# taz.de -- Der Corona-Impfstoff von Biontech: Über Risiken und Nebenwirkungen | |
> Getestet und für gut befunden. Dennoch gibt es beim Vakzin BNT 162b2 von | |
> Biontech viele offene Fragen, etwa zur Impfung von Kindern. | |
Bild: Der Impfstoff von BionTech und Pfizer – ist er so ungefährlich und sic… | |
Manchmal sind Impfungen unkalkulierbar. So war es bei dem neunjährigen | |
Joseph Meister, dem Sohn eines Bäckers aus dem Elsass, dem der Biochemiker | |
Louis Pasteur am 6. Juli 1885 als erstem Menschen ein Vakzin gegen [1][die | |
Tollwut verabreichte]. Der Junge war zuvor von einem infizierten Hund übel | |
gebissen worden, was damals einem Todesurteil gleichkam. | |
Pasteur hatte zuvor erfolgreich Hunde geimpft – und zwar mit Rückenmark | |
oder Hirnmasse von mit Tollwut infizierten Kaninchen und Hunden, was er | |
zwei Wochen lang getrocknet, im Mörser zerstoßen und gelöst hatte. Das | |
spritzte er jetzt dem Kind in die Bauchdecke. Pasteur wusste noch nichts | |
von Lebendimpfstoffen mit geschwächten Viren, doch genau das bekam der | |
kleine Joseph Meister. Er überlebte, wurde aus Dankbarkeit später Pförtner | |
am Pasteur-Institut in Paris und brachte sich 1940 um, als | |
Wehrmacht-Soldaten in das Institut eindrangen. | |
„Das war Impfstoffforschung vor 130 Jahren“, sagt Herwig Kollaritsch am | |
Telefon und lacht. „Schon ein kleiner Unterschied zu heute.“ Kollaritsch | |
ist Professor am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an | |
der Medizinischen Universität Wien, hat selbst eine RNA-Impfung | |
mitentwickelt und ist Mitglied des österreichischen Coronaberaterstabes. | |
Vor Kurzem erschien sein Buch „Pro & Contra Corona-Impfung“. Mit dem will | |
er Fakten liefern, die Debatte wegbringen von der emotionalen Ebene. | |
Kollaritsch gibt Interviews im Fernsehen und bekommt danach Mails mit | |
Beschimpfungen. Das sei eben so, sagt er. Er wolle niemanden von | |
irgendetwas überzeugen, sondern eine Grundlage für eine persönliche, eigene | |
Entscheidung liefern, und das in der Frage, vor der bald viele stehen: Soll | |
ich mich gegen Corona impfen lassen, und dann auch noch mit diesem neuen | |
mRNA-Ansatz von Pfizer und Biontech? Wie sieht da eine persönliche Abwägung | |
aus? | |
Zur Debatte stehen: das Persönliche gegen das Gesellschaftliche. Das | |
Risiko, Konzernen zu vertrauen. Ebenso Behörde, Vorschriften, Routinen, der | |
EU-Richtlinie 2003/94/EG „zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der | |
guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim | |
Menschen bestimmte Prüfpräparate“. Einer neuen Impf-Technologie, mRNA. | |
Hatten wir doch alles schon mit anderen Technologien. Contergan. Atomkraft. | |
Am besten, man beginnt eine Abwägung weit in der Vergangenheit. Mit einer | |
simplen, fast schon beruhigenden Erkenntnis: Impfgegnerschaft, die Angst | |
davor, sich unsichtbare, widernatürlich erscheinende Substanzen ins Blut | |
spritzen zu lassen, ist so alt wie das Impfen selbst. Einer der frühestens | |
Mahner war ein gewisser Immanuel Kant. Der Philosoph sah in Kinderpocken | |
und Krieg ein natürliches, absichtliches Übel der Vorhersehung, um „die | |
große Vermehrung einzuschränken“. Er dachte über eine Impfpflicht nach | |
(grundsätzlich erlaubt, erste Einführung in Bayern am 26. August 1807) und | |
über Lebendimpfstoffe, deren Einsatz mitunter tödlich endete. Auch moderne | |
Impfstoffe kennen ernste Probleme: Die in den 1960er Jahren verabreichten | |
Vakzine gegen Kinderlähmung riefen in einem von 400.000 Fällen die | |
Krankheit selbst hervor. Ob der Mensch wohl befugt sei, Kinder gegen die | |
