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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in den USA: Was passiert, wenn …
> … Donald Trump verliert? Er und Joe Biden gleichauf sind? Wie reagieren
> die Anhänger.innen? Ein Blick auf drei mögliche Szenarien.
Bild: Die eine Seite: Trump-Unterstützer am 24. Oktober in Harrisburg, Pennsyl…
New York/Washington/Berlin taz | Washington bereitet sich mit
Sperrholzplatten auf die Wahl des nächsten US-Präsidenten vor. An einer
Subway-Filiale am Farragut Square, einen Block vom Weißen Haus entfernt,
steht ein schwarzer Pick-up-Truck quer auf dem Bürgersteig. „Der Stadtrat
hat alle aufgefordert, aktiv zu werden“, erzählt ein Handwerker in weißem
T-Shirt, ein rotes Halstuch vor dem Mund. Hinter ihm sägt ein Kollege eine
Holzlatte zurecht. Ein dritter Mann steht auf der Leiter und bringt die
nächste Sperrholzplatte an den Subway-Schaufenstern an. „Wegen der Wahl“,
sagt er knapp.
Es ist Mittwochnachmittag, [1][bis zum Wahltag] bleiben noch sechs Tage.
Der Farragut Square ist ein besonderer, zur Lunchzeit gut besuchter kleiner
Park inmitten von Bürokomplexen. Jetzt kann man den Eindruck gewinnen,
Cafés und Restaurants hätten der Coronakrise wegen aufgegeben.
Viele Menschen trifft man im Zentrum der US-Hauptstadt zurzeit sowieso
nicht mehr, weil viele im Homeoffice arbeiten, und die Firehook Bakery zum
Beispiel, ein sonst beliebter Treffpunkt für persönliche Gespräche am Rande
des Politzirkus, ist bereits komplett verbarrikadiert, weil man für
Ausschreitungen nach der Wahl gerüstet sein will.
Entlang der Connecticut Avenue verkleidet sich an diesem Mittwoch ein
Bürokomplex nach dem nächsten mit schützenden Holzplatten. Man weiß nicht,
wer protestieren wird. Aber dass es in der kommenden Woche massive Proteste
geben wird, damit rechnet Washington fest.
Dass dies keine Präsidentschaftswahl wie jene wird, die man bisher kannte –
dafür gibt es viele Gründe. [2][Corona und die hohen Infektionszahlen]
haben den Wahlkampf völlig verändert. Dazu kommt die Wirtschaftskrise, die
viele Menschen sehr hart trifft. Dann die extreme Polarisierung des Landes.
Und Amtsinhaber Donald Trump, der in seinen vier Jahren im Weißen Haus die
politischen Institutionen stark beschädigte, und der jetzt wieder zu einer
Drohung greift, die er schon 2016 einsetzte. Trump sagt bei seinen
Auftritten in verschiedenen Varianten immer wieder, dass er das
Wahlergebnis vom 3. November nur anerkennen werde, falls er siege. Das ist
nichts weniger als die Aufkündigung der demokratischen Spielregeln.
In Donald Trumps Plan ist nur ein Wahlausgang vorgesehen: sein eigener
Verbleib im Amt. Er verweigert die Antwort auf die Frage, wie er im Fall
einer Niederlage eine friedliche Amtsübergabe sicherstellen wolle. [3][Er
untergräbt das Vertrauen in den Urnengang], indem er immer wieder die
Legitimität von Briefwahlen in Zeiten der Pandemie bestreitet. Und er
beschreibt die Demokraten und seinen Herausforderer Joe Biden, [4][der in
den Umfragen ein paar Punkte vor ihm liegt], als Betrüger.
Trumps Getreue an den Spitzen der Bundesstaaten und in den Institutionen
sollen den Rest erledigen. Sie behindern die Wähler, indem es gerade in
vielen Bezirken mit hohem Minderheitenanteil zu wenige Wahllokale und viel
zu kurze Öffnungszeiten gibt. Außerdem gibt es Briefwahlformulare, die so
kompliziert sind, dass kaum jemand keinen Fehler beim Ausfüllen macht. Und
es laufen bereits Klagen gegen Auszählungsmodalitäten und
Auszählungstermine – weitere drohen hinzuzukommen.
In dieser Woche sorgte der oberste Richter Brett Kavanaugh, den Trump 2018
nominiert hatte, für einen besonders negativen Höhepunkt. In einer
Entscheidung des Supreme Court schrieb er, dass die Auszählung von
Briefwahlscheinen, die erst nach dem Wahltag eingehen, eine Verdrehung des
Wahlergebnisses sei.
In den Tagen vor der Wahl werden nun alle möglichen Szenarien
durchgespielt: Angenommen Donald Trump gewinnt einen wichtigen Staat im
Osten wie Florida [5][oder Pennsylvania]. Kein Erdrutsch, aber ein
Vorsprung. Die Chancen für ein gesichertes Gesamtergebnis in der Nacht der
Wahl sind unter Coronabedingungen aber äußerst gering.
