# taz.de -- Zauberer-Enkelin über ihre Familie: „Ich gruselte mich“ | |
> Birgit Bartl-Engelhardt hat die Chronik ihrer Großeltern János und Rosa | |
> Bartl geschrieben. Die beiden Zauberer führten in Hamburg einen | |
> Fachhandel. | |
Bild: Birgit Bartl-Engelhardt und das stehende Seil: die spielerische Kunst der… | |
taz: Frau Bartl-Engelhardt, warum haben Sie erst spät im Leben die | |
Geschichte ihrer Zauber-Großeltern erforscht? | |
Birgit Bartl-Engelhardt: Ich habe lange Jahre im Ausland gelebt. Als ich in | |
den 1980er-Jahren nach Deutschland zurückkehrte, war mein Vater verstorben. | |
Über meine Bartl-Familie wusste ich nicht viel. Von daher hatte ich | |
eigentlich nie die Absicht, eine Familienchronik zu schreiben. | |
Was war denn dann der Auslöser? | |
Angefangen hat es mit einem Traum vor über 15 Jahren, den ich noch glasklar | |
in Erinnerung habe. Ich befand mich in Hamburg-Eppendorf in einer stillen | |
Seitenstraße in einem villenartigen Gebäude. Dort stand ein großer | |
Schreibtisch mit von Spinnweben übersäten Papierstapeln. Ich blies die | |
Backen auf, um Staub und Schatten der Vergangenheit wegzupusten. Ich bin | |
nämlich kein geduldiger Mensch und wollte das mit einem einzigen Simsalabim | |
beseitigen. Hinter mir stand mein Vater und sagte: „Nun fang mal an, mein | |
Mädchen.“ Jahre später gab mir mein Onkel einen Zauberkatalog der Bartls | |
aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. In die Familiengeschichte vertieft | |
habe ich mich aber erst 2006, als ich in Rente ging und mehr Zeit zu haben | |
glaubte. | |
Wie gingen Sie es an? | |
Ich lebte damals mit meinem Mann in Berlin. Irgendwann fand ich im Internet | |
eine Annonce des Berliner Magischen Zirkels – eines Zusammenschlusses von | |
Berufs- und Amateurzauberkünstlern. Ich outete mich als Bartl-Enkelin und | |
begann an den Historiker-Abenden teilzunehmen. So erfuhr ich, dass es vor | |
dem Zweiten Weltkrieg nicht nur den Laden „Zauber Bartl“ meiner Großeltern | |
Rosa und János Bartl in Hamburg gegeben hatte, sondern auch ein großes | |
Zaubergeschäft meiner Großtante Charlotte – Rosas Schwester – und ihres | |
Mannes Arthur Kroner. Beide wurden 1938 vom NS-Regime enteignet und mit | |
ihrer ältesten Tochter von den Nazis ermordet. Später fand ich ihr Grab auf | |
dem Friedhof in Berlin-Weißensee. 2007 hielt ich hielt einen kleinen | |
Vortrag darüber und wollte dann unbedingt weiterforschen. | |
Hatten Ihre Eltern Ihnen nichts über die Zauberfamilie erzählt? | |
Wenig. Meine Eltern wurden geschieden, als ich noch klein war, und ich | |
lebte bei meiner Mutter. Sie erzählte mir, was sie wusste, aber das war | |
nicht viel. Denn Zauber-Bartl war die Linie meines Vaters. Ich sah ihn | |
selten, denn wir verstanden uns nicht so gut. Daher fragte ich auch nicht | |
viel. | |
Aber Sie haben Ihre Großeltern persönlich gekannt. | |
Ja, ich habe sie sowohl zu Hause als auch im Laden besucht. Zuhause – das | |
war eine kleine Spitzgiebel-Villa nicht weit von Hamburgs Außenalster. Sie | |
war verwunschen, mit wildem Wein und Efeu überwuchert. Ins private | |
Zauberreich im ersten Stock durfte ich als Kind aber nur selten. | |
Wie nahe standen Sie Ihren Großeltern? | |
Meinen Großvater János habe ich geliebt! Er hat mich begeistert, indem er | |
Münzen aus Nasen und Ohren klimpern ließ, und manchmal bekam ich etwas. | |
Meine Großmutter Rosa war nicht so herzlich. Sie befasste sich weniger mit | |
ihren Enkeln. Das überließ sie eher ihren Angestellten oder ihrem Mann | |
