| # taz.de -- Basketballtrainerin über ihre Karriere: „Es ist schwer für Frau… | |
| > Trainerin Şükran Gencay ist mit den Basketball-Herren des Hamburger ETV | |
| > in die Dritte Liga aufgestiegen. Ein Gespräch über Ehrgeiz und | |
| > Diversität. | |
| Bild: Hat sich mit dem Trainerjob als 18-Jährige Geld dazu verdient und ist da… | |
| taz: Frau Gencay, spielt es für Sie eine Rolle, dass Sie die einzige | |
| weibliche Basketballtrainerin in der Dritten Liga in Deutschland sind? | |
| Şükran Gencay: Für mich ist es eigentlich nichts Besonderes, denn ich bin | |
| ja immer ich. Ich weiß, dass ich eine Frau bin. Für mich ist es also | |
| normal. Am Anfang war es deshalb auch anstrengend, immer öfter darauf | |
| angesprochen zu werden. Aber mittlerweile sehe ich die Aufmerksamkeit eher | |
| positiv. | |
| Warum? | |
| Ich merke, dass dadurch darüber gesprochen und geschrieben wird, normaler | |
| wird und nicht mehr so dieses „Oh mein Gott, haste das gesehen, da war eine | |
| Frau als Trainerin“ ist. Das finde ich cool und hoffe, dass die | |
| Aufmerksamkeit dazu führt, dass sich der Sport in Zukunft weiter | |
| durchmischt. | |
| Welche Voraussetzungen haben Frauen im Profisport? | |
| Ich glaube, in dem Fall kann man den Profisport wirklich über einen Kamm | |
| scheren. Ich denke, es ist schon sehr schwer für Frauen. Es gibt einfach | |
| sehr starre Muster, nicht nur im Sport, auch in der Wirtschaft. Wenn man an | |
| einen Chef denkt, dann ist es einfach meistens so, dass man an einen Mann | |
| denkt. Ich denke, das ist ein gesellschaftliches Thema, das sich im Sport | |
| einfach noch extremer zeigt. Auch weil Sport natürlich generell sehr | |
| männlich assoziiert ist. Das muss man erst mal brechen und sagen: Es gibt | |
| auch andere Bilder. Wenn Sie mich fragen, ist das überfällig. Man kann ja | |
| nicht immer weitermachen wie vor hundert Jahren. | |
| Sehen Sie sich als Vorbild für genau diesen Wandel? | |
| Vorbild finde ich ein starkes Wort. Aber ich hoffe schon, dass meine | |
| Geschichte dazu führt, dass Menschen die Hemmschwellen in ihrem Kopf | |
| überdenken. Dass Frauen sehen, was möglich ist, und dass Männer damit | |
| klarkommen müssen und vielleicht auch erkennen: Das ist gar nicht so | |
| schlecht. | |
| Gab es in Ihrer Laufbahn Menschen, an denen Sie sich orientieren konnten? | |
| Ich glaube, Trainer haben immer einen großen Einfluss: Du bist am | |
| Heranwachsen, du bekommst Input, du erlebst Extremsituationen im Spiel, du | |
| verlierst, du gewinnst. Wie geht man damit um? Da gab es immer Trainer, | |
| aber auch ältere Spieler, wo ich mir Dinge abgucken konnte. Wenn ich an ein | |
| echtes Vorbild denke, dann wäre das aber meine Mutter. | |
| Aus welchem Grund? | |
| Sie war alleinerziehend mit mir und meinen beiden Schwestern, hatte | |
| Migrationshintergrund, keine Ausbildung in Deutschland. Und dennoch stehen | |
| wir drei alle ganz gut im Leben. Davor hab ich ganz viel Respekt – wie sie | |
| uns das alles mit harter Arbeit, Mut und Liebe ermöglicht hat. Da hab ich | |
| mir ganz viel abgeschaut. | |
| Sie kommen aus Hamburg-Wilhelmsburg, einem klassischen | |
| Arbeiter:innenstadtteil. Wie sind Sie dort aufgewachsen? | |
| Mein Vater kam als Gastarbeiter nach Deutschland, hat dann als Schweißer | |
| bei Blohm + Voss gearbeitet. Meine Mutter kam nach und natürlich hatten | |
