# taz.de -- Die Wahrheit: Hingerichtete Mafiosi-Eier | |
> Wer in die Fänge des irischen Krankenhaussystems gerät, sollte lieber | |
> ellenlange Formulare ausfüllen, sonst wird das Essen pittoresk. | |
Mein Sohn Fionn wusste sofort, dass er die Schmerzen ernst nehmen musste. | |
Im Krankenhaus fragten sie ihn, ob er eine Zusatzversicherung für | |
Privatpatienten habe oder ob man ihn in den öffentlichen Teil des | |
Krankenhauses bringen sollte. Was immer schneller gehe, stöhnte er, und so | |
landete er im öffentlichen Teil, weil er dafür kein langes Formular | |
ausfüllen musste. | |
Die Blinddarmoperation verlief problemlos, doch weil er dann eine | |
gefährliche Infektion bekam, behielt man ihn noch zwei Wochen im | |
Krankenhaus und stopfte ihn mit Antibiotika voll. Schon am ersten Tag | |
bereute er, das lange Formular nicht ausgefüllt zu haben. | |
Das Essen, das man ihm servierte, war so rätselhaft wie ungenießbar. Fionn | |
fotografierte es jeden Tag und schickte die Fotos an Freunde und Verwandte, | |
die erraten sollten, um was es sich handelte. Wir scheiterten fast immer. | |
Manche Bilder ähnelten abstrakten Gemälden von Wassily Kandinsky, andere | |
sahen aus, als ob Kleinkinder mit Eierpampe gespielt hätten. | |
Einmal war es besonders schwer. Das Foto zeigte helle Förmchen auf einer | |
bräunlichen Masse. Eine neue Pastakreation von Barilla? Weit gefehlt. Es | |
sei ein Omelett auf Kartoffelbrei, verriet Fionn. Wie schafft man es, ein | |
Ei so hinzurichten, dass man es nicht mehr erkennt? In der Küche waren | |
offenbar lauter Mafiosi beschäftigt. Fionn ernährte sich zwei Wochen lang | |
von Toast. | |
Drei Wochen später musste ich ebenfalls wegen einer Infektion ins | |
Krankenhaus. Da ich gewarnt war, füllte ich das lange Formblatt aus und | |
landete in einem Einzelzimmer in der Abteilung für Privatpatienten. Man las | |
mir die Speisekarte vor, als ich zufällig mit Fionn telefonierte, sodass er | |
mithören konnte. Ob ich eine Pastete aus gebratener Ente und Sauerkirschen | |
als Vorspeise möchte oder ob ich ein Lachsfilet mit Mango-Dressing | |
bevorzugte? Fionn glaubte, ich hätte das inszeniert, um ihn zu ärgern. | |
Das unterschiedliche Essen für Privatpatienten ist eine Sache, aber bis vor | |
anderthalb Jahren wurde Patienten in öffentlichen Krankenhäusern | |
robotergestützte Chirurgie aus Kostengründen verwehrt. Inzwischen bekommt | |
man aber auch im öffentlichen Krankenhaus eine tadellose Behandlung, wenn | |
man erst mal aufgenommen ist. | |
Das kann aber dauern, man muss auf einem Termin bei einem Facharzt lange | |
warten, wenn man nicht privat versichert ist. Viele gehen deshalb direkt in | |
die Notaufnahme, um die Wartezeit zu verkürzen. Das Ergebnis ist, dass | |
Hunderte Patienten wegen Überfüllung auf Feldbetten in den Gängen liegen. | |
Die Regierungsparteien haben das Gesundheitssystem vernachlässigt, selbst | |
als in den Boom-Jahren Anfang des Jahrtausends die Staatskasse gut gefüllt | |
war. Man wünscht den Politikern nicht, dass sie ernsthaft krank werden und | |
versehentlich ins öffentliche Krankenhaus eingeliefert werden. Aber man | |
könnte sie doch wenigstens mit dem Mafiosi-Omelett bewerfen. | |
14 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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