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# taz.de -- Weihnachten und Corona: Wir brauchen ein Wunder
> Warum wird Weihnachten nicht verschoben? Der Pandemiebekämpfung täte das
> doch gut, würde man erst im nächsten Juni feiern.
Bild: Gute Idee: Weihnachten mal im Sommer feiern?
Der französische Wissenschaftler Axel Kahn hat die Idee entwickelt,
Weihnachten diesmal am 24. Juni zu feiern. Lauschig-warme Feiertage,
Festgrill anwerfen, Ball spielen mit den Kindern?
Wollen wa nich, machen wa nich.
Aber warum nicht, wenn es der Pandemiebekämpfung objektiv guttäte? Weil
Weihnachten immer am 24. Dezember anfängt. Weil wir jetzt erst mal feiern.
Und Silvester wird geböllert, wie es unser humanistisches und
staatsbürgerliches Recht ist. Im Januar sehen wir dann schon weiter.
Ich will hier weder „die Gesellschaft“ noch „die Politik“ dafür anklag…
dass sie es nicht draufhat, denn das ist ja offensichtlich. Die Frage ist:
Warum nicht?
Zum einen hat „die Gesellschaft“ keine Postadresse, wie Armin Nassehi
sagen würde. Zum andern gilt es für die Politik, neben dem
Gesundheitsaspekt weitere Ziele zu verfolgen, selbst [1][Peter Altmaiers
„Konsumpatriotismus“] ist nicht so lächerlich, wie er gemacht wird.
Traditionen sind wichtig, auch sie halten eine Familie oder gar
Gesellschaft zusammen, jenseits einer religiösen Dimension. Ich rede hier
übrigens nicht aus einem Pseudo-Off, wie das Leitartikelprediger gerne tun.
Unser Familienweihnachten soll auch möglichst „normal“ ablaufen.
Change kommt dann, wenn Gesellschaft und Politik sich gegenseitig
dynamisieren, bei der sozialökologischen Transformation etwa, wenn Politik
sich eine Fahrradstadt traut und die Leute dann – weil sie merken, dass das
geil ist – diese Politik verstärkt nachfragen. Oder andersherum: Die
emanzipierte Mehrheitsgesellschaft will etwas wirklich, etwa die Homo-Ehe,
und die Politik vollzieht das durch ein Gesetz nach.
Bei der Bekämpfung der Pandemie sind wir nach einem ordentlichen halben
Jahr jetzt in einer unklaren Lage, in der die föderalistische Politik und
die Mehrheitsgesellschaft sich gegenseitig belauern und lähmen. Zumindest
entsteht durch die Kakofonie der Mediengesellschaft der Eindruck, es werde
gleichzeitig „Macht mal endlich!“ und „Macht bloß nicht!“ gerufen.
Nun ist es unpolitisch, nach besseren Menschen zu rufen, moralische
Besserung sollte jeder mit sich selbst besprechen. Handlungsfähiger wäre
ein autoritäres Regime. Das ist aber für Liberaldemokraten nicht
akzeptabel. Vertrauen in mehrheitsfähige Ordnungspolitik muss die Grundlage
dafür sein, die Dinge zum Besseren zu wenden.
Das ist auch die einzige Möglichkeit für Klimapolitik im Sinne des Pariser
Abkommens. Der entscheidende Denkwechsel lautet: Wir müssen nicht nur
sagen, was wir nicht wollen, wir müssen entscheiden, was wir erreichen
wollen – und dann das Notwendige dafür tun.
Für die Pandemiepolitik heißt das: Es geht nicht um Weihnachten, es geht um
radikale Eindämmung. Dafür muss man, zum Beispiel, trotz aller Nachteile
womöglich [2][nach ostasiatischem Vorbild] sagen, dass effektive
Datenauswertung nicht nur dem Silicon Valley gestattet ist, sondern in
dieser Lage auch dem Staat. Klar hab auch ich immer auch die Hoffnung, dass
Durchwurschteln irgendwie reichen wird, bis der Impfstoff da ist. Nur dass
es einen Impfstoff gegen die Klimakrise niemals geben wird. Wurschteln is
over.
Die Regierungen von Bund und Ländern haben von den Leuten die Verantwortung
übertragen bekommen – und nun müssen sie den Mumm haben, zu handeln, selbst
wenn das gegen die Befindlichkeit des Augenblicks ist. Wir brauchen nicht
[3][das Wunder von Weihnachten], wir brauchen Politik. Denn Politik ist der
einzige Raum, in dem wir das Recht haben, Wunder zu erwarten.
5 Dec 2020
## LINKS
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[2] /Suedkoreas-Infektionen-nur-zweistellig/!5715480
[3] /Aktuelle-Entwicklungen-in-der-Coronakrise/!5732099
## AUTOREN
Peter Unfried
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