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# taz.de -- Kommunalwahl in Bosnien und Herzegowina: Kein Miteinander in Stolac
> Die bosnische Gemeinde Stolac ist in der Hand der kroatischen
> Nationalpartei HDZ. Jetzt hofft die bosniakische Bevölkerung auf einen
> Wechsel.
Bild: Mišo Rupar kümmert sich in der Gemeinde um das Erbe der Partisanen
Stolac taz | Mišo Rupar gehört zur serbischen Minderheit in dem von
extremistischen Kroaten beherrschten Städtchen Stolac in der
Ostherzegowina. Der 78-jährige Mišo ist Anfeindungen gewohnt. Nicht nur,
weil er Serbe ist, sondern auch, weil er als Vorsitzender der
antifaschistischen Organisation in der Stadt fungiert hat – ein rotes Tuch
für die [1][kroatischen Nationalisten]. Sie haben seit den Kriegen der
1990er Jahre in der Gemeinde Stolac mit 3.800 Einwohnern das Sagen. Bei der
Kommunalwahl am Sonntag sind ihre Chancen nicht schlecht, wieder zu
gewinnen.
Mišo kümmert sich um das von Kroaten 1993 zerstörte Denkmal der Partisanen.
Er hat den Roten Stern an dem notdürftig reparierten Rundbogen wieder
angebracht und eine von 14 Gedenktafeln gerettet, auf denen Namen der aus
Stolac stammenden [2][gefallenen Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg]
verzeichnet waren.
„Die Partisanen kämpften für Brüderlichkeit und Einheit, für ein
friedliches Zusammenleben aller südslawischen Nationen“, sagt Mišo. Am 25.
Oktober 1944 befreiten die Partisanen Stolac von der deutschen Wehrmacht
und der kroatischen Ustascha-Herrschaft. „Wir alle, Kroaten, Bosniaken
und Serben, haben dann 40 Jahre friedlich zusammengelebt.“
Doch dann kam 1992 der Krieg, der bis 1995 dauerte. Die von den Partisanen
bekämpften kroatischen und serbischen Nationalisten gewannen wieder die
Oberhand. Die damaligen Ereignisse lasten bis heute auf der Stadt.
## Antifaschisten aus Kroatien, Serbien, Slowenien
Dabei könnte das Städtchen ein Schmuckkästchen sein. Der Blick des
schlanken Mannes schweift hinauf zu den Bergen, die das Städtchen umgeben,
hin zur mächtigen Burg, die der mittelalterliche Herrscher Stjepan Vukčić
Kosača 1444 ausgebaute. Weil er sich Herzog nannte, heißt die gesamte
Region im Hinterland der Adria Herzegowina. Stolac liegt im östlichen Teil,
kaum 100 Kilometer von Dubrovnik und 40 Kilometer von Mostar entfernt.
„Das ist meine Heimat“, sagt Mišo, der aus einer alteingesessenen Familie
stammt. Er ist stolz auf seine Stadt mit den Zeugnissen einer langen
Geschichte, auf die von Römern zerstörte illyrische Burg Daorson, deren
mächtige Mauern noch heute zu bewundern sind, oder die altbosnischen
Grabfelder, die Stećci, von Radimlja und Boljuni. Er schwärmt vom Essen,
natürlich gezogenem Gemüse und den Früchten – vor allem den Granatäpfeln.
Von der Terrasse des Restaurants am grünlich schimmernden reißenden Fluss
Bregava blickt man auf jahrhundertealte Mühlen.
Zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus hat Mišo die Antifaschisten
Bosniens und Herzegowinas und Ex-Jugoslawiens nach Stolac eingeladen.
Hunderte sind gekommen, „auch aus Kroatien, Serbien und Slowenien“, erzählt
er stolz. Die Gemeindeverwaltung musste die Feiern dulden, es waren zu
viele Menschen gekommen.
Mišo konnte den Besuchern aus erster Hand berichten, was hier im letzten
Krieg passiert ist. Im Sommer 1992 griffen serbische Truppen Stolac an,
doch die Stadt wehrte sich. Kroaten und Muslime kämpften gemeinsam gegen
die Angreifer, es gelang ihnen, die Front zu halten. Die Serben mussten
jedoch fliehen.
