# taz.de -- Krieg im Kaukasus: Bergkarabach vor dem Fall | |
> Aserbaidschan soll die zweitgrößte Stadt der umkämpften Region erobert | |
> haben. In der Hauptstadt Stepanakert sind Zivilist*innen auf der Flucht. | |
Bild: Die armenische Kathedrale von Schuscha, daneben ein Artilleriekrater | |
BERLIN taz | Es ist eine Erfolgsmeldung, auf die der aserbaidschanische | |
Präsident Ilham Aliyev seit Wochen gewartet hatte. Am Sonntag verkündete | |
Aliyev in seiner Hauptstadt Baku: „Schuscha ist unser“, und weiter: „Wir | |
haben diesen Sieg auf dem Schlachtfeld errungen, nicht am | |
Verhandlungstisch.“ | |
Die Einnahme der zweitgrößten Stadt Bergkarabachs ist ein Sieg, den vor | |
allem der Präsident Aserbaidschans dringend braucht, um die | |
[1][Unterstützung im eigenen Land] für den nunmehr sechs Wochen alten Krieg | |
aufrecht zu erhalten. | |
[2][Am 27. September] war die aserbaidschanische Armee mit Unterstützung | |
der Türkei zu einer Großoffensive auf die von Armenien kontrollierte Region | |
Bergkarabach im Westen des Landes sowie die umliegenden armenisch besetzten | |
Landstriche gestartet. Laut dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sind | |
bereits über 5.000 Menschen in dem Konflikt gestorben. | |
Alle Versuche, eine diplomatische Lösung zwischen Armenien und | |
Aserbaidschan zu finden, sind bislang gescheitert. Drei vereinbarte | |
Feuerpausen wurden bereits wenige Stunden nach Inkrafttreten gebrochen. | |
## Großoffensive auf Schuscha | |
Aserbaidschan hatte eine „Befreiung“ der Region aus armenischer Kontrolle | |
in nur ein paar Wochen versprochen. Doch nach anfänglichen Erfolgen auf dem | |
eher flacheren Teil Karabachs hatte sich der Krieg in die Berge verlagert. | |
Die armenische Armee und die Kräfte der dort proklamierten und heute fast | |
ausschließlich von Armeniern bewohnten „Republik Arzach“ hatten deshalb | |
zentrale Orte wie die Hauptstadt Stepanakert erfolgreich verteidigen | |
können. | |
Am Mittwochabend startete die aserbaidschanische Armee eine Großoffensive | |
auf Schuscha, die jetzt erfolgreich gewesen sein soll. Laut armenischen | |
Angaben ist der Gipfelort Schuscha jedoch nicht verloren, sondern lediglich | |
„sehr stark umkämpft“, wie die Sprecherin des armenischen | |
Verteidigungsministeriums, Schuschan Stepanjan, am Sonntag meldete. | |
Diverse Quellen, darunter ein französischer Journalist sowie mehrere | |
Einwohner des Ortes, bestätigten jedoch der taz, dass Schuscha gefallen | |
sei. | |
Die ersten aserbaidschanischen Kräfte hätten es bereits bis in die | |
benachbarte Hauptstadt Stepanakert geschafft, aus der am Samstagabend alle | |
übrig geblieben Zivilisten wie auch das städtische Krankenhaus evakuiert | |
wurden. | |
Der Durchbruch in dem strategisch wie auch politisch wichtigen | |
3.000-Einwohner-Städtchen, das die Armenier Schuschi und die | |
Aserbaidschaner Schuscha nennen, könnte den Sieg für Aserbaidschan | |
einläuten. Warum, das liegt an den geografischen und historischen | |
Gegebenheiten der Stadt. | |
Von Schuscha hoch oben in den Bergen blickt man auf die Hauptstadt | |
Stepanakert 10 Kilometer nördlich wie auch auf den Lachin-Korridor, der | |
wichtigsten Versorgungsstraße von Stepanakert nach Armenien. Im ersten | |
Krieg um Bergkarabach, der während des Zerfalls der Sowjetunion stattfand, | |
galt die Eroberung Schuschis am 9. Mai 1992 als entscheidend für den Sieg | |
Armeniens. | |
Neben dem zentralen Kreisverkehr in Stepanakert steht deshalb heute ein | |
überdimensionales Schild mit der Aufschrift: 9. Mai 1992, der Tag des | |
Sieges. Der Verlust der Stadt wäre ebenso symbolträchtig. | |
## Wichtig für die Bevölkerung | |
Vor dem damaligen Krieg waren etwa 20 Prozent der Bevölkerung Bergkarabachs | |
Aserbaidschaner; im Ort Schuscha lebten sogar mehrheitlich Muslime. Heute | |
sind es wie in der ganzen Region über 99 Prozent Armenier, die | |
Aserbaidschaner wurden vertrieben. Entsprechend wichtig ist der Ort nicht | |
nur für den militärischen Verlauf des Krieges, sondern auch für die | |
aserbaidschanische Bevölkerung. | |
Die [3][Ursprünge des Konflikts] um Bergkarabach sind älter als die | |
postsowjetische Ära. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben sowohl Armenien | |
als auch Aserbaidschan Anspruch auf die Region erhoben, die traditionell | |
von Gruppen beider Ethnien bewohnt wird. Zwischen 1988 und 1994 wurden auf | |
beiden Seiten über eine Million Menschen vertrieben. | |
Als Folge dieses Krieges, der mit einem Sieg Armeniens endete, wurde in | |
großen Teilen Bergkarabachs die Republik Arzach ausgerufen. Das Gebiet | |
gehört juristisch zu Aserbaidschan und wird von keinem Land der Welt als | |
eigener Staat anerkannt, nicht mal von Armenien, von dem es aber abhängig | |
ist. Arzach funktioniert also de facto als Teil Armeniens, aber nicht de | |
jure. | |
Man betreibt trotzdem in der armenischen Hauptstadt Jerewan eine eigene | |
Botschaft, und die armenische Armee stellt das größte Truppenkontingent auf | |
der Seite Arzachs im Kampf um Bergkarabach. | |
8 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Philip Malzahn | |
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