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# taz.de -- Der Hausbesuch: Immer weiter gehen
> Claudia Bernardoni arbeitet seit 30 Jahren mit geflüchteten Menschen. Sie
> ist eins der Gesichter des heutigen Tag des Ehrenamts.
Bild: Claudia Bernardoni hinter ihrem Schreibtisch
So etwas wie eine hauptberufliche Ehrenamtlerin ist Claudia Bernardoni,
arbeitet sie doch seit 30 Jahren mit Flüchtlingen. Als sie jung war,
engagierte sie sich in der Frauenbewegung. Heute denkt sie das zusammen:
Frauen und Flucht. Bernardoni ist eine der vielen, die dem Internationalen
[1][Tag des Ehrenamtes], der an diesem Samstag, dem 5. Dezember, begangen
wird, ein Gesicht geben.
Draußen: Ein riesiger Garten mit Rosmarin, Basilikum, Salaten und einem
überbordenden Zucchini-Dschungel. Zumindest bis vor dem ersten Frost war
das so. Dazu im Wind wippende Rosen, wie auch eine sich bedächtig bewegende
Katze. Hohe Tannen und Kiefern ragen in den Himmel. Es sind Reste des
Waldes, in den hier ehedem hineingebaut wurde. Claudia Bernardoni wohnt mit
zwei Freundinnen und einer Familie außerhalb Münchens auf einem gemeinsamen
Gartengrundstück.
Drinnen: Das zweistöckige Einfamilienhaus ist aufgeteilt in eine
Frankfurter Küche und spartanisch eingerichtete Wohn- und Arbeitszimmer,
oben das von ihr. Es ist der sehr aufgeräumt wirkende Raum einer Asketin:
ein großer Schreibtisch, ein riesiger Bildschirm, ein Wandbehang aus Tibet.
Dazu ein Regal mit alten Büchern: Goethe, Kleist, viele Lexika.
Andere Orte: Claudia Bernardoni wurde 1939 in Berlin geboren. Der Krieg
verschlug die Familie in den Taunus. Auf der Reise dorthin freute sich die
Vierjährige über das Feuerwerk, das sie durchs Fenster beobachtete. Ihre
Mutter verriet ihr lieber nicht, dass das ein von einer Bombe getroffenes
Haus war.
Die Eltern: Eigentlich wollte der Vater nach einem ihn begeisternden
Studium bei sehr beliebten jüdischen Hochschullehrern in Frankfurt am Main
Bibliothekar werden. Aber ohne Mitgliedschaft in der NSDAP ging das nicht.
Deshalb gründeten die Eltern einen Verlag. Nachdem der Vater als Soldat an
die Front musste, führte die Mutter ihn weiter. „Als absehbar war, wie der
Krieg ausgeht, verließen wir Berlin und landeten in Königstein.“ Dort sind
Claudia und ihre Schwester aufgewachsen. Oft durchstreifte sie die
Taunuswälder, mal mit Mutter oder Schwester, oft alleine, sammelte
Bucheckern, Esskastanien und Pilze. Sie versuchte sie auch zu verkaufen,
teilweise sogar mit Erfolg – etwa an die Köchin des Langewiesche-Verlags.
Fremd sein: Nach dem Abitur studierte Bernardoni Philosophie, Germanistik
und Kunstgeschichte in fünf verschiedenen Städten. In Zürich erlebte sie,
was es heißt, Ausländerin zu sein. Ihre Zimmerwirtin meinte: „Wegen euch
Deutschen hätten die Alliierten fast den Zürichsee bombardiert.“ Um ihre
Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, musste sie sich vor einem Amtsgebäude
in eine unendlich lange Warteschlange einreihen. Die meisten Wartenden
kamen aus Italien. Sie verstand plötzlich deren unglückliche Lage.
Rom: Während Bernardoni Zucchiniomelett in der Pfanne brät, erzählt sie
von Rom. Nach der Doktorarbeit war sie mit ihrem Freund nach Italien
gezogen. Er hatte als italienischer Germanist eine Anstellung beim
Deutsch-Italienischen Wörterbuch erhalten. „Damals bekam ich sofort einen
italienischen Pass, aber nur, weil ich auf dem Standesamt bestätigte, dem
Mann in allem zu gehorchen.“ So verlangte es das Gesetz. Weil ihre Tochter
noch klein war, stürzte sie sich in ihre Sprachstudien, erkundete die
Stadt, schrieb darüber fürs Radio und arbeitete für den Verlag ihrer
Mutter.
Wandel: Nach drei Jahren gingen sie zurück nach Deutschland. „Mein Mann
wollte seine Doktorarbeit abschließen.“ Es war Anfang der siebziger Jahre;
damals die Zeit des großen Aufschwungs im Bildungswesen. Sie bewarb sich
als Studienleiterin an der Volkshochschule in Hildesheim. „Ich bekam die
Stelle.“ Dort war sie in der Programmgestaltung so frei, dass sie auch
Kurse zu der aufkommenden Frauenbewegung anbieten konnte. Daraus entstand
in Hildesheim eine fröhliche Frauen- und Lesbenszene, mit dem
Frauenbuchladen als wichtigstem Treffpunkt. „Den haben wir zusammen
finanziert; ich bin noch heute Mitglied in der Buchladen-Genossenschaft.“
Berlin: Aber Hildesheim wurde ihr doch zu klein. Sie beschloss mit ihrer
Freundin, die sie neuerdings hatte, nach Westberlin zu gehen. Die Tochter
kam mit. In Berlin war, was die Frauenbewegung betraf, „ein geistig
ungeheuer anregender Aufbruch im Gange“. Bernardoni hatte es die Gruppe
Lohn für Hausarbeit besonders angetan – „wir sagten nur LfH. Die Gruppe war
intellektuell anspruchsvoll.“ LfH gilt noch heute als avantgardistisch.
