | |
Motorrad um, „das hat keine Angst“. Als seine Töchter das Reitfieber | |
bekamen, Turniere ritten im Western Reiten, setzte er sich doch wieder aufs | |
Pferd. | |
Coronafolgen: Die Kinder verließen das Haus, lebten ihr eigenes Leben, | |
einige der Pferde wurden verkauft. Derzeit grasen ein Muli und ein Pony im | |
Garten. Gerade aber musste die ältere Tochter ihr Geschäft coronabedingt in | |
Magdeburg aufgeben und zog wieder zu den Eltern. Der Sohn ebenfalls. „Platz | |
ist genug da“, sagt Horst Bieber. Vielleicht kommen Pferde nach. | |
Kommunalpolitik: Coronafolgen gibt es auch in der Kommunalpolitik, wo | |
Bieber aktiv ist. Als Ortsvorsteher von Kiekebusch merkte er, er braucht | |
Verbündete. Deshalb ist er mit den Freien Wählern in den letzten Wahlkampf | |
gezogen und in den Gemeinderat von Schönefeld gewählt worden. Eine reichere | |
Gemeinde gibt es in Brandenburg nicht. Das ist den Gewerbeansiedlungen am | |
BER geschuldet. „Andere schließen Schwimmbäder, wir bauen sie.“ Laptops f… | |
Schulen? Kein Problem. Nur, da sei auch der Wahnsinn. Dass wie verrückt | |
Wohnungen gebaut werden, man sich sein Lärmproblem neu schaffe. Und dass | |
alles zubetoniert werde. Bieber will sich dafür einsetzen, dass der | |
Flächenfraß aufhört. Die Chancen sind eher gering. | |
1 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Fluglaerm/!t5028982 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/piloten-sprechen-von-kotzkurve-bei-ostwi… | |
[3] /TXL-schliesst-endgueltig/!5723462 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) | |
Klaus Wowereit | |
Matthias Platzeck | |
Fluglärm | |
Der Hausbesuch | |
Pille danach | |
Kolumne Berliner Szenen | |
Berlin-Tegel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anhörung im Landtag: Schlaflos in Langenhagen | |
In Hannover wird mal wieder über Fluglärm diskutiert. Der Flughafenchef ist | |
entsetzt: Die nächtlichen „Ferienbomber“ sind sein Kerngeschäft. | |
Der Hausbesuch: Helfen und helfen lassen | |
Goldi war 17 Jahre lang obdachlos. Zurzeit ist er in der Wohnung eines | |
Bekannten untergekommen. Und sorgt sich um andere auf der Straße. | |
Rauchen, Sport, Pinkeln, Stress: Nach dem Sex | |
Alles eine Frage des Wissens: Je mehr darüber bekannt ist, was nach dem Sex | |
mit einem passiert, desto länger kann er genossen werden. | |
Landung am neuen Airport: Das alte BER-Pannen-Feeling | |
Der neue Flughafen hat geöffnet, doch noch funktioniert nicht alles. Und | |
drinnen finden sich seltsame Retro-Gegenstände. | |
Schließung des Berliner Flughafens Tegel: Pankow hat seinen Himmel zurück | |
Nach acht Jahren Warten ist es so weit. Am Sonntag startete um 15.40 Uhr | |
das letzte Flugzeug vom Flughafen Tegel. In Pankow wurde das gefeiert. |