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# taz.de -- Negativitätseffekt des Gehirns: Tagebuch der guten Dinge
> Unser Gehirn neigt dazu, sich auf Negatives zu konzentrieren, das
> Positive aber zu vergessen. Unsere Kolumnistin hat eine Strategie
> dagegen.
Bild: Ein „Dankbarkeitstagebuch“ kann helfen aus der negativen Gedankenspir…
Es gibt Zeiten, da fühlt sich vieles dunkel an, in diesem Jahr besonders.
Menschen haben Angehörige verloren und erleben dadurch eine Dunkelheit, die
sich so dicht und schwer anfühlen muss, dass sie unendlich erscheint.
Menschen haben Existenzen verloren und werden noch lange damit beschäftigt
sein, sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Menschen haben Strukturen
verloren, an denen sie sich festhalten können, Menschen mit Depressionen,
von [1][Gewalt Betroffene], Eltern, [2][Schüler*innen] – die Liste ist
lang. Nach einem solchen Jahr frage ich mich: Wenn so viel verloren wurde,
was bleibt?
Ich führe seit einem Jahr ein besonderes Tagebuch. Ich schreibe alles
hinein, was mich an diesem Tag beschäftigt hat, was ich erlebt, gesehen,
gefühlt habe. Meine Einträge erfüllen eine Bedingung: Sie müssen positiv
sein. Das heißt nicht, dass ich nur die guten Dinge aufschreibe und die
schlechten weglasse; ich erkläre mir, Abend für Abend, was Gutes aus dem
folgt, was ich als schlecht erlebt habe. Und ich halte jede positive
Erfahrung fest, so klein sie auch sein mag.
Anfang des Jahres erholte ich mich langsam von langer, schwerer Krankheit;
ich notierte in meinem Tagebuch nicht, dass ich noch immer nicht so leicht
joggen konnte wie früher, sondern wie glücklich ich war, jeden Tag ein
bisschen länger joggen zu können. Ich schrieb jenen Moment auf, in dem ich
mich wieder im Spiegel anschaute, ohne Angst und Krankheit zu sehen,
sondern ein Lächeln. Ich schrieb zu jedem Spaziergang, zu jedem Gespräch
mit Freund*innen und Familie ein paar Worte auf.
Ich tue das, nicht weil ich mich abends neben meinen Traumfänger setze und
mit Duftkerzen und mit Gong irgendein Ritual einleite (nichts gegen
Traumfänger, Duftkerzen und Gong). Sondern ich tue das, weil ich mich schon
länger mit dem Gehirn beschäftige und weiß, dass das Gehirn einer Art
Wahrnehmungsstörung unterliegt: dem Negativitätseffekt.
## Das Gute vergilbt
Das Gehirn hält an allem fest, das schlecht ist, das Angst macht. Aber es
vergisst jene Dinge, die gut sind. Es wirkt auf Negatives wie Klett, auf
Positives wie Teflon. Wir wissen noch Jahre später, was uns jemand Böses
angetan hat, oft in erstaunlichem Detail, aber die zahlreicheren guten
Momente, die wir mit dieser Person hatten, vergilben wie Fotos im
Fotoalbum. Wir erinnern uns an das, was wir verloren haben, nicht an das,
was bleibt.
Nein, Menschen, die Angehörige verloren haben, Existenzen und so vieles
andere, kommen mit einem Tagebuch der guten Dinge nicht einfach aus dem
Dunkel hinaus. Das Leid, das sie erleben, ist schwer und fest, es hebt sich
nicht leicht. Sie brauchen Hilfe, sie brauchen Zeit, Zuneigung und
Zuwendung. Dennoch sollten wir nicht vergessen: Wir haben dem Schlechten
immer etwas entgegenzusetzen, so klein es auch ist. Wir haben zwar leider
oft keine Kontrolle darüber, ob wir fallen. Aber wir entscheiden, wie wir
landen. Wir entscheiden, was bleibt.
21 Dec 2020
## LINKS
[1] /Gewalt-gegen-Frauen-in-der-Pandemie/!5730408
[2] /Kinder-in-der-Coronakrise/!5691595
## AUTOREN
Gilda Sahebi
## TAGS
Kolumne Krank und Schein
Gehirn
Schwerpunkt Coronavirus
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Pflegekräftemangel
Ibuprofen
Schwerpunkt Abtreibung
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