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# taz.de -- Journalismus in Coronazeiten: Keine Regierungs-PR
> Seit Corona kommen Journalist*innen nur schwer nah ran an die Politik.
> Vor allem wenn sie zu Themen abseits von Corona recherchieren.
Bild: Auf immer mehr Kanälen kommuniziert die Kanzlerin mit der Öffentlichkeit
Mitte dieser Woche war die Enttäuschung mal wieder groß. Die
Bundeskanzlerin hatte sich zur Pflege geäußert, wie wichtig diese sei,
gerade auch während Corona. Angela Merkel trat vor eine Kamera, aber nicht
eine der Medien: Sie äußerte sich in einer Videobotschaft an den Deutschen
Pflegetag.
„Na super, wieder ein Termin ohne Nachfragen“, hieß es in einer
Hauptstadtredaktion. Es war nicht das erste Mal. Seit einem dreiviertel
Jahr müssen auch Politik und Medien auf Abstand gehen. Die Begegnungen
nehmen ab, Botschaften auf anderen Kanälen zu.
„Wenn wir Interviews anfragen, heißt es schon mal, der Minister habe sich
schon im eigenen Kanal geäußert, da könnten wir uns doch bedienen“, sagt
Shakuntala Banerjee. Die stellvertretende Leiterin des
ZDF-Hauptstadtstudios antwortet stets mit Protest: „Wir sind nicht die
Abspielstationen der Regierungs-PR.“
Manchmal wäre es aber falsch, solche Äußerungen zu ignorieren. So geht es
auch Tina Hassel, die das Hauptstadtstudio der ARD leitet. Etwa dann,
[1][wenn die Kanzlerin in ihrem eigenen Podcast an die Bevölkerung
appelliert], sich und andere vor dem Virus zu schützen.
## Ein Lerneffekt?
„Der Podcast der Kanzlerin, aber auch die Newsrooms der Parteien sind
natürlich auch der Versuch, die üblichen Spielregeln zu umgehen“, sagt
Hassel. Beide Studioleiterinnen beteuern: Ausschnitte im Programm gebe es
nur, wenn auch die Umstände deutlich würden.
Die Begeisterung über dieses Phänomen hält sich in den Redaktionen sehr in
Grenzen. Grundsätzlich sind viele Hauptstadtjournalist*innen mit der
Kommunikation der Regierung in diesen Zeiten aber durchaus zufrieden –
zumindest jetzt, nach einigen Anlaufschwierigkeiten. „Die Regierung hat
eingesehen, dass diese Pandemie nur mit einem Maximum an Kommunikation
vernünftig zu bewältigen ist“, analysiert Banerjee. Hassel sieht vor allem
eine Offensive, seit die „Querdenken“-Bewegung durch die Republik zieht und
zudem Künstler*innen lautstark auf ihre Notlage hinweisen.
Kerstin Münstermann, die Berlin-Chefin der Rheinischen Post (RP), glaubt
sogar, dass die Bundesregierung aus der Flüchtlingskrise gelernt hat.
Damals seien die Beteiligten „deutlich restriktiver“ gewesen. Nun sei das
Bemühen groß, die Öffentlichkeit laufend und ausführlich zu informieren und
auf kritische Fragen einzugehen. „Diese Offenheit darf gerne bleiben.“
Tatsächlich treten Regierende fast täglich vor die Presse. „Möglichkeiten,
um unsere Fragen zu stellen, haben wir relativ viele“, sagt auch Nico
Fried, der das Parlamentsbüro der Süddeutschen Zeitung leitet. Er sei
jedenfalls „noch nie so oft für Pressekonferenzen im Kanzleramt gewesen wie
in diesem Jahr“.
## Andere Themen legen keine Pause ein
Allerdings fokussiere sich der Kontakt gerade zur Kanzlerin auf Corona –
obwohl viele andere Themen keine Pause einlegten, darunter der Brexit oder
die Lage der Flüchtlinge am Mittelmeer. Und auch die Recherchen abseits der
Pressekonferenzen würden zäher.