Blattern zu impfen, wenn sie durch das Vakzin selbst sterben können? Eine | |
moralische Waghälsigkeit sey das, schrieb Kant, „größer als die physische, | |
welche“. Dann bricht dummerweise [2][das Manuskript] ab. | |
## Die Testergebnisse beim Biontech-Impfstoff | |
Was hätte Kant wohl argumentiert, hätte er die Exaktheit der heutigen Daten | |
besessen? Es lohnt sich, sie am Beispiel des nur bei –70 Grad Celsius | |
lagerfähigem Impfstoffes BNT162b2 von Biontech und Pfizer zu referieren, | |
der in Großbritannien seit Kurzem verabreicht wird, seit Montag in den USA | |
und aller Voraussicht nach in der EU spätestens Anfang Januar vorläufig | |
zugelassen sein wird. Die US-Zulassungsbehörde FDA hat die geprüften Daten | |
über den Impfstoff mittlerweile [3][detailliert auf ihre Webseite | |
gestellt]. Sie sind damit auch von unabhängiger Seite bestätigt. Es handelt | |
sich also nicht mehr um Daten aus Pressemitteilungen der Unternehmen. | |
Urteilen Sie selbst: | |
Von 40.276 Proband*innen sind die Datensätze der klinischen Studien | |
ausgewertet worden. Die Hälfte hat zwei Impfdosen verabreicht bekommen, die | |
Hälfte ein Placebo. 49,4 Prozent waren weiblich. 81,9 Prozent weiß. Das | |
Durchschnittsalter lag bei 50 Jahren. 35,1 Prozent waren übergewichtig, | |
2.940 Personen hatten Diabetes, 210 Personen Diabetes mit chronischen | |
Komplikationen. 2.920 Personen hatten eine chronische Lungenkrankheit, 214 | |
einen Leberschaden, 169 eine kongestive Herzinsuffizienz. 120 Personen | |
waren HIV-positiv, die Daten sind aber nicht ausgewertet, ebenso wie die | |
von Proband*innen unter 16. 76,7 Prozent der Teilnehmenden kamen aus den | |
USA. 1.712 Proband*innen waren über 75 Jahre alt, 153 Datensätze von | |
Jugendlichen zwischen 16 und 18 sind ausgewertet. | |
Nebenwirkungen: 2.238 Personen bekamen Fieber, 6 davon über 39 Grad, über | |
40 niemand. Insgesamt starben 6 ältere Personen während des Testzeitraums, | |
was dem erwarteten Durchschnitt entspricht, schreib die FDA. 4 davon hatten | |
nicht die Impfung erhalten, sondern das Placebo. Die einzigen aufgetretenen | |
schweren Nebenwirkungen waren 64 Fälle von schwerer Lymphadenopathie, eine | |
krankhafte Schwellung der Lymphknoten. | |
Das wären also die bisher bekannten Probleme mit dem Impfstoff: 64 Fälle | |
einer Lymphknotenschwellung, sonst Übelkeit, Kopfschmerzen, manchmal | |
Erbrechen, gelegentlich Fieber – alles normal, aus einem einfachen Grund: | |
Das Immunsystem reagiert. Eine Impfung ohne vorübergehende Nebenwirkungen, | |
in zwei bis drei Tagen vorbei, wäre keine Impfung. Sport, ohne außer Atem | |
zu geraten, wäre wohl kaum Sport. | |
Dagegen Covid-19. Von 40.000 Erkrankten sterben zwischen 120 und 280, zum | |
überwiegenden Teil ältere Menschen. Schwere Verläufe erleiden auch jüngere. | |
Langzeitfolgen sind möglich, also monatelange Müdigkeit, Abgeschlagenheit. | |
Rein mathematisch gesehen ist die Frage, ob der Covid-Impfstoff | |
gesamtgesellschaftlich Sinn macht, also längst beantwortet. „Wir haben zu | |
Covid-19 gute Daten: Es ist circa 10-fach tödlicher als die saisonale | |
Grippe“, sagt Kollaritsch. | |
Wären da nicht diese Zweifel: Kann es nicht sein, dass die irgendetwas | |
übersehen haben? Vor allem: weil es eine neue Technologie ist. Nun ja, sagt | |
Kollaritsch. Der erste Fachaufsatz über die therapeutische Anwendung von | |
mRNA stammt [4][von 1990]. RNA ist eigentlich nur der Bauplan für ein | |
Protein, in dem Fall für eines, das auf der Oberfläche des Virus sitzt. Der | |
Körper produziert es, die Impfung gibt ihm nur die Anleitung in Form einer | |
