Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Drogen-Hotspots in Berlin: „Das ist reine Elendsverwaltung“
> Immer mehr Drogenhotspots gibt es in Berlin. Und die Strategie des Senats
> sei eine „Bankrotterklärung“, sagt Sozialpolitikerin Fatoş Topaç (Grü…
Bild: Spritzenfund auf einem Spielplatz
taz: Frau Topaç, lassen Sie uns über Drogenhotspots in Berlin sprechen.
Warum treibt Sie das Thema gerade so um?
Fatoş Topaç: Es gibt immer wieder Meldungen über Vermüllung, Verwahrlosung,
Spritzen auf Spielplätzen. Man hat das Gefühl, mal brennt es in dem einen
Bezirk, mal in dem anderen. Mal ist ein U-Bahnhof in Neukölln im Fokus, mal
ein Platz in Mitte. Mich als Sozialpolitikerin interessiert: Wie viel davon
ist subjektives Empfinden, wird das in unterschiedlichen Kiezen
unterschiedlich wahrgenommen, wo ist es überall Thema, und haben wir das
alles auf dem Schirm? Und vor allem: Was tun wir dagegen?
Deshalb haben Sie eine Anfrage an den Senat gestellt und jüngst [1][die
Antwort] bekommen. Da fällt vor allem auf: Es werden unglaublich viele
sogenannte Drogenhotspots aufgeführt.
Ja, nicht wahr? Als alte Kreuzbergerin vom Kotti war ich nicht gänzlich
überrascht. Aber es ist doch erschreckend, dass so viele Orte in so vielen
Kiezen und Bezirken in der gesamten Stadt mittlerweile betroffen sind.
Und haben die Verantwortlichen die alle auf dem Schirm?
Es werden zumindest viele runde Tische benannt, mit Vorort-Terminen und
Treffen zu einzelnen Hotspots. Am U-Bahnhof Schönleinstraße zum Beispiel,
da dachte ich: Wow, da waren sie ja alle – Bürgermeister, Sozialsenatorin,
Polizeipräsidentin, Stadträte, Suchtbeauftragte. Da hatte es aber auch
vorher einen Riesenwumms gegeben: Da wurde ein Obdachloser angezündet, es
gab Messerstechereien.
Gut, dass die Politik da ressort- und bezirksübergreifend reagiert hat,
oder nicht? Offenbar gibt es jetzt auch ein Drogenkonsummobil in der
Schönleinstraße, und die Öffnungszeiten des bestehenden Konsumraums wurden
erweitert.
Ja, aber die Politik, vor allem die zuständigen Senatsverwaltungen
Gesundheit und Soziales, agieren ein bisschen wie die Feuerwehr: dort
löschen, wo es gerade brennt. Und wenn der eine Bezirk anfängt zu räumen,
zittert der andere, weil er weiß, dass seine Bezirksgrenze drei Ecken
weiter verläuft. Diese Verschiebung kann es ja wohl nicht sein.
Es werden aber Millionen für die Arbeit mit süchtigen Obdachlosen
bereitgestellt.
Tatsächlich wurde bei den vergangenen Haushalten immer darauf geachtet,
dass für diesen Bereich genügend Mittel eingeplant werden, das Budget dafür
ist stetig gestiegen. Es gibt eine Vielzahl von freien Trägern und
Projekten, die sich dem Thema Sucht und Obdachlosigkeit widmen. Aber das
ist eben nur ein Teil der Miete.
Was fehlt Ihnen?
Die politischen Vorgaben, die ausformulierten Ziele für die Arbeit mit den
Trägern, statt einfach nur zu delegieren. Das soll jetzt nicht als
Trägerbashing rüberkommen, ich weiß, dass die Träger ihr Bestmögliches
machen. Was fehlt, ist eine gesamtstädtische Strategie. Wo ist die Vision
für eine Stadt, in der nicht nur Elendsverwaltung betrieben wird?
Bei süchtigen Obdachlosen kommen oft zwei Dinge zusammen: Menschen, die
ganz unten sind, und Anwohner, die sich gestört fühlen. Müsste es nicht im
Interesse aller sein, da schnell und nachhaltig etwas zu unternehmen?
Gerade die Verknüpfung von Obdachlosigkeit und Sucht stellt eine besondere
Form der Verelendung dar. Man kann auf die Menschen herabschauen: Müssen
die da ihre Spritzen hinschmeißen?! Stimmt ja auch, es ist genauso unser
Auftrag, die Kinder und Älteren zu schützen, die sich unbeschwert in Parks
und auf Plätzen aufhalten wollen. Aber dann muss ich eben die
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das Problem kleiner wird.
Glauben Sie, die Senatsverwaltungen hätten das nicht auch im Sinn?
Es ist nicht so, dass das kein Thema bei den regelmäßigen
Strategiekonferenzen der Sozialverwaltung ist. 2019 wurden die Leitlinien
der Wohnungsnotfallhilfe und Wohnungslosenpolitik vom Senat beschlossen.
Aber da entstehen dann so Sätze wie: „Der Zugang zu psychiatrischer und
psychologischer Versorgung wird auch für Wohnungs- und Obdachlose
sichergestellt und um zielgruppenspezifische Angebote erweitert.“ Einen
Satz von zeitloser Schönheit würde Sozialsenatorin Elke Breitenbach das
nennen.
Das wäre doch aber wünschenswert oder nicht?
Die Leiterin einer psychiatrischen Klinik sagte uns letztes Jahr bei einer
Anhörung, dass unsere Konzepte der Wiedereingliederung ja schön auf dem
Papier seien. Aber dass die einfach nicht funktionierten, weil sie
Obdachlose gar nicht mehr entlassen könