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# taz.de -- Die Wahrheit: Einmal gelebt, zweimal begraben
> Was man macht in dem Kaff Lurgan in Nordirland? Man spaziert auf den
> Friedhof. Und dann geht's ab...
Als man noch auf der Grünen Insel herumreisen durfte, war ich in Lurgan,
einem trostlosen Ort in Nordirland. Die Polizei hatte dort im Februar eine
Bombe auf einem Lastwagen gefunden. Eine Splittergruppe der
Irisch-Republikanischen Armee (IRA) gab zu, dass der Sprengsatz ihr
gehörte. Was hatte die Organisation bloß als lohnendes Angriffsziel in
Lurgan ausgemacht?
Die satirische BBC-Quizsendung „The Blame Game“ enthält in fast jeder Folge
einen gemeinen Seitenhieb auf Lurgan. Zuletzt sagte einer der Teilnehmer:
„Gott hat Nordirland geschaffen. Lurgan überließ er aber dem Typen von
unten.“
Die Menschen aus Lurgan protestierten gegen die Verunglimpfung: „Wir sind
beleidigt“, schrieb einer im Internet. „Lurgan ist einzigartig. Keine
andere Stadt hat so viele Menschen hervorgebracht, die solch großen
Einfluss auf die Welt ausgeübt haben.“ Wer kann gemeint sein? Michael
Jackson vielleicht? Der stammt aus Lurgan, aber es ist nicht der Musiker,
sondern der anglikanische Erzbischof von Dublin. Im Gegensatz zum Musiker
lebt der noch.
Es gibt sogar ein Sprichwort über jemanden, der besonders jämmerlich
aussieht: „Er hat ein Gesicht so lang wie ein Spaten aus Lurgan.“ Was macht
man also in dem Nest? Der Shankill-Friedhof ist ganz interessant. Seit
Jahrhunderten werden hier Menschen begraben, viele der alten Grabsteine
sind zerbrochen. Einer ist wieder zusammengesetzt und mit einem
Metallrahmen fixiert worden. Der Name ist noch zu erkennen: John McCall. Am
Fuß des Grabsteins steht ein neuerer Granitblock mit der Inschrift:
„Margorie McCall – einmal gelebt, zweimal begraben.“
Der Historiker Jim Conway erzählt die Geschichte: Margorie McCall starb
1705 vermeintlich an Fieber. Es gab eine große Totenfeier, der Leichnam war
im offenen Sarg aufgebahrt. Mehrere Trauergäste versuchten, ihr den
wertvollen Ehering vom Finger zu ziehen. Weil der aber wegen des Fiebers
geschwollen war, schafften sie es nicht. Am Abend wurde Margorie beerdigt.
Doch als es dunkel wurde, kamen Grabräuber. Sie buddelten Margorie aus und
schnitten ihr den Ringfinger ab.
Der Schmerz riss Margorie aus ihrem Koma. Die Grabräuber flüchteten
schleunigst mit dem Finger und dem Ring. Margorie aber lief nach Hause und
klopfte an die Tür. Als ihr Mann öffnete und Margorie im Totenhemd mit gar
blutiger Hand sah, fiel er vor Schreck tot um. Er wurde am nächsten Tag in
dem Grab beerdigt, aus dem Margorie herausgekrabbelt war. Margorie aber
lebte noch lange, sie heiratete wieder und bekam viele Kinder. Als sie
starb, wurde sie neben ihren ersten Ehemann in das Grab gelegt, das sie
schon kannte.
Ähnliche Geschichten gibt es zwar aus vielen Teilen der Welt, unter anderem
auch aus 19 deutschen Städten, aber Conway behauptet, dass diese Legenden
später entstanden wären und sämtlich auf Margorie McCall zurückgingen. Es
sei Lurgan gegönnt. So hat das Kaff wenigstens eine Sehenswürdigkeit.
23 Nov 2020
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Nordirland
Tod
Friedhof
Irland
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