Trump könnte sich trotzdem zum Gewinner erklären, noch bevor alle Stimmen
per Brief ausgezählt sind. Da das Briefwahlvotum aber praktisch sicher für
Biden ausfällt, ist das eine der Horrorvisionen der Demokrat.innen. Die
Vorstellung, Trump könnte eine zweite Präsidentschaft illegitim an sich
reißen und den Albtraum auf diese Weise fortsetzen, strapaziert jede
Zurückhaltung auf Seiten der Linken, insbesondere der antirassistischen
Aktivist.innen.
Bei Linken und Demokrat.innen war die erste Reaktion auf Trumps
Ankündigung, den Wahlausgang nicht in jedem Fall zu akzeptieren, die
Aufforderung, so massiv wie nie zuvor zu wählen. „Es geht um das Überleben
unserer Demokratie“, sagen Biden-Unterstützer – von Michelle Obama bis zu
Bernie Sanders.
Bisher ist ihr Aufruf ziemlich erfolgreich: Bis zum Donnerstagabend haben
beim sogenannten Early Voting bereits 75 Millionen Menschen in
Frühwahllokalen ihre Stimme abgegeben. Obwohl viele stundenlang Schlange
dafür stehen mussten. In Coronazeiten dauert das Wählen oft länger als
sonst, weil Abstände eingehalten und Wahlcomputer desinfiziert werden
müssen.
Ein Drittel aller Stimmen wurde damit schon durch Early Voting vergeben.
Ein Zeichen für eine hohe Wahlbeteiligung, die diesmal alle Rekorde brechen
könnte. Dazu trägt aber auch das Trump-Lager bei. Bei Auftritten im Swing
State Florida fordert auch Trump seine Anhänger auf, vorzeitig wählen zu
gehen.
Die zweite Empfehlung der Trump-Gegner lautet: Beobachtet die Wahlen!
In Schnellkursen sind in den vergangenen Wochen Freiwillige als
Wahlbeobachter ausgebildet worden. Wegen der Pandemie waren vor allem junge
Leute gefragt, deren Gesundheitsrisiko geringer ist. Da aber auch das
Trump-Lager seine Anhänger als Wahlbeobachter mobilisiert, könnte es am
Dienstag auch deshalb in Wahllokalen zu angespannten Situationen kommen.
Die Planungen des Biden-Lagers gehen längst über den 3. November hinaus.
Gewerkschafter quer durch das Land diskutieren über Generalstreiks. „Labor
Action to Defend Democracy“ nennen sie ihre Pläne, die sie gegebenenfalls
am Tag nach der Wahl aktivieren wollen. „Wenn sie eine gerechte und faire
Auszählung der Stimmen behindern, sabotieren, untergraben und ablehnen“,
sagt Lydia Woods von der Labor Federation in Massachusetts, „müssen wir die
Demokratie verteidigen.“
Schon am Wahlabend wollen Black-Lives-Matter-Aktivist.innen demonstrieren.
Für den Tag danach ruft eine Allianz von Dutzenden von Organisationen –
darunter Feminist.innen, Klimaktivist.innen, Immigrant.innen und
Gewerkschaften zu Protesten unter dem Motto „Protect the Result“ – Schüt…
das Ergebnis – auf.
Die Aktionen sollen auf zentralen Plätzen des Landes stattfinden. Wer
teilnehmen will, kann seine E-Mail und Telefonnummer eintragen. Der Aufruf
gilt nur für den Fall eines illegitimen Griffs nach der Macht. Aber die
Organisator.innen schreiben vorsorglich: „Die Wahrscheinlichkeit einer
Aktivierung ist hoch. Wir sollten alle planen, dass diese Ereignisse
stattfinden werden.“
Für die Zeit der Transition, also der Zeit zwischen der Wahl am 3. November
und der Amtseinführung am 20. Januar, gibt es jede Menge Befürchtungen,
aber kaum Gewissheiten. Von Juni bis August kamen in Washington
hochkarätige Mitglieder beider Parteien – darunter ehemalige
Regierungsmitglieder, Kampagnenmitarbeiter und Militärs – in dem
Transition Integrity Project zusammen, um sich vorzubereiten. Die 100
Mitglieder des Projekts entwickelten vier mögliche Szenarien, von denen
keines auch nur entfernt den Präsidentschaftswahlen der vergangenen Jahre
gleicht.
Im ersten Szenario ist der Wahlausgang so knapp und ambivalent wie im Jahr
2000, [6][als letztlich Richter George W. Bush den Wahlsieg über Al Gore
gaben]. Damals dauerte die Stimmauszählung im heftig umkämpften Swing State
Florida länger als einen Monat. Am Ende lag Bush dort mit 537 Stimmen vor
Gore. Auch nachdem Richter Nachzählungen in einigen Wahlkreisen angeordnet
hatten und der Supreme Court sein Urteil zugunsten Bushs gefällt hatte,
blieb der Wahlausgang umstritten.
Im zweiten Szenario trägt Biden schon am Wahlabend einen haushohen Wahlsieg
davon. Im dritten hat Trump zwar eine Mehrheit im Wahlleute-Gremium, aber
Biden hat – wie schon 2016 Hillary Clinton – deutlich mehr Wählerstimmen.
Im vierten geht Biden ganz knapp in Führung.
