| # taz.de -- Über das Gefühl der Gleichgültigkeit: Das Kriegsenkelsyndrom | |
| > Wenn nach Anschlägen kein Raum für Emotionen ist, sondern einem | |
| > abgekühlte Analysen entgegen schlagen, dann ist das Kälte, nicht | |
| > Coolness. | |
| Bild: 1960-Geborene wachsen heran zu Menschen mit Kühlschrank-Seelen | |
| Eine sonst überaus gutartige Freundin hinterfragt sich, weil sie beim | |
| Anblick von [1][Beatrix von Storch] nur blanken Hass verspüre. Ich | |
| versichere ihr, das sei völlig okay. Sie solle sich die gesunde Empfindung | |
| bitte nicht verderben lassen. | |
| Von heiliger Empörung über echte gesellschaftliche Schieflagen könnte ich | |
| mir eine Scheibe abschneiden: Klima, Moria, you name it. Anstatt mich immer | |
| nur wegen ichbezogener Lappalien aufzuregen. Wenn mir einer die Vorfahrt | |
| nimmt oder mein Team verliert, bin ich auf einmal lebendig. Sonst ist mir | |
| immer alles egal. Das ist schon bitter. | |
| Meistens köchelt die Empathie bei uns Mittelalten nämlich auf Sparflamme – | |
| in der Hölle wird es später eh noch heiß genug. Zum Beispiel nach einem | |
| Attentat: Die Opfer sind noch nicht kalt, da setzt in den sozialen | |
| Hetzwerken bereits das Androsplaining ein: Man müsse jetzt sofort dieses | |
| oder jenes abwägen und unbedingt kühlen Kopf bewahren. Emotionen seien | |
| grundsätzlich fehl am Platz, Trauer und Entsetzen die manieristischen | |
| Marotten halbdebiler Jungmenschen und Frauenzimmer; am Ende wird noch | |
| über die [2][Ausstattung des Lkws gefachsimpelt], mit dem der Mörder die | |
| Leute zu Brei fuhr. | |
| Jeder zwischenmenschliche Aspekt scheint ausgeblendet. Nicht, dass ihre | |
| Analysen falsch wären, zuweilen sind sie sogar ganz gut. Denken können sie | |
| ja. Aber sie lassen den geschockten Mitmenschen keine Atempause für ihre | |
| Anteilnahme. Denn was sie selbst nicht besitzen, kann nur ein Fehler sein. | |
| Also feiern die Andropausenmänner ihre eigenartige Seelenkälte noch als | |
| Coolness ab und nageln sich daraus eine höhere politische Vernunft oder | |
| „allgemeingültige“ Moral zusammen. | |
| ## Eine Seele wie ein Kühlschrank | |
| Sie sehen sich als neutrale Überinstanz; ein alarmierender Defekt wird zur | |
| altersweisen Abgeklärtheit geadelt – „das Lied der lebenden Leichen“ nen… | |
| mein Urologe Zbigniew unser lautes Ansingen gegen die Angst vor dem eigenen | |
| Sentiment. Mit üblen Folgen auch für uns selbst: Was weich ist, biegt sich; | |
| was hart ist, bricht. | |
| Zunächst ist dieses typische „Kriegsenkelsyndrom“ ja eher bedauernswert. | |
| Mitgefühl kann man nicht einfordern. Die Seele vieler in den 1960ern | |
| Geborenen ist nun mal in einem Kühlschrank ohne Griff und Licht gefangen. | |
| Aber ein bisschen mehr Krankheitseinsicht wäre zu wünschen. Man könnte | |
| versuchen, den exotischen Emokram wenigstens rational zu begreifen. | |
| Wir könnten uns menschliche Regungen von anderen abschauen, sie wie eine | |
| Fremdsprache notdürftig erlernen. Das spräche immerhin von gutem Willen. | |
| Man kann doch zumindest so tun, als wäre man ein Mensch. | |
| 26 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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