Mišo blieb. Er beobachtete, wie die Kroaten in der Stadt die Macht
übernahmen. Im Juni 1993 wurden überraschend alle bosniakischen Männer, die
vorher gemeinsam mit den Kroaten gekämpft hatten, verhaftet und in einem
Lager interniert.
Die Moscheen und die unter dem Schutz der Unesco stehende Altstadt aus
osmanischer Zeit wurden niedergebrannt, die bosniakische Bevölkerung
vertrieben. Viele bosniakische und serbische Dörfer, die zur Gemeinde
Stolac gehörten, wurden dem Erdboden gleichgemacht.
## Beharrliche Rückkehrer
Mišo redet nicht gern darüber, wie er diese Zeit überlebt hat. Er habe als
Straßenkehrer gearbeitet, ist ihm lediglich zu entlocken. Doch nach einigen
Jahren wurde das Leben wieder erträglicher. Ende der 1990er Jahre begannen
die ehemaligen bosniakischen Bewohner, in die Stadt zurückzukehren. 2001
gingen die Bosniaken mit Unterstützung der Unesco, der islamischen
Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft daran, die osmanische Altstadt
wiederaufzubauen.
Zwar versuchte die kroatische Stadtverwaltung alles, um dies zu verhindern,
doch zwei ihrer Bürgermeister mussten auf Druck der internationalen
Institutionen in Bosnien und Herzegowina zurücktreten. Die Rückkehrer
blieben beharrlich.
Heute sind zwei Drittel der Stadtbewohner wieder Bosniaken, die zu der
islamischen Gemeinschaft dazu gestoßen sind. Künstler, wie die bekannte
[3][Filmregisseurin Jasmila Žbanić], haben gemeinsam mit Intellektuellen
aus dem gesamten Land angefangen, hier auf diesem historisch und kulturell
bedeutsamen Boden, die Zivilgesellschaft voranzubringen.
Noch beherrscht die [4][kroatische Nationalpartei HDZ] die aus 14.000
Einwohnern bestehende Gesamtgemeinde, zu der die Stadt und das Umland
gehören. Denn 52 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Kroaten.
Vor allem HDZ-Anhänger bekommen Jobs in der Gemeindeverwaltung. In der
Schule neben dem Partisanendenkmal werden die [5][kroatischen und
bosniakischen Schüler getrennt unterrichtet]. Die katholische Kirche
baute in den vergangenen Jahren einen Kreuzweg über das angebliche „Leiden
des kroatischen Volkes“ bis hinauf zur Burg.
## Turm der Kirche überragt Minarett
Es sind Parallelgesellschaften entstanden – mit höchst unterschiedlichen
Ideologien und Mythen. Die meisten Bosniaken können den Kroaten die
Ereignisse von 1993 nicht verzeihen. Bosniaken haben ihre eigenen Cafés und
Restaurants, die Kroaten die ihren.
Neben der originalgetreu wiederaufgebauten Moschee wurde eine katholische
Kirche gebaut, deren Turm das Minarett überragt. So wie in Stolac sieht es
auch in anderen Regionen von Bosnien und Herzegowina aus. In der 30
Kilometer entfernten Nachbarstadt Bileća, wo serbische Nationalisten das
Sagen haben, werden serbische Kriegsverbrecher verehrt.
„Die Religionen sind das Hauptproblem“, sagt Mišo, „sie schüren den
Nationalismus.“ Dennoch blickt der 78-Jährige mit viel Optimismus in die
Zukunft. Denn er hat im vergangenen Jahr geheiratet: eine 68-jährige Serbin
aus dem Kosovo, die er im Internet kennengelernt hat. Sie ist zu ihm nach
Stolac gezogen.
15 Nov 2020
## LINKS
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[4] /Ueberraschender-Wahlausgang-in-Kroatien/!5693946
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## AUTOREN
Erich Rathfelder
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