# taz.de -- Aktivist über Klimagerechtigkeit: „Ich werde BDSM-Hure“ | |
> Tadzio Müller ist in Deutschland Klimaaktivist der ersten Stunde. Weil | |
> Arbeit als Sexworker für ihn politisch relevant ist, will er sein Geld | |
> künftig mit Sexarbeit verdienen. | |
Bild: „Wir müssen auch Scheu und Scham vor Körperlichkeit ablegen“, sagt … | |
Herr Müller, Sie stehen seit Jahren recht prominent auf und hinter den | |
Bühnen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Ab März sind Sie nach neun Jahren | |
nicht mehr bezahlter Vollzeitaktivist, sondern werden Sexarbeiter. Kehren | |
Sie der Klimabewegung den Rücken zu? | |
Tadzio Müller: Ganz sicher nicht, ich war ja auch vor der | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung schon in der Klimabewegung. Wo ich mein Geld | |
herkriege, ist dafür nicht relevant. Als Sexarbeiter habe ich nebenher | |
schon immer mal wieder gejobbt. Nur die RLS und ich gehen jetzt getrennte | |
Wege, im beidseitigen Einvernehmen, wie man so sagt. | |
Oder wie man auch sagt: Sie wurden gekündigt? | |
Nein, es gibt kein böses Blut. Ich bin einfach kein sehr guter Mitarbeiter. | |
Ich bin renitent und habe zugegebenermaßen kein kleines Ego. Klar, es gibt | |
auch politische Differenzen. Ich sehe den Versuch der Klimabewegung, die | |
Partei Die Linke näher an sich ranzuziehen, vorerst als gescheitert an. | |
Weil dort der Gewerkschaftsflügel stark ist, der eher auf die Rettung | |
deutscher Arbeitsplätze pocht als auf globale Gerechtigkeit? | |
Unter anderem. Und ich brauche die komplette Freiheit, solche Dinge zu | |
sagen. Da kann es nicht sein, dass mich danach jemand anruft und sagt: Ey, | |
mach mal diesen Tweet weg. So ist das aber eben in Organisationen, deshalb | |
will ich auch gerade nicht woanders Referent oder Campaigner werden. | |
Stattdessen gehen Sie in eine Branche, in der Sie zwar nicht unbedingt eine | |
Chefin brauchen, aber wie in der Klimapolitik schwierige politische | |
Rahmenbedingungen vorfinden. | |
Sexarbeiter:innen gehören zu den marginalisiertesten Berufstätigen, auch | |
weil viele von ihnen schon Diskriminierung erfahren, weil sie People of | |
Color, Trans-Personen und Migrant:innen sind. Und dann gibt es jetzt auch | |
noch den Angriff von SPD-Politiker:innen wie Leni Breymaier und Karl | |
Lauterbach, die das sogenannte nordische Modell wollen, ein Sexkaufverbot – | |
also effektiv ein Prostitutionsverbot. In kriminalisierten Branchen lassen | |
sich gute Arbeitsbedingungen natürlich noch schlechter durchsetzen. Ich | |
will auch mithelfen, die Hurenbewegung zu organisieren. Also: vielleicht | |
zur Hälfte Klimabewegung, zur Hälfte Hurenbewegung. Eigentlich gehört das | |
eh zusammen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Die Arbeit als Sexworker ist für mich wirklich auch politisch relevant. | |
Erstens, weil das für mich ein Bruch mit der Normalität ist, die die Welt | |
zerstört. [1][Ich komme mit vielen Privilegien] aus dem gehobenen | |
Bürgertum. Mein Vater war früher Partner bei Baker & McKenzie, also einer | |
zutiefst neoliberalen Wirtschaftsrechtkanzlei. Und ich sitze in einer | |
Eigentumswohnung, die mit seinem Blutgeld gekauft wurde. Ich habe einen | |
Doktorgrad, bin verheiratet und habe einen Job in einer Stiftung. Jetzt | |