mRNA, ein winziger Bruchteil nur des Virus-Genoms. Befürchtungen, der | |
Körper könnte mit der Immunantwort übertreiben, scheinen durch die | |
klinischen Studien ausgeräumt. Und dass die RNA selbst das menschliche | |
Genom verändere, wie von Impfgegnern befürchtet? „In der Medizin kann man | |
weniges mit Sicherheit ausschließen, aber das schon: Eine Inkorporation der | |
mRNA in unsere DNA ist technisch unmöglich“, sagt Kollaritsch. | |
Und doch werden eben Dinge übersehen. Kaum gingen in Großbritannien die | |
Impfungen los, hatten zwei starke Allergiker unerwartete Nebenwirkungen. | |
Nicht tödlich, sie haben sich offenbar schnell erholt, aber Vertrauen | |
schafft das eben nicht. Hätte man übrigens wissen können. Starke Allergiker | |
waren von den klinischen Studien ausgenommen. Soviel Aufmerksamkeit diese | |
Fälle bekamen, sie waren nichts Ungewöhnliches. Fest steht etwas anderes: | |
Über Langzeitfolgen des mRNA-Impfstoffes jenseits der Nachbeobachtungszeit | |
von zwei Monaten ist nichts bekannt: Die großen klinischen Studien begannen | |
erst im Juli. „Wir wissen bei dem Impfstoff noch nicht, ob es | |
Langzeitnebenwirkungen gibt, sicher ist, dass, wenn überhaupt, sie sehr | |
selten sind“, konstatiert Kollaritsch. | |
Aber wie sieht es mit einem potenziellen Behördenversagen aus? Also, die | |
Möglichkeit, dass Daten verschleppt, verschlampt worden sind, Warnungen | |
ignoriert oder Ähnliches. So ähnlich wie bei den Impfungen gegen die | |
Schweinegrippe ab 2010. Da setzte nach einiger Zeit bei sehr wenigen | |
Menschen Narkolepsie ein, auch in Deutschland gab es 86 Fälle. Obwohl es | |
eine damals von der Regierung empfohlene Impfung war, kämpfen die | |
Betroffenen teilweise noch heute um eine Entschädigung. Die Anwältin Anja | |
Dornhoff vertritt eine zweistellige Zahl von ihnen. Was damals passierte, | |
war ein klassischer Fall von Nebenwirkungen, die erst später auftraten. | |
Dornhoffs Klient*innen sind im November 2009 geimpft worden, doch | |
Narkolepsie ist eine schleichende Krankheit. „Die meisten hatten zwischen | |
Januar und März zwar die ersten Symptome, also ein starkes Schlafbedürfnis. | |
Aber sie dachten eben, es handelt sich um eine Frühjahrsmüdigkeit“, sagt | |
sie. | |
Bis die wirklich schlimmen Symptome beginnen, die Kataplexien, bei denen | |
sich die Menschen vorübergehend nicht mehr bewegen können, dauert es | |
wesentlich länger. Dornhoff erkämpft für sie Renten vor den | |
Versorgungsämtern der Bundesländer – was alles andere als leicht sei, sagt | |
sie: Es muss mehr dafür als dagegen sprechen, dass die Narkolepsie auf die | |
Impfung zurückzuführen ist. Auch gegen die Konzerne klagt sie. Trotz ihres | |
Mandats ist Dornhoff aber alles andere als eine Impfgegnerin. Was sie | |
ärgert: In der Gebrauchsanweisung des Impfstoffes war die extrem selten | |
auftretende „Narkolepsie“ als Nebenwirkung nicht benannt. Deshalb konnten | |
Ärzte auch nicht darüber aufklären. | |
Vergangene Woche war das Thema Langzeitnebenwirkungen in einer Anhörung der | |
Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA ein Dauerthema. Die EMA versprach, | |
dass alles dafür getan würde, solche Probleme sofort zu erkennen: Es werde | |
etwa spezielle, europaweite Sicherheitsstudien von mindestens zwei Jahren | |
Länge geben. Daten würden weltweit ausgetauscht, außerdem gebe es | |
ausgeklügelte Meldesysteme: Seit 2012 kann man selbst online melden, wenn | |
man Nebenwirkungen bei Impfstoffen zu spüren glaubt. | |
Das birgt allerdings die Gefahr, dass es übermäßig viele Meldungen über | |
alle möglichen Beschwerden gibt. „Hintergrundinzidenz“ nennt sich das: | |
