| # taz.de -- Libyenexpertin über Friedenskonferenz: „Die Libyer wollen Verän… | |
| > Dass die libyschen Konfliktparteien in Tunis an einem Tisch saßen, sei | |
| > bereits ein Erfolg, sagt die UN-Libyenbeauftragte Stephanie Williams. | |
| Bild: UN-Libyenbeauftragte Stephanie Williams | |
| taz: Frau Williams, die [1][Gespräche in Tunis sind vertagt worden]. Wie | |
| geht es weiter? | |
| Stephanie Williams: In den nächsten Wochen geht es um die Prozeduren zur | |
| Nominierung der Regierung und des Präsidialrats sowie die Kriterien für die | |
| Kandidaten der Parlamentswahl im nächsten Jahr. Es wird intensiv | |
| gearbeitet. Dies geschieht online nach den Regeln des Berliner Prozesses im | |
| Rahmen der UN-Resolution 2510, die nach dem [2][Libyentreffen in Berlin im | |
| Januar] verabschiedet wurde. | |
| Wie sehen Sie die aktuelle Lage in Libyen? | |
| Das größte Problem ist die Spaltung der finanziellen und wirtschaftlichen | |
| Institutionen zwischen Ost- und Westlibyen. Das hat eine direkte Auswirkung | |
| auf den Wechselkurs des Dinars und auf die Verfügbarkeit von Bargeld. Die | |
| Banken in Ostlibyen stehen kurz vor dem Kollaps. Die finanzielle Krise hat | |
| dazu geführt, dass die 75 Delegierten in Tunis unter großem Druck stehen. | |
| Aber gibt es Fraktionen, die gegen das von Ihnen organisierte Dialogforum | |
| in Tunis arbeiteten? | |
| Ich nenne sie Status-quo-Kräfte: Milizen, Geschäftsleute und Politiker, die | |
| keine Änderung wollen, weil sie bei einer Einigung ihre Privilegien | |
| verlieren würden, mit denen sie das Land ausrauben. | |
| Sind die auf der Konferenz vertreten? | |
| Ja. Es ist besser, sie bei den Verhandlungen am Tisch zu haben, als sie | |
| auszuschließen. Sie sind politische Dinosaurier. Ihnen droht das | |
| Aussterben. Der Status quo wird von der Mehrheit der Libyer abgelehnt. Das | |
| sahen wir im August und September, als die Menschen in Tripolis und Bengasi | |
| zu Tausenden auf die Straße gingen, weil sie die Korruption und Unfähigkeit | |
| der Behörden nicht mehr hinnehmen. Wir haben eine politische Klasse, die | |
| von den Menschen völlig entfremdet ist. | |
| Aber die Milizen in Bengasi und Tripolis schossen auf die Demonstranten. | |
| Ist diese Gewaltbereitschaft nicht das Haupthindernis für den | |
| Friedensprozess? | |
| Seit den Demonstrationen sehen wir eine Bürgerbewegung für den Wandel. Im | |
| Sommer gab es tagelang Stromausfall, Unterbrechung der Wasserversorgung, | |
| überfüllte Intensivstationen wegen Covid-19. Die Bevölkerung hat genug. Sie | |
| will Veränderung. | |
| Wie soll das gehen? | |
| Das Wichtigste sind landesweite Wahlen. Die Vorbereitungsphase bis zum 24. | |
| Dezember 2021 soll genutzt werden, um die Institutionen zu vereinen. | |
| Einheitsregierung und Parlament sind nun schon im fünften Jahr im Amt. Sie | |
| müssen ersetzt werden. Also versuchen wir, eine Übergangsstruktur bis zu | |
| den Wahlen zu schaffen, die die gespaltene Zentralbank, die Armee und | |
| andere Institutionen vereint. Dass viele skeptisch sind, verstehe ich nach | |
| der Kleptokratie der letzten Jahre sehr gut. Aber dass die Militärs beider | |
| Seiten an einem Tisch sitzen und über praktische Lösungen sprechen, statt | |
| auf andere Länder zu warten, hat eine neue Dynamik hervorgebracht – ein | |
| libyscher Stolz, der Druck auf die Politiker erzeugt. Sie haben den | |
| Zeitplan hin zu Wahlen vereinbart und den Wahltermin. | |
| Wie soll ein Wahlkampf funktionieren, solange Medien beider Seiten Hass | |
| zwischen Ost- und Westlibyern schüren? | |
| Wir haben Medienschaffende aus dem ganzen Land zusammengebracht, um sie auf | |
| gemeinsame Standards zu verpflichten. Aber die meisten Libyer kommunizieren | |
| über soziale Medien. Wir wissen aus den USA, wie groß deren Einfluss ist! | |
| Es gibt in Libyen 5,4 Millionen Facebook-Konten bei 6,5 Millionen | |
| Einwohnern. In Tunis konnten wir dank unserer Zusammenarbeit mit Facebook | |
| einige Kommentare über Konferenzteilnehmer entfernen lassen. | |
| Wann zieht die UN-Mission von Tunis nach Tripolis? | |
| Wir sind doch schon da! Humanitäre Organisationen arbeiten vor Ort, auch | |
| von der politischen Abteilung sind einige dort und sie werden aktiver sein, | |
| wenn es um die Überwachung des Waffenstillstands geht. | |
| Wird es eine internationale Überwachung des Waffenstillstands geben? | |
| Schon auf den ersten 5-plus-5- Treffen der Militärs beider Seiten wurde der | |
| Einsatz von unbewaffneten Beobachtern unter UN-Mandat ins Spiel gebracht. | |
| Aber wenn die Libyer das selbst hinbekommen, werden sie es tun. Immerhin | |
| haben beide Seiten klargemacht, dass die Söldner Libyen verlassen müssen. | |
| Für sie ist das Wichtigste: Sie wollen nicht, dass ausländische Kräfte | |
| Libyen weiterhin besetzen. | |
| Die fortdauernde Anwesenheit ausländischer Kämpfer ist aber ein Grund, | |
| warum viele Libyer skeptisch sind. Wobei Sie es geschafft haben, den | |
| ausländischen Mächten das Heft aus der Hand zu nehmen … | |
| … und den Libyern zurückzugeben! Es ist sehr ermutigend, dass gerade die | |
| Militärs die Dinge in die Hand nehmen. Es ist viel Blut geflossen, aber | |
| ihnen geht es um die Würde. Es gibt so viele Kriegsvertriebene, vor allem | |
| aus dem Süden, wo die Lebensumstände schrecklich sind, die Grenzen sind | |
| unbewacht, die Leute sind marginalisiert und verzweifelt. Und es mussten so | |
| viele Menschen Libyen verlassen seit der Revolution. Die Libyer wollen das | |
| Land wieder aufbauen. Das ist eine libysche Dynamik. | |
| Es gab schon früher Verhandlungen zwischen Libyern unter internationaler | |
| Ägide. Was ist diesmal anders? | |
| Es ist ein libysch geführter Prozess, die Sicherheitslage ist relativ ruhig | |
| und die sozioökonomische Lage ist viel schlechter. Die früheren Akteure | |
| haben sich als unfähig erwiesen. Wir sehen jetzt mehr Engagement. Es gibt | |
| auch mehr Fokus darauf, dass Frauen eine Rolle spielen müssen. In diesen | |
| Verhandlungen gab es besondere Teilnahmeformen für Frauen und für | |
| Jugendliche. | |
| Wird es also eine Vizepremierministerin geben? | |
| Mindestens! Warum nicht eine Premierministerin? Eine Frau im Präsidialrat? | |
| 17 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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