Der Republikaner und ehemalige Mitarbeiter von George W. Bushs
Außenminister Colin Powell, Lawrence Wilkerson, hat beim Transition
Integrity Project mitgearbeitet.
Er ist einer der wenigen verbliebenen moderaten Mitglieder der
republikanischen Partei. Bei diesen Wahlen unterstützt er Biden.
Wilkerson nennt einen haushohen Wahlsieg von Biden den einzigen Ausgang mit
relativ überschaubaren Risiken. Aber selbst in dem Fall erwartet er
Probleme zwischen Trump- und Biden-Anhängern.
In allen anderen Szenarien geht das Transition Integrity Project davon aus,
dass die Wahlen zu langanhaltenden und bitteren Auseinandersetzungen führen
werden: in den Medien, vor den Gerichten, in den Wahllokalen und auf der
Straße. Wobei Trump, als Amtsinhaber, möglicherweise am längeren Hebel
sitzen wird.
Bei einer Diskussion mit Demokraten verglich Wilkerson ein mögliches
Szenario der kommenden Präsidentschaftswahlen mit jenen von 1876. Jene Wahl
hatte dramatische Konsequenzen für Millionen von Afroamerikanern, die erst
elf Jahre zuvor der Sklaverei entkommen waren.
Der Wahlausgang von 1876 war so knapp, dass erst nach mehrtägigen
Auszählungen das Ergebnis feststand. Es gab dem Republikaner Rutherford
Hayes 185 Wahlmänner – dem Demokraten Samuel Tilden 184. Beide Männer
beanspruchten die Präsidentschaft für sich und brachten das Land in die
gefährliche Nähe eines neuen Bürgerkriegs.
Der Demokrat gab erst auf, nachdem der Republikaner sein Einverständnis
gegeben hatte, die „Reconstruction“ in den Südstaaten zu beenden. Das
bedeutete, dass die Bundestruppen aus den Südstaaten abzogen. Und dass für
die eben erst befreiten Afroamerikaner eine neue Ära von weißer
Vorherrschaft begann. Sie dauerte bis zur Bürgerrechtsbewegung der 1960er
Jahre.
Eine besonders große Unbekannte in den Nachwahl-Szenarien sind die
rechtsextremen Gruppen, an die sich Trump in seinen Tweets und Interviews
auch immer wieder direkt wendet. Die meisten sind schwer bewaffnet – werden
sie einen Sieg Bidens einfach akzeptieren? Im ersten TV-Duell der beiden
Kandidaten sorgte Trump für Entsetzen, indem er [7][direkt die „Proud Boys“
ansprach und sie aufforderte, sich zurückzuhalten], aber sich auch bereit
zu halten.
Mitglied der Proud Boys können nur Männer werden, außerdem muss man die
westliche Zivilisation für überlegen ansehen. Seit der Erwähnung Trumps
lassen sich Proud Boys von Medien mit der Warnung zitieren, man werde
„Wahlergebnisse nicht einfach hinnehmen, wenn etwas faul ist“.
Auch die Polizei hat die kommenden Wahlen als riskantes Ereignis
vorbereitet. In New York, der größten Stadt des Landes, warnte die Polizei
Geschäftsleute in Manhattan vor möglichen Unruhen. Die Mehrheit der
Polizisten in New York, wie im Rest des Landes, stehen auf der Seite von
Trump. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Polizist in New York vom Dienst
suspendiert, nachdem er aus dem Lautsprecher seines Dienstfahrzeugs „Trump
2020“ gerufen hatte. Alle großen Polizeigewerkschaften haben zur Wahl von
Trump aufgerufen.
Beim Militär ist die Gemengelage anders. Dort sind mehrere Generäle –
darunter solche, die für Trump gearbeitet haben – auf Distanz zu ihm
gegangen. Zuletzt hat sich der oberste militärische Beamte, General Mark
Milley, dafür entschuldigt, dass er im Juni dabei war, als Trump den
Lafayette Park vor dem Weißen Haus mit Tränengas und Gummikugeln von
friedlichen Demonstranten räumen ließ, um sich mit einer falsch herum
gehaltenen Bibel vor einer Kirche fotografieren zu lassen.
„Durch meine Anwesenheit entstand der Eindruck, dass das Militär in die
Politik involviert ist“, sagte Milley in seiner Entschuldigung.
Aus solchen Verlautbarungen schöpft das Biden-Lager Hoffnung, dass das
Militär auf der Seite des legitimen Wahlsiegers stehen wird – und dass es
im Zweifelsfall Trump aus dem Weißen Haus eskortieren wird.
Unterdessen hat die Supermarkt-Kette Walmart für Aufsehen gesorgt, weil sie
in dieser Woche in ihren Geschäften Waffen und Munition aus ihren Regalen
entfernte. Diese würden zwar auf Anfrage weiter verkauft, sagte ein
Sprecher am Donnerstag, man habe sie zur Sicherheit aber erst mal
weggeräumt. Wann sie wieder in die Regale zurückkehren sollen, wollte er
nicht sagen.
31 Oct 2020
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## AUTOREN
Dorothea Hahn
Barbara Junge
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