Krankheiten und Beschwerden, die man eben auch ohne Impfungen hätte. Das | |
gab es schon bei den klinischen Studien zu den Covid-Impfstoffen: Da | |
klagten aus der Placebo-Gruppe fast so viele über Müdigkeit wie aus der | |
geimpften Gruppe. | |
## Unklare Folgen für Risikopatienten | |
Doch es gibt eine Gruppe Menschen, für die es wesentlich konkretere, | |
unbeantwortete Risiken gibt: Circa 30 Millionen Menschen in der EU leiden | |
an seltenen Krankheiten. François Houÿez von der Europäischen Organisation | |
für seltene Krankheiten listete eine ganze Reihe davon auf, von Krebsarten | |
über chronische Entzündungen oder Immunschwächen: Es gebe bisher keine | |
Empfehlungen, wie und ob sich diese Menschen impfen lassen sollen. Dabei | |
handelt es sich um Risikogruppen, die besonders geschützt werden müssen. | |
Für Schwangere gilt übrigens das Gleiche: 23 bekamen bisher den Impfstoff, | |
für eine Bewertung reicht das nicht aus. | |
## Ein Vergleich mit Contergan ist schief | |
Spätestens an dieser Stelle fällt in der Debatte das Stichwort Contergan. | |
Das bis 1961 vertriebene Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid, ein | |
Schlaf- und Beruhigungsmittel, führte bei rund 5.000 Menschen schon im | |
Mutterleib zu zum Teil schweren Fehlbildungen. | |
Allerdings: Das heutige Arzneimittelrecht ist erst aufgrund dieses Skandals | |
entwickelt worden. „Am deutlichsten sind die Folgen im Arzneimittelwesen zu | |
erkennen. Bis heute stützt sich die staatliche Medikamentenzulassung und | |
-überwachung in hohem Maße auf die Erfahrungen mit Contergan“, schreiben | |
der Medizinhistoriker Niklas Lenhard-Schramm und Thomas Großbölting in | |
einem Sammelband. Der Skandal habe auch die Arzneimitteleuphorie und den | |
blinden Obrigkeitsglauben der frühen Bundesrepublik schwer erschüttert. | |
Covid-Impftstoffe treffen heute also auf andere, kritischere und fragendere | |
Gesellschaften. Die Verfahren, mit denen heute Impfstoffe oder Medikamente | |
zugelassen werden, sind mit denen vor 60 Jahren nicht einmal im Ansatz zu | |
vergleichen. Die Regelwerke seien sehr rigide und genau, man werde ständig | |
von Externen überprüft, sagt Kollaritsch. „Ich sag immer scherzhaft: Die | |
Prüfbehörden kommen überfallartig wie die Steuerfahndung und kopieren deine | |
ganzen Daten“, sagt Kollaritsch. | |
## An Kindern nicht erprobt | |
Doch trotz dieser behördlichen Exaktheit sind wegen der schnellen Zulassung | |
von Corona-Impfstoffen manche Probleme längst nicht behoben: Der Impfstoff | |
ist an Kindern unter 16 Jahren praktisch nicht erprobt. Wohl gemerkt gibt | |
es schwere Verläufe bei Covid auch im Kindesalter, doch laut der Daten des | |
Robert-Koch-Instituts geschieht das selten. „Sollen wir Kinder einem | |
potenziellen Risiko aussetzen, um ihnen Schutz vor einer Krankheit zu | |
ermöglichen, die ein vergleichsweise geringes Risiko für sie ist – um | |
andere zu schützen, die selbst geimpft werden können?“, fragte Carlos | |
Alberto Guzman, Leiter der Abteilung Vakzinologie und Angewandte | |
Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, während der | |
EMA-Anhörung. Er verweist darauf, dass die Immunantworten von Kindern | |
andere Schemata hätten als die von Erwachsenen – die Daten zur | |
Impfstoffsicherheit lassen sich also nicht ohne Weiteres auf sie | |
übertragen. | |
Derzeit ist eine Impfung von Kindern allerdings ohnehin nicht geplant – man | |
beginnt mit den Älteren, wo die Sache eindeutig ist: Wer zu einer | |
Altersgruppe wie den über 80-Jährigen gehört, bei denen bis zu 10 Prozent | |