János. Sie, Madame Rosa Bartl, war ausschließlich für das Geschäft da. In | |
erster Linie lebte und liebte sie die Zauberkunst. Und im Laden war sie | |
wirklich die Königin. Sie war eine der wenigen Frauen in dieser männlich | |
geprägten Zauberwelt. | |
Sind Sie ihr nachgeeifert? | |
Nein. Ich war ein Kind der Nachkriegsjahre, und die Zauberkunst ist an mir | |
vorbei geschlittert, ohne wesentliche Spuren zu hinterlassen. Mit Zauberei | |
und den Scherzen der Branche hatte ich als Kind und Jugendliche selten | |
Kontakt. Ich wollte es vermutlich auch nicht. | |
Warum nicht? | |
Weil ich ja erst nach dem Krieg als kleines Mädchen mit der Zauberkunst in | |
Berührung kam, als die Zeit der Tricks mit aufwendiger Feinmechanik schon | |
vorbei war. Nach 1945 hatten die Leute wenig Geld, wollten sich aber | |
amüsieren und preiswerte Scherzartikel kaufen. Requisiten und Illusionen | |
wie die „Zersägte Jungfrau“ kosteten damals ungefähr so viel wie ein | |
Volkswagen! Aber Scherzartikel – wie die seinerzeit beliebten Zauberwürfel | |
mit Fliegen, Ratten oder Mäuse, die aus Geschenkkartons sprangen – waren | |
billig und trugen zur Belustigung bei. Also mussten Rosa und János ihr | |
Angebot auf solche Dinge umstellen. Aber als phantasiebegabtes kleines | |
Mädchen gruselte ich mich vor manchen Scherzen. Noch als erwachsene Frau | |
hatte ich fast so etwas wie eine Phobie vor Dingen oder Wesen, die irgendwo | |
herauskrabbeln könnten. Es war nicht meine Welt. | |
Sie haben nie überlegt, ins Zaubermetier einzusteigen? | |
Nein. Ich habe Anfang der 1960er-Jahre in Hamburg als | |
Seehafenspeditionskauffrau gearbeitet. Eigentlich wollte ich zur Kripo. | |
Aber da ich kleiner war als 1,60 Meter, war das für mich illusorisch. Dann | |
wollte ich Cutterin werden. Für meinen Stiefvater „Spinnkram“. Letzten | |
Endes habe ich einige wenige Jahre in der Seehafenspedition gearbeitet, | |
bevor ich heiratete und wegzog. Bücher über die Bartl-Familie zu schreiben | |
lag mir damals noch sehr fern. | |
Inzwischen sind zwei Bände erschienen. Wie geht sie denn nun, die | |
Geschichte von Rosa und János Barl? | |
Die jüdische Rosa, eine geborene Leichtmann, und ihr Mann János waren ein | |
österreich-ungarisches Zauberkünstlerpaar. Nach Ihrer Heirat 1910 in London | |
gingen sie nach Hamburg, um einen Fachzauberhandel für „Export round the | |
World“ zu starten. János hatte eine ungarische Mutter. Die Vorfahren des | |
Vaters stammten aus Bayern. Vom bayerischen Großvater hatte János auch die | |
Leidenschaft für die Zauberei geerbt. | |
Und er war ein Bastler. | |
In der Tat. Aber er konnte weit mehr: János Bartl brachte es zum | |
angesehenen Fabrikanten top funktionssicherer Zauberrequisiten. Er war | |
begabter Geschäftsmann und unermüdlicher Erfinder. Bei meinen Recherchen | |
habe ich 80 Patent-Anmeldungen gefunden und wochenlang damit gearbeitet, um | |
sie den Tricks im Bartl-Zauberkatalog zuordnen zu können. | |
Als da wären? | |
Zum Beispiel Bartls berühmte Seidentuch-Illusion „Silkwonder Superb“ oder | |
„Karoku“, ein Zaubertrick mit stehendem Seil, den meine Großmutter so | |
elegant vorführen konnte. Er war auch Urheber des Lockenstabs und des | |
Plissiere-Stoffs. János wirkte hinter den Kulissen, obwohl er eigentlich | |
kein Backstage-Man war – klein, charmant und immer strahlend. Er war aber | |
auch klug und überließ Rosa im Laden das Feld. Sie konnte zaubern und | |
verkaufen wie keine Zweite. In der Branche hieß es: „Zu Bartls nur mit | |
