| # taz.de -- Beweglichkeit älterer Herren: Die fitten Jahre sind vorbei | |
| > Es bleibt nur wenig Zeit, die ich halbwegs beweglich auf dem Fußballplatz | |
| > hätte zubringen können. Und dann grätscht mir die Pandemie ins Wadenbein! | |
| Bild: Ich steh im Tor. Und Sie dahinter | |
| Die jungen Leute, heißt es jetzt immer, haben es wegen Corona am | |
| schwersten. Sie können nicht feiern, blablabla, ihre Jugend wird | |
| vernichtet, heulheulheul. Selbst 1945 hätten sie wenigstens noch als | |
| Flakhelfer zu mehreren Haushalten an die frische Luft gedurft. Dabei bin am | |
| Ende doch bloß wieder ich es, der die größte gesellschaftliche Last zu | |
| tragen hat. Denn von der Öffentlichkeit unbeachtet läuft meine letzte Zeit | |
| als Fußballspieler tatenlos herunter. [1][Mannschaftssport ist verboten]. | |
| Es gibt auch noch andere alte Spieler. Aber die können Fußball spielen, und | |
| mussten ihre Mängel nie wie ich durch körperlichen Einsatz kompensieren. | |
| Doch auch das vermag ich nun nicht mehr zu leisten. Die anderen sind ja | |
| sehr lieb. Sie lassen sich nichts anmerken. Weder Mitleid noch Unmut oder | |
| Ungeduld. Weil ich ja das Spiel verschleppe und zerstöre. | |
| Nur einer hat mir mal als gut gemeintes Zeichen das Wadenbein gebrochen. | |
| Ich habe trotzdem weitergemacht. [2][Das Wadenbein ist nicht wichtig]. | |
| Aber ich bin schwach. Es geht zu Ende. Zwei, drei Jahre gebe ich mir noch, | |
| bestenfalls, wenn alles gut läuft. In einem Umschlag werde ich mein | |
| Vermächtnis hinterlassen: Wer meinen Platz auf der Ersatzbank bekommen | |
| wird, und wer den im Ältestenrat. | |
| ## Der Körper ist definiert, fragt sich nur wie | |
| Neuerdings habe ich immer wieder diesen Traum: Ich stehe im Trikot auf | |
| einem Fußballplatz. Es ist ein Naturrasenplatz, für uns Berliner | |
| Hobbyspieler ein ungewohnt schwerer und langsamer Untergrund. Mit dem Ball | |
| am Fuß habe ich nur noch das gegnerische Tor vor mir, kein Gegenspieler ist | |
| weit und breit zu sehen. Doch so sehr ich mich abmühe, komme ich keinen | |
| Schritt voran, als stünde ich in einem tiefen Sumpf. Untenrum Brei. Ich | |
| schwitze. Ich bin auch irgendwie sehr klein. Der Platz erscheint mir endlos | |
| lang, das Tor so fern. Dann wache ich auf. | |
| „Ein alter Mann ist ein D-Zug“, deutet mein Urologe und Traumverwalter | |
| Zbigniew diesen Traum, „aber ein junger Mann ist ein ICE.“ Er sieht hier | |
| einen unverarbeiteten inneren Kampf des Verfalls mit der Eitelkeit. Denn | |
| natürlich bin ich eitel. Da mich aufgrund meiner prominenten Nebentätigkeit | |
| als Nacktmodell für Granu Fink die Mehrheit der Leser auch unbekleidet | |
| kennt, wissen sie, dass ich nach wie vor einen überaus definierten Körper | |
| habe. Nur die Definition hat sich mit der Zeit gewandelt. | |
| Es gelingt mir leider nicht immer, das aktualisierte eigene Bild vor Augen | |
| zu haben, diesen wurmstichigen Sarg aus Fleisch, der einst ein knackiges | |
| Bübchen war. Oft denkt man innen jung, und ist dabei doch außen alt. Der | |
| verzweifelte Last-Minute-Körperkult des alternden Mannes ist wie das | |
| bittersüße Abendlied eines sterbenden Vogels. | |
| 28 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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