der an Covid erkrankten sterben, der wird wohl kaum darüber nachdenken, ob | |
ein Impfstoff unbekannte Langzeitfolgen haben könnte. | |
Für junge Menschen wird die Frage der gesellschaftlichen Verantwortung beim | |
Impfen wichtig werden – also ob man selbst eigentlich das Risiko einer | |
Corona-Infektion in Kauf nehmen würde, sich aber zum Schutz anderer dann | |
trotzdem impfen lässt. Dummerweise gibt es auf diese Frage bisher keine | |
Antwort: Die klinischen Studien des Vakzins von Biontech und Pfizer haben | |
nur ermittelt, wie sehr die Geimpften selbst vor Covid-19 geschützt sind | |
und nicht, ob es auch eine Übertragung des Virus verhindert. Das liegt im | |
Design der Studie begründet: Man impft rund 43.000 Menschen und dann rennen | |
die wieder draußen herum. Die Hälfte von ihnen erhielt ein Placebo. In der | |
Gruppe gab es 134 Covid-Fälle. Die andere Hälfte erhält den Impfstoff, da | |
traten nur 5 Infektionen auf. Ergo schützt er zu 94 Prozent. Man wusste | |
aber vorher nicht, wer von den 43.000 Menschen mit dem Virus in Kontakt | |
kommen würde und gleichzeitig geimpft ist. Es ließ sich also auch nicht | |
ermitteln, ob die Immunen, die das Virus mit ihren vorher gebildeten | |
Antikörpern abwehren, trotzdem noch ihr Umfeld infizieren. Erst in drei bis | |
sechs Monaten werden anders designte Studien Gewissheit darüber erbringen, | |
ob das Vakzin auch sterilisiert, wie man sagt. | |
Und leider, sagt Kollaritsch, helfe da auch der Blick in die Geschichte | |
nichts. „Ob auch Ansteckungen verhindert werden, das ist bei jeder | |
Infektionskrankheit und bei jedem Impfstoff anders. Da kann man überhaupt | |
keine Vorhersagen treffen“, sagt er. Die erste Generation | |
Pneumokokken-Impfstoffe hatten beispielsweise fast keine sterilisierende | |
Wirkung, die heutigen schon. Wer gegen Grippe geimpft ist und sich | |
infiziert, scheidet zwar weniger Viren aus, kann aber theoretisch noch | |
andere anstecken. Meningokokken-B-Impfungen schützen lediglich den | |
Geimpften, Vakzine gegen Masern oder Hepatitis A und B verhindern | |
Übertragungen vollständig. Weil man eben all dies über den Corona-Impfstoff | |
noch nicht weiß, ist auch die Entwicklung weiterer Vakzine sinnvoll – der | |
Chef der deutschen IDT Biologika begründete seine Forschungen kürzlich mit | |
genau diesem Argument. | |
Kommt man am Ende dieser Abwägung nochmals auf die Zeiten von Joseph | |
Meister oder, noch früher, Immanuel Kant zurück, lässt sich eines | |
konstatieren: Damals mussten die Menschen blind auf Wirkmechanismen | |
vertrauen, die sie nicht verstanden. Heute ist das Gegenteil der Fall. „Als | |
Folge einer immer komplexer werdenden Medizin liegen inzwischen zu viele | |
Informationen über teilweise zu schwer nachvollziehbare medizinische und | |
biologische Phänomene vor“, konstatiert die Journalistin Silvia Jelincic, | |
Kollaritschs Co-Autorin. Laien könnten das alles weder einordnen noch | |
interpretieren. Dem gegenüber stünden Impfentwickler der Pharmafirmen und | |
universitäre Forscher, die dieses Wissen entwickeln, sich von der | |
Bevölkerung aber unverstanden fühlten – und sich manchmal im Ton | |
vergriffen, um ihre Überzeugungen durchzusetzen. | |
15 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aerzteblatt.de/archiv/77449/Geschichte-der-Medizin-Louis-Pasteu… | |
[2] https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/aa15/975.html | |
[3] https://www.fda.gov/media/144245/download | |
[4] https://science.sciencemag.org/content/247/4949/1465/tab-pdf | |
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Ingo Arzt | |
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