abgezählten Scheinen.“ | |
Das Geschäft florierte? | |
Ja, und zwar so gut, dass die Hamburger Handelskammer „Zauber Bartl“ in den | |
1930er-Jahren auszeichnete. Das war, nachdem der amerikanische Präsident | |
Roosevelt seinen Schatzmeister beauftragt hatte, bei einem Hamburg-Besuch | |
bei Zauber-Bartl für 20.000 Dollar Zauberrequisiten zu kaufen. | |
Wie erging es Bartls danach, in der NS-Zeit? | |
Rosa war jüdisch, János christlich, und sie hatten zwei evangelisch | |
erzogene Kinder. Damit lebten sie in einer „privilegierten Mischehe“, wie | |
es das NS-Regime nannte, und Rosa musste keinen gelben Stern tragen. 1938 | |
hat sie sich außerdem christlich taufen lassen. Doch für die Nazis blieb | |
sie eine getaufte Jüdin, die ihr eigenes Geschäft nicht mehr betreten | |
durfte. Trotzdem konnten Bartls während des Dritten Reichs eine ganze Weile | |
unbehelligt in ihrer Privatvilla bleiben und mussten nicht in „Judenhäuser“ | |
umziehen. Als Rosa 1943 dann doch deportiert werden sollte, hat sie sich im | |
letzten Moment die Pulsadern aufgeschnitten und wurde ins Krankenhaus | |
gebracht. So hat sie überlebt. Dazu trug wohl auch bei, dass Rosa und János | |
als hanseatische Geschäftsleute – so wird es in Bartl-Familienkreisen | |
erzählt – Protektion bis in den Hamburger Senat genossen. | |
Und sie gaben nicht auf. | |
Nein. Nach 1948 wurde „Zauber Bartl“ umbenannt in „Zauber Zentrum János | |
Bartl“ und nach einem Umzug in einem Röhrenbunker an der Alster wieder | |
eröffnet. Nach der gesetzlichen Gleichstellung von Mann und Frau 1949 trat | |
Rosa 1950 als Gesellschafterin ins Geschäft ein, das – wie erwähnt – nun | |
hauptsächlich Scherzartikel führte. Aber für meinen Großvater war das nicht | |
mehr seine Welt. Einige Jahre nach seinem Tod wurde der Röhrenbunker | |
abgerissen, und Rosa wohnte dann bis zu ihrem Tod in der Privatvilla. | |
Keins der Kinder wollte zaubern? | |
So kann man das nicht sagen. Beide Bartl-Kinder – mein Vater Hans und seine | |
Schwester Elly – hatten ihr halbes Leben der Zauberkunst gewidmet, hatten | |
gern gezaubert und auf der Bühne gestanden. Nach dem Krieg hat mein Vater | |
auch kurzzeitig versucht, einen Zauberladen aufzubauen. Aber er bemerkte, | |
dass er als professioneller Zauberkünstler im Nachkriegsdeutschland | |
finanziell nicht auf die Beine kommen würde. Also gab er auf. | |
Was macht einen guten Zauberer denn letztlich aus? | |
Bei der Zauberkunst dreht sich alles um die spielerische Kunst der | |
Täuschung: Dinge verschwinden lassen, verwandeln, wieder erscheinen lassen. | |
Rosa Bartl sagte immer: „Zauberkunst ist eine Augen-Intelligenz.“ Der | |
Zauberer muss das Publikum in seinen Bann ziehen und seine Aufmerksamkeit | |
(ab)lenken. Da darf nichts blitzen, das muss perfekt fingerfertig sein. | |
Rosa Bartl beherrschte das perfekt. | |
9 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
NS-Literatur | |
Zauberer | |
Juden | |
Deportation | |
Hamburg | |
Zauberer | |
Auto | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Siegfried und Joy über Magie: „Zaubern heißt kommunizieren“ | |
Siegfried & Joy brechen mit Magieklischees. Ein Gespräch über Las Vegas, | |
den Gender-Gap in der Zauberszene und Magie, die auf der Straße liegt. | |
Erinnern an Ingenieur Paul Jaray: Der Mann der Tropfenform | |
Der Name Paul Jaray wurde von den Nazis aus der Geschichte gedrängt. An den | |
genialen Ingenieur erinnert eine Ausstellung im Kunsthaus Dahlem. |