„Aber jetzt wird Derartiges – wenn auch extrem verwässert – in Form der
Grundrente immerhin angegangen“, sagt sie.
Denken: Bernardoni zog in eine Frauen-WG und beteiligte sich an der
Gründung eines Frauenbildungszentrums, „dem FFBIZ“. Obwohl ihr klar war,
dass das auch nichts werden könnte. „Aber immerhin haben wir ein wichtiges
Frauenarchiv ins Leben gerufen.“ Daher sei die neue Frauenbewegung ab den
1970er Jahren nun gut dokumentiert.
Forschen: Sie kommt von der Philologie, der Kunstgeschichte und Italien.
Aber da ist noch mehr Interessantes: Volkskunde und Anthropologie etwa, in
die sie sich reinfuchst. Das ermöglichte ihr dann an der Freien Universität
Berlin Seminare zur Matriarchatstheorie zu geben. Obschon sie skeptisch war
und die Existenz von historischen Matriarchaten eher bezweifelte, waren die
Studentinnen begeistert – und hingerissen von ihrer androgynen Dozentin mit
der lauten Stimme. Später verdiente sie ihr Geld durch Mitarbeit an Studien
etwa für die Unesco über Frauenanstellungschancen. Danach an einer zum
ersten Berliner „Frauensenat“.
Engagement: Nach dem Tod ihrer damaligen Lebensgefährtin 1992 luden die
beiden Münchner Freundinnen sie ein, zu ihnen nach Bayern zu kommen. Sie
tat es und blieb. Dort fand sie vor 30 Jahren zur Flüchtlingsarbeit. Seit
acht Jahren im Rahmen eines Arbeitskreises Asyl der katholischen Kirche.
Sie kümmern sich um 250 Flüchtlinge aus 13 Nationen. Sie ist eine der
beiden Sprecherinnen. „Die Kirchen-Angebundenheit hat Vorzüge. Die Leute
hier spenden ganz gut. Und wir können über die Kirche Fördergelder
beantragen, sogar für Rechtsanwälte, Passgebühren, Führerscheine oder
Zahnärzte.“ Auch für Sprachkurse, auf die nicht anerkannte Asylsuchende
lange warten müssen.
Schicksale: Nur für Syrien, Irak, Iran, Eritrea und Somalia akzeptiert die
Bundesregierung, dass Menschen vor Kriegen und staatlicher oder religiöser
Verfolgung fliehen. Kaum Chancen haben die, die aus angeblich sicheren
Herkunftsländern wie etwa Afghanistan kommen. Also ist es für Bernardoni
das Wichtigste, die Asylsuchenden auf die Befragungen durch die
Bundesbehörden vorzubereiten.
Die Flüchtlinge müssen sich genau überlegen, was sie sagen. Und es sich
merken. Falls sie – etwa im Fall einer Ablehnung – in zwei, drei Jahren
erneut befragt werden sollten. Und sie dürfen sich durch verletzend
wirkende Fragen nicht irritieren lassen. „Ich hatte eine Frau aus Nigeria,
die als 14-Jährige mit ansehen musste, wie ihre Schwester bei der
Beschneidung starb. Sie floh aus ihrem Dorf. In Lagos nahm eine Frau sie
auf und verkaufte sie dann an ein Bordell in Libyen. Aber der Richter
glaubte ihr nicht.“ Bei einer Rückkehr in eine nigerianische Großstadt habe
sie doch nichts zu befürchten, habe er gemeint. „Da sind wir natürlich oft
sehr zornig.“
Yoga: Um rauszukommen, geht Claudia Bernardoni wandern. Früher hat sie mit
ihren Freundinnen Expeditionsreisen zu tibetischen Klöstern unternommen,
größtenteils zu Fuß. Seit dieser Zeit beginnen die drei Freundinnen ihre
Tage mit den „Fünf Tibetern“, einer Yoga-Art der tibetischen Mönche.
Schreiben: Ihre Leidenschaft gilt seit ein paar Jahren auch dem
[2][literarischen Schreiben]. In ihren Romanen verarbeitet sie ihre
Kenntnisse Italiens und besonders ihre Erfahrungen aus der
Flüchtlingsarbeit; sie schreibt gegen Vorurteile an, schreibt fast so etwas
wie Krimis. Denn „was in der Flüchtlingspolitik passiert, ist manchmal
skandalös und widerspricht jeglichem humanistischen Anspruch, wie er in
unserer Verfassung eigentlich verankert ist“, sagt sie.
5 Dec 2020
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/tag-des-ehrenamtes-1703762
[2] http://claudia-bernardoni.de/
## AUTOREN
Elisabeth Meyer-Renschhausen
## TAGS
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