| alle die Illusion, nach fünf Jahren mit Taschen voller Geld zurück in die | |
| Türkei zu gehen. Aber jeder weiß ja, dass es bei den meisten Familien nicht | |
| so gekommen ist. Wir sind hiergeblieben. Mein Vater ist ziemlich früh | |
| gestorben, da war ich sechs – und meine Mutter, bis zu diesem Zeitpunkt | |
| Hausfrau, musste schauen, wie sie klarkommt. Meine Schwestern und ich sind | |
| in St. Georg aufs Gymnasium gegangen, wodurch ich schon immer einen sehr | |
| durchmischten Freundeskreis hatte. | |
| Was heißt durchmischt? | |
| In Wilhelmsburg gab es zu dem Zeitpunkt einen sehr hohen Anteil an | |
| türkischen Kids. Und es war so, dass sie häufig miteinander abhingen. Das | |
| kann gut und schlecht sein, bei mir war es aber so, dass ich von Anfang an | |
| zum Beispiel auch viele deutsche oder albanische Freunde hatte. Durch den | |
| Sport dann nochmal viele andere. Das hat mir sehr geholfen in dem, wie ich | |
| mich entwickelt habe. | |
| Wie kamen Sie zum Sport? | |
| Das lag an meinem intrinsischen Ehrgeiz, denke ich. Ich war immer schon | |
| sportlich und letztlich hat mich mein Sportlehrer, der selbst begeisterter | |
| Basketballer war, in der fünften oder sechsten Klasse dazu gebracht, mit | |
| Basketball anzufangen. | |
| Und Sie haben sich dann einfach im Verein angemeldet? | |
| Meine Mutter kannte das Konzept Vereinssport gar nicht. In Deutschland war | |
| das gefühlt immer schon normal, aber sie kannte es einfach nicht. Außerdem | |
| gab es keine Vereine in unserer Nähe. Sie war deshalb alles andere als | |
| begeistert: „Meine kleine Tochter in die große weite Welt, soll die jetzt | |
| einfach in die U-Bahn?“ Das erschien ihr alles zu groß, sodass ich die | |
| ersten zwei Jahre nur in der Schule und auf der Straße gespielt habe, im | |
| Haus der Jugend in Wilhelmsburg auch. Ich habe dann aber immer weiter | |
| gekämpft und meine Mutter genervt. | |
| Und sie hat nachgegeben? | |
| Auch der Trainer unserer Schulmannschaft hat sich sehr dafür eingesetzt, | |
| dass ich in einen Verein gehe. Und ja, irgendwann hat sie es dann | |
| zugelassen. Der nächste erreichbare Verein war der ETV in Eimsbüttel. Und | |
| so bin ich hier gelandet. | |
| Hat sich Ihre Mutter damit abgefunden? | |
| Sie hat natürlich mit der Zeit gemerkt, wie viel mir das bedeutet und was | |
| mir das bringt. Irgendwann war sie dann sogar diejenige, die ihren | |
| Freundinnen gesagt hat, dass sie ihre Mädels doch mal in den Sportverein | |
| schicken sollen. Ich glaube, meine Generation macht in ganz vielen Punkten | |
| Sachen zum ersten Mal, die später normal sind. Wenn jetzt ein Mädel mit 16 | |
| Basketball im Verein spielt und einen türkischen oder spanischen Background | |
| hat, dann ist es halt so – aber damals war das schon was Besonderes. | |
| In den vergangenen Jahren hat sich auch in Wilhelmsburg viel verändert. Wie | |
| nehmen Sie den Wandel wahr? | |
| Ich wohne zwar mittlerweile in Altona, verbinde aber noch viel mit dem | |
| Stadtteil und bin auch noch regelmäßig dort, um meine Mutter zu besuchen. | |
| Ich freue mich auf jeden Fall über vieles, was passiert ist. Dass der | |
| Stadtteil durch die IBA … | |
| … die Internationale Bauausstellung … | |
| … aufgewertet wurde – auch mit vielen Parkflächen, mit Sportangeboten für | |
| die Kids, das finde ich toll. Es gibt Vereine und ganz viele Angebote, die | |