werde ich BDSM-Hure für Klimagerechtigkeit. Von den gesellschaftlichen | |
Rändern kann man die härtesten politischen Angriffe starten, weil man von | |
da aus den Normalwahnsinn am besten entlarven kann. | |
Und zweitens? | |
Meine These ist: Was uns in den progressiven Bewegungen fehlt, sind | |
positive kulturelle Erzählungen. Wir sind verkopft. Aber eigentlich geht es | |
doch darum: Wie kann das Leben geiler sein, mehr Spaß machen, mehr kicken, | |
mehr rocken? | |
Mit weniger Stress, mehr Kunst, mehr Fürsorge werben viele, die wie Sie das | |
kapitalistische und planetenaufheizende Wirtschaftswachstum ablehnen. Und | |
Ihre Antwort ist: mehr Sex? | |
Ich gehe mit allen genannten Punkten mit. Aber wir müssen auch Scheu und | |
Scham vor Körperlichkeit ablegen. Das macht die Klimabewegung teilweise | |
schon, beim zivilen Ungehorsam stellen wir ja auch schon Körper in den | |
Vordergrund. Aber jetzt denke ich mir, mein Körper ist doch nicht nur ein | |
Poller zwischen einem Kohlekraftwerk und der Polizei oder zwischen Nazis | |
und einem Flüchtlingsheim. Mein Körper liebt, lebt, tanzt, fickt, küsst. | |
Auch das muss Platz in der Politik haben. | |
Auf Fridays-for-Future-Demos sieht man Sie auch ab und zu von Ihrem Mann an | |
der Leine geführt, in der Hand ein Schild mit der Aufschrift „Faggots for | |
Future“... | |
Wie wir da aufgenommen wurden! Wir wurden dafür mega abgefeiert. Da haben | |
wir gemerkt: Wir können Glitzer, Lebensfreude und Hedonismus in eine | |
Generation mitbringen, die aus extrem guten Gründen viel Angst hat. Und | |
gleichzeitig wollen wir unsere fellow gays davon überzeugen: Wir als | |
schwule Männer müssen Teil von Gerechtigkeitsbewegungen werden. | |
Das ist ja nicht unbedingt neu, oder? | |
In den Siebzigern war das schon mal so. Aber diese Männer starben alle in | |
den Achtzigern durch die Aids-Krise. Jetzt haben wir Schwulen uns ein | |
bisschen zurückgenommen. Aber ich finde, wir können nicht nur sagen, hey, | |
wir machen halt hier unser Rosa-Geld-Ding und bleiben in unserer Szene. Aus | |
Solidarität, aber auch im eigenen Interesse. Diese Räume werden wir nicht | |
mehr haben, wenn nicht die Progressiven, sondern die Nazis gewinnen. Die | |
politisieren Körperlichkeit übrigens auch, aber auf eine brutale, | |
vernichtende, tötende Weise. Du bist frustriert, du fühlst dich machtlos? | |
Geh' mal ein paar Migranten klatschen. Die liefern einfache, schnelle | |
Ermächtigungsgefühle. Dem müssen wir eine emanzipatorische Erzählung | |
entgegenstellen. | |
Wie sieht die aus? | |
Sex ist Ekstase und Befreiung. Und Sex ist transformativ, besonders queerer | |
Sex. Ich war früher auch schon mit einer Frau zusammen. Before I found out | |
some important stuff about myself. Bei Hetero-Sex wird vieles einfach als | |
normal angenommen. Beim queeren Sex ist das anders. [2][Wer oben ist, muss | |
immer verhandelt werden]. Beim BDSM ist das noch mal krasser, weil man dort | |
Machtverhältnisse durchspielen und durch ein Wort – das sogenannte Safe | |
Word – wieder auflösen kann. Man erfährt dabei auf ganz direkte Weise, dass | |
Machtverhältnisse veränderbar sind. | |
28 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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