„Wir alle haben unsere Kontakte, mit denen wir auch telefonieren können“,
sagt Fried. „Mir fehlen aber die direkten Begegnungen jenseits von großen
Terminen, gerade was die Regierungsmitglieder angeht.“
Wollte der Parlamentskorrespondent Merkel ansprechen, dann habe er gewusst,
wo er sein Glück probieren konnte. Wenn die Kanzlerin den Bundestag
besuchte, etwa an in der Cafeteria. „Sie blieb nicht immer stehen, aber
immer mal wieder.“
Fried und andere berichten, dass ihnen vor allem die Auslandsreisen
fehlten. Dort seien die Regierenden für ungezwungene Gespräche ansprechbar
gewesen. Und jetzt? Ende August trafen Chefredakteure Merkel vertraulich im
Kanzleramt. Amtsleiter Helge Braun, selbst Intensivmediziner, hat in
Hintergrundgesprächen einem großen Teil der Hauptstadtpresse eindringlich
die Sorgen vor der Überlastung des Gesundheitswesens erklärt. Außerdem
informieren Gesundheits- und Innenminister mit Telekom und SAP [2][über die
Corona-Warn-App].
## Misstrauen gegen Videokonferenzen
Vieles davon läuft per Videokonferenz. „Wenn da jemand seine Kamera
ausgeschaltet hat, werden die Politiker*innen schnell nervös“, heißt es bei
einzelnen Journalist*innen. Einige sprechen sogar vom Misstrauen, ob Dritte
zuhören oder jemand mitschneiden könnte. Die Qualität dieser Formate, die
grundsätzlich alle begrüßen, leide unter dem digitalen Kontakt.
Doch auch offizielle Begegnungen haben nun ihre Grenzen. „Wir bilden
häufiger einen Pool“, sagt Hassel. Dadurch seien weniger Journalist*innen
im persönlichen Kontakt mit Politiker*innen. Informelle SMS oder
Anrufe seien „noch mal wichtiger“ geworden.
Umso mehr freuen sich alle Korrespondent*innen darüber, dass Regierende
fleißig die Bundespressekonferenz (BPK) besuchen, die Kanzlerin bereits
drei Mal in diesem Jahr. „Aus anderen Ländern höre ich, dass man uns gerade
jetzt um diese Institution beneidet“, sagt Hassel. Auch Banerjee vom ZDF
sagt: „Mir ist es lieber, wenn wir uns alle in der BPK treffen.“
Die BPK ist quasi der Verein der Hauptstadtjournalist*innen. Sie moderieren
und haken nach, statt bei unbequemen Fragen das Thema zu wechseln. Drei Mal
in der Woche kommen die Sprecher*innen aller Ministerien und der Kanzlerin
vorbei.
„Diese Regierungspressekonferenz ist aufgewertet worden in der Krise“, sagt
RP-Journalistin Münstermann. Früher habe man die Mitglieder zählen müssen,
die hingingen. „Heute ist es für jede Redaktion Pflicht, vor Ort oder
wenigstens im Livestream dabei zu sein.“
## Podcast, BPK und Videobotschaften
Für die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer ist die BPK
eine „großartige Konstruktion“. Zur Kommunikationsstrategie der Regierung
sagt sie: „Am Ende geht es darum, auf möglichst vielen und
unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren, damit wir so viele Menschen wie
möglich erreichen.“
Dazu gehörten Auftritte in der BPK ebenso wie Podcasts und
Videobotschaften. Den Unmut darüber will Demmer nicht verstehen. Zwar
hätten Journalist*innen diesmal zur Pflege nicht die Kanzlerin befragen
können, wohl aber gleich drei Fachminister*innen in der BPK, zwei Tage
nach Bekanntwerden des Videos.
Die Kanzlerin, betont Demmer, sei „grundsätzlich sehr daran interessiert,
ansprechbar zu sein“. Sie habe sich seinerzeit sogar aus ihrer Quarantäne
heraus in telefonischen Pressekonferenzen den Fragen der Journalist*innen
gestellt.
Doch wie geht es weiter? ARD-Journalistin Hassel meint, die „kommunikative
Toolbox der Kanzlerin ist endlich“. Dass die Kanzlerin i[3][hren Appell im
Podcast] eine Woche später öffentlichkeitswirksam wiederholen ließ,
[4][funktioniere nur ein, zwei Mal.] „Ich bin gespannt, was sie dann
macht.“
ZDF-Journalistin Banerjee fragt sich, wie die Regierung kommuniziert, wenn
der Bundestagswahlkampf startet und die Parteien auch andere Themen wieder
in den Vordergrund stellen müssten. „Dann wird sich zeigen, ob die
Koalition bei der Kommunikation für die Pandemie ihr Fingerspitzengefühl
beibehalten kann. Das wäre ein großes Kunststück.“
15 Nov 2020
## LINKS
[1] /Merkels-schlauer-Podcast-Move/!5720782
[2] /Netzpolitikerin-ueber-Corona-Warn-App/!5723658
[3] https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/service/rss-feed/1001598-1001598
[4] /Corona-Entwicklung-in-Deutschland/!5720048
## AUTOREN
Daniel Bouhs
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