# taz.de -- Pflegekräfte in der Coronapandemie: Im Stich gelassen | |
> Wie sich die Gesellschaft um die kümmert, die die Schwächsten versorgen, | |
> sagt viel aus. Das zeigt sich besonders in der Pandemie. | |
Bild: Eine Krankenschwester dokumentiert die Behandlungsschritte eines Covid-19… | |
Was mir bei meiner Arbeit im Krankenhaus oft auffiel: die fehlende | |
Aufmüpfigkeit des medizinischen Personals. Unzählige Überstunden, fehlende | |
Pausen oder herrischer Umgang durch Vorgesetzte wurden oft frustriert und | |
erschöpft hingenommen. Die Resignation wurde mit nach Hause genommen. | |
Warum? The show must go on. Denn es sind keine Autoteile, die auf einen | |
warten, sondern Menschen, kranke und sterbende, verzweifelte und | |
verängstigte. | |
Diese fehlende Aufmüpfigkeit trägt uns seit Monaten durch die Pandemie. | |
Politik und Gesellschaft reagierten im Herbst [1][viel zu spät] auf | |
steigende Infektionszahlen und die zunehmend angespannte Lage in den | |
Kliniken. Und nun können Pfleger*innen, Ärzt*innen, Putzkräfte, alle, | |
die die Kliniken am Laufen halten, nicht einfach hinschmeißen. Sie setzen | |
sich der Gefahr aus, selbst krank zu werden. Für uns alle. Es sind übrigens | |
zu [2][76 Prozent Frauen]. Von den 5,65 Millionen Menschen, die im gesamten | |
Gesundheitswesen arbeiten, sind drei Viertel Frauen. | |
Eine Berliner Krankenpflegerin erzählte mir vor Kurzem, wie sich ihre | |
Arbeit durch die Pandemie verändert habe; noch öfter muss sie besorgte | |
Angehörige beruhigen, weil sie nicht zu ihren erkrankten Verwandten können. | |
Die Alten aus Pflegeheimen, oft dement, verstehen nicht, was los ist. Sie | |
werden aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen und sehen nur noch Menschen | |
in Schutzkleidung, kein Lächeln, keine Wärme. Mit dieser Angst muss die | |
Pflegerin jeden Tag umzugehen lernen. | |
Deutschland ist eines [3][der wenigen europäischen Länder], das seinen | |
Gesundheitskräften keine psychologische Hilfe zur Verfügung stellt. Länder | |
wie Polen, Frankreich oder Großbritannien haben angesichts der | |
Covid-19-Krise telefonische Beratungsdienste eingerichtet oder vermitteln | |
Gespräche mit Psycholog*innen. Schon vor der Krise war der Krankenstand | |
bei Pflegekräften teilweise bis zu [4][9 Prozent höher] als in anderen | |
Berufen; wie sich die Pandemie darauf auswirkt, wird sich noch zeigen. Und | |
darauf, wie viele Menschen diesen Beruf überhaupt noch werden ausüben | |
wollen. | |
## Umgang mit den Schwächsten | |
Jens Spahn hat eine „Coronaprämie“ eingerichtet, 1.000 Euro. Übergehen wir | |
mal die niedrige Summe für monatelange Schwerstarbeit, emotional und | |
körperlich. Die Prämie bezog [5][70 Prozent der Kliniken] gar nicht erst | |
mit ein. Spahn versprach nachzubessern; aber auch dann werden wohl nur | |
Pflegende prämiert, die direkt Kontakt zu Covid-19-Patient*innen haben. Was | |
aber ist mit denen, die auf Normalstationen ein Vielfaches an Arbeit haben, | |
weil ein Teil des Personals für die Covid-19-Versorgung abgezogen wurde | |
oder in Quarantäne ist? | |
Es heißt, dass eine Gesellschaft sich darüber definiere, wie sie mit ihren | |
Schwächsten umgeht. Ich glaube, wir als Gesellschaft definieren uns | |
darüber, wie wir mit jenen umgehen, die sich um die Schwächsten kümmern. | |
Ich komme zu keinem anderen Schluss: Wir haben sie schon lange im Stich | |
gelassen. | |
12 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/video/politik-ramelow-corona-management-lanz… | |
[2] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119690/Rund-3-6-Millionen-Beschaefti… | |
[3] https://analysis.covid19healthsystem.org/index.php/2020/05/21/how-are-count… | |
[4] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113640/AOK-Pflegepersonal-haeufiger-… | |
[5] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119696/Spahn-stellt-Nachbesserungen-… | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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