# taz.de -- Flüchtlingsunterkünfte in Berlin: „Kommunikativ desaströs“ | |
> Kritik am LAF: Mit wenigen Tagen Vorlauf müssen Flüchtlinge in andere | |
> Bezirke umziehen. Im alten Heim war auch wegen Corona kein Platz mehr. | |
Bild: Auch hier kein dauerhaftes Zuhause: Wohncontainer an der Alten Jakobstra�… | |
BERLIN taz | Wie sollen sich Geflüchtete hier einleben, wenn sie über Jahre | |
in Heimen wohnen müssen und jederzeit vom Amt zum Umzug gezwungen werden | |
können? Diese alte ungelöste Frage bekommt durch einen aktuellen Fall aus | |
Reinickendorf neue Dringlichkeit. Die BewohnerInnen eines Containerdorfs | |
auf dem Gelände der früheren Karl-Bonehoeffer-Klinik, wo auch das | |
Ankunftszentrum (Akuz) für neue Asylbewerber liegt, bekamen vorigen Freitag | |
überraschend Nachricht vom Landesamt für Flüchtlingsunterbringung (LAF), | |
dass sie ausziehen müssen. | |
Nur einen Tag später seien die ersten 100 von 220 Menschen bereits | |
„umgesiedelt“ worden, berichtete Hinrich Westerkamp, Vorsitzender der | |
Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, der taz. Dieses | |
Vorgehen des LAF sei nicht nur „kommunikativ desaströs“, kritisierte er. | |
„Damit werden auch langjährige Integrationsanstrengungen zunichtegemacht.“ | |
So sieht das auch der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer Hanspeter Heidrich, | |
der in der Unterkunft dreimal die Woche Deutsch unterrichtet. In dem | |
„Dorf“, wie er das Containerheim, neudeutsch: Tempohome, nennt, gebe es | |
eine gut funktionierende Gemeinschaft „mit vielen gemeinsamen Aktivitäten | |
für die Bewohner“. Die ungefähr 90 Kinder gingen in Schulen und Kitas in | |
der Nähe, auch unter Erwachsenen seien Freundschaften entstanden, kurz: Die | |
Familien, die meist schon ein paar Jahre in Berlin leben, hätten sich gut | |
integriert. | |
Hinzu kommt: Im Containerdorf hat jede Familie Schlafräume für sich, eine | |
eigene kleine Küche, eigenes Bad. Jetzt müssen laut Heidrich einige von | |
ihnen in Unterkünfte ziehen mit Gemeinschaftsküchen und –bädern. Selbst | |
angeschaffte Möbel, Teppiche und ähnliches dürften sie nicht mitbringen, | |
sei ihnen erklärt worden. Entsprechend groß sei die Bestürzung gewesen, als | |
die Aufforderung zum Umzug gekommen sei. Zumal dies einigen BewohnerInnen | |
nicht zum ersten Mal passiere. „Sie fühlen sich wie Dinge behandelt, die | |
man hin- und herschieben kann“, so der Helfer. | |
## Marzahn, Wittenau, Kreuzberg | |
Eine der Betroffenen ist Amida Haziguliyeva, eine 35-jährige gelernte | |
Kinderkrankenschwester aus Aserbaidschan. Sie lebt mit Mann und zwei | |
Teenagerkindern seit zwei Jahren in Berlin. Erst habe sie von Marzahn nach | |
Wittenau ziehen müssen, nun schicke sie das LAF nach Kreuzberg ins dortige | |
Tempohome. „Das macht viele Probleme: Die Kinder müssen wieder in eine neue | |
Schule und ihre Freunde zurücklassen, ich muss den Deutschkurs wechseln“, | |
sagt sie. | |
Das LAF begründete die Hauruckaktion mit dem erhöhten Platzbedarf durch | |
Corona. Die ebenfalls auf dem Gelände befindlichen Sternhäuser, in denen | |
neu ankommende Asylbewerber derzeit untergebracht werden, bis der Neubau | |
des Akuz fertig ist, seien fast voll, erklärte LAF-Sprecher Sascha | |
Langenbach auf taz-Anfrage. Dies liege zum einen an derzeit wieder | |
steigenden Asylbewerberzahlen, zum anderen daran, dass alle Neuankömmlinge | |
wegen der Pandemie in „Kohorten“ isoliert würden, bis sie ihren | |
Gesundheitscheck inklusive Coronatest hinter sich haben. Weil die | |
Testergebnisse sich derzeit oft verzögerten, verlängere sich die Quarantäne | |
entsprechend. | |
Die Kritiker überzeugt dies nicht so recht. „Bei allem Verständnis für die | |
aktuelle Situation: Die Art und Weise der Umsetzung durch das LAF ist | |
einfach skandalös“, sagte Karin Hiller-Ewers, für die SPD in der BVV | |
Reinickendorf und Vorsitzende des Integrationsausschusses. Man könne | |
Menschen nicht so behandeln, findet sie. Zudem seien Alternativen, etwa die | |
Anmietung leer stehender Hotels in der Nähe, ihres Wissens gar nicht | |
geprüft worden. „Das LAF hat es sich etwas einfach gemacht.“ | |
## Neubau erst Ende Dezember fertig | |
Das findet auch Westerkamp. Das Amt habe „schlecht geplant“, es hätte die | |
Menschen besser auf die Umzüge vorbereiten und informieren müssen. Zudem | |
sei es zwar „naheliegend“, das Containerdorf auf dem Gelände für die | |
Neuankömmlinge zu nutzen. Andererseits sei der Neubau des AKUZ mit rund 300 | |
Plätzen im Prinzip fertig – es fehle nur noch die Bauabnahme. „Hätte man | |
daran nicht mit Hochdruck arbeiten können?“, fragt er. | |
Nein, erwidert Langenbach, vor dem 28. Dezember werde das LAF den Neubau | |
nicht übergeben bekommen. Zudem könne es gut sein, dass man auch danach | |
mehr Plätze benötige – immer öfter seien neu ankommende Flüchtlinge | |
Corona-positiv und müssten in Quarantäne. Die derzeitige | |
Quarantänte-Unterkunft sei schon voll, eine zweite werde Mitte Dezember in | |
Marzahn eröffnet. | |
Der LAF-Sprecher erklärte sein Bedauern, „dass aufgrund dieser | |
außergewöhnlichen Lage und der damit verbundenen Eile entgegen unserer | |
sonstigen Bemühungen – nicht für alle Bewohnerinnen und Bewohner neue | |
Unterkünfte in der Nähe des Sozialraums gefunden werden konnten“. Das | |
gegenüber einigen BewohnerInnen kommunizierte Verbot, eigene Möbel und | |
Besitztümer mitzunehmen sei aber ein „Missverständnis“ gewesen, es dürfte | |
alles mitgenommen werden. Auf Wunsch könne der Umzug auch „in aller Ruhe | |
erledigt werden“ – bis kommende Woche. | |
26 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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