Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Assistenz-Genossenschaft in Geldnot: Kredit dringend gesucht
> Die Hamburger Assistenz-Genossenschaft steht vor der Insolvenz. Eine neue
> Geschäftsführung versucht jetzt, das Modell und die Arbeitsplätze zu
> retten.
Bild: AssistenznehmerInnen sollen das Wirken des Unternehmens mitgestalten
Hamburg taz | Mit der [1][Hamburger AssistenzGenossenschaft (HAG)] droht
ein einzigartiges Unternehmen zu scheitern. Dem selbstverwalteten
gemeinnützigen Unternehmen mit mehr als 200 MitarbeiterInnen droht die
Insolvenz. Nach Querelen und Misswirtschaft in der Vergangenheit arbeitet
jetzt eine neue Geschäftsführung zusammen mit dem Aufsichtsrat, dem
Betriebsrat und einem Unternehmensberater an einem Sanierungskonzept. Doch
dafür benötigt die HAG einen Überbrückungskredit.
Die HAG ist vor 25 Jahren von Menschen mit körperlichen Einschränkungen um
die Behinderten-Initiative „Autonomes Leben“ herum gegründet worden, um in
Gestalt persönlicher Assistenzen die Unterstützung im Alltag selbst zu
organisieren. Durch die Betreuung, wenn nötig rund um die Uhr, wurde ein
selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung möglich.
In der selbstverwalteten Genossenschaft gestalten die KundInnen als
GenossInnen in der Assistenznehmer-Vertretung das Wirken des Unternehmens
mit: „Durch diese besondere Unternehmensform stellen wir sicher, dass die
Mitglieder mit Behinderung ihre nötige Assistenz nicht nur einfach kaufen
und vorgesetzt bekommen, sondern mitgestalten“, sagt der neue
Geschäftsführer Roman Barth.
Erste Erfolge greifen offensichtlich. Doch es gibt auch Hindernisse: Bis
die neuen Sanierungsmaßnahmen im Juli 2021 vollends greifen, benötigt die
Genossenschaft einen Kredit, um eine Insolvenz zu vermeiden. Die
Evangelische Bank hat ein Darlehen im ersten Anlauf verweigert, sodass nun
Bürgen für einen Kredit gesucht werden.
## Missmanagement und Missgunst
Dass die HAG in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist, liegt zwar
auch an den knauserigen Vergütungssätzen durch die Sozialträger und den
Auswirkungen der Coronapandemie, ist aber auch dem Missmanagement der
bisherigen Geschäftsführung geschuldet, unter der zuletzt ein schlechtes
Betriebsklima herrschte. Die beiden neuen VorständlerInnen Manon Wenzel und
Roman Barth halten sich zwar mit Schuldzuweisungen an ihre Vorgänger
gegenüber der taz deutlich zurück, Barth entwischt aber doch der Satz: „Der
Fisch stinkt immer vom Kopf her.“
Dem geschäftsführenden Vorstand sei es in der „jüngeren Vergangenheit nicht
gelungen, Liquiditätsreserven aufzubauen, die uns auf eine derartige
Herausforderung vorbereitet hätten“, klagt Barth. Die Kommunikation
zwischen den Gremien sei schwierig gewesen. „Da ist viel schief gelaufen.“
So war es nach Angaben des Betriebsrats der Belegschaftsvertretung unter
Androhung von Restriktionen untersagt, direkt mit dem Aufsichtsrat oder der
Assistenznehmer-Vertretung der Genossenschaft in den Dialog zu treten.
Dabei führte die alte Geschäftsführung einen Kleinkrieg gegen den
Betriebsrat, hielt Betriebsvereinbarungen nicht mehr ein, erteilte
Betriebsrätinnen Abmahnungen, drohte ihnen mit Kündigung, ordnete
Gehaltsabzug an und drohte mit der Einleitung von Amtsenthebungsverfahren,
wodurch unnötige Prozesskosten entstanden ([2][taz berichtete]).
Im Juli zog die Generalversammlung der Genossenschaft die Notbremse. Der
geschäftsführende Vorstand wurde des Amtes enthoben und Roman Barth, selbst
an den Rollstuhl gebunden, aus dem Kreis der Assistenznehmer-Vertretung zum
neuen Interims-Geschäftsführer eingesetzt.
„Wir wollen einen völligen Neustart versuchen“, versichert Barth. Als eine
der ersten Maßnahmen hat die neue Geschäftsführung den Wirtschaftsausschuss
des Betriebsrates reaktiviert. In diesem Gremium informiert die
Geschäftsführung die BelegschaftsvertreterInnen vertraulich über die
wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Der Wirtschaftsausschuss war von der
alten Geschäftsführung boykottiert worden.
In Kenntnis der prekären Lage gab der Betriebsrat sein Einverständnis, dass
Überstunden momentan nicht ausgezahlt, sondern bis zum kommenden Jahr
gestundet werden. Zudem will die Geschäftsführung mit der Sozialbehörde und
den Sozialämtern verhandeln, um eine Erhöhung des Stundensatzes um fünf
Prozent zu erreichen.
In der HAG besteht nun die Hoffnung, dass es gelingt, Förderer oder Mäzene
für den „Neuanfang“ zu gewinnen oder dass die Evangelische Bank doch den
Überbrückungskredit gewährt. „Einige Sanierungsmaßnahmen haben schon jetzt
gegriffen“, gibt sich Barth optimistisch. Aufsichtsrätin Charlotte
Lill-Künzel betont, wie wichtig die HAG für die AssistenznehmerInnen ist.
Das seien eben „nicht nur Rollifahrer“, sondern meist Menschen mit
Mehrfach-Behinderungen wie spastischen Erkrankungen oder Lähmungen. „Da
findet man nicht so schnell eine Alternative um die Ecke “, sagt
Lill-Künzel.
29 Oct 2020
## LINKS
[1] /Betriebsrat-unter-Druck/!5453909
[2] /Betriebsrat-unter-Druck/!5453909
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Hamburg
Behinderung
Genossenschaft
Menschen mit Behinderung
Leben mit Behinderung
Leben mit Behinderung
Feminismus
Assistenz
Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aktivistin über Selbstbestimmung: „Behinderte Frauen sind oft ärmer“
Sigrid Arnade erlebt als behinderte Frau doppelte Diskriminierung. Im
Interview spricht die Aktivistin und Journalistin über Barrierefreiheit und
30 Jahre ISL.
Menschen mit Assistenzbedarf in Berlin: Gefährlicher Protest
Das Bündnis Selbstbestimmt leben kämpft für Autonomie bei der Auswahl der
AssistentInnen. Mitglieder haben sich zum Protest auf die Straße gelegt.
Betriebsrat unter Druck: AssistentInnen auf der Abschussliste
Die Geschäftsführung der Hamburger Assistenzgenossenschaft attackiert ihre
Belegschaftsvertretung mit Abmahnungen und droht mit Amtsenthebungen – doch
die Betriebsräte wehren sich
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.