| ich nicht hatte als Kind. Auf der anderen Seite fällt mir die | |
| Gentrifizierung im Stadtteil wirklich auf. Manchmal frage ich mich, ob ich | |
| in der Schanze oder noch in Wilhelmsburg bin. Das ist schon komisch. | |
| Was bedeutet das für die Leute im Viertel? | |
| Ich habe Angst, dass Familien wie wir früher, die nicht viel Geld haben, da | |
| rausgedrängt werden und Wilhelmsburg zu hip für sie wird. Das beobachte ich | |
| schon heute. Der Stadtteil ist zwar immer noch durchmischt, aber es ist | |
| nicht so, dass ich denke, da kann man sich Wohnen auf Dauer leisten – und | |
| das finde ich schon schade. | |
| Zurück zu Ihrer Karriere.Wann haben Sie begonnen, nicht nur zu spielen, | |
| sondern auch zu trainieren? | |
| Das ging relativ früh los, so mit 17 oder 18. Da wurde ich gefragt, ob ich | |
| mir vorstellen kann, auch mal Teams zu trainieren. Das klang ganz spannend | |
| für mich und war auch eine Möglichkeit, mir ein bisschen was | |
| dazuzuverdienen. Ich habe dann anfangs eine U12- oder U14-Mädchenmannschaft | |
| trainiert. | |
| In dieser Saison haben Sie damit aufgehört, selbst Basketball zu spielen. | |
| Wie schwer war der Schritt für Sie? | |
| Ich habe lange relativ gut und hochklassig mit einem tollen Team gespielt | |
| und viel erlebt, sodass ich nicht mehr dieses extreme Gefühl hatte, noch | |
| etwas zu verpassen. Deshalb habe ich zuletzt vor allem aus Spaß gespielt, | |
| während der Ehrgeiz eher in Richtung meines Trainerinnendaseins gekippt | |
| ist. Es funktioniert eigentlich ganz gut für mich momentan – und ich habe | |
| auch weiterhin die Möglichkeit, bei den Damen mitzutrainieren. Es ist aber | |
| auch einfach so, dass es auf diesem Niveau zeitlich nicht mehr geht, dass | |
| ich einen normalen Job habe, selbst spiele und trainiere. | |
| Sie spielen als Amateurmannschaft in einer Profiliga – also gegen Teams, | |
| die mit dem Sport ihr Geld verdienen. Empfinden Sie das als ungerecht? | |
| Nee, ungerecht finde ich das nicht. Ich finde im Gegenteil, dass ich in | |
| einer tollen Situation bin. Ich habe tagsüber meinen Job, bei dem ich mir | |
| nicht so viele Gedanken machen muss, ob ich den in einem Jahr noch haben | |
| werde. Das ist was anderes, wenn man mit Basketball sein Geld verdient und | |
| nach Niederlagen Angst um seinen Job haben muss. Stattdessen ist und bleibt | |
| der Sport für mich vor allem eine Leidenschaft. | |
| 8 Feb 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Gilbert | |
| ## TAGS | |
| Basketball | |
| Frauen | |
| Gleichberechtigung | |
| Migration | |
| Diversität | |
| Hamburg | |
| Feminismus | |
| Eishockey | |
| eSport | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg: „Ich bin eine Pionierin“ | |
| Martina Voss-Tecklenburg hat den Frauenfußball mit großgemacht, heute | |
| trainiert sie die Nationalmannschaft. Ein Gespräch über Rollenbilder und | |
| ein Kaffeeservice. | |
| Profisportregelung bestraft Frauenteams: Eishockey-Spieltag fällt aus | |
| Die Eisbärinnen dürfen nicht spielen. Der Senat hat ihnen aufgrund des | |
| Infektionsschutzes das Spiel untersagt. Die Eisbären aber dürfen antreten. | |
| Kolumne Erste Frauen: Übermenschliche Präzision | |
| Kim Se-yeon ist E-Sportlerin und die erste Frau, die es in die | |
| „Overwatch“-Liga geschafft hat. Männliche Kollegen werfen ihr immer wieder | |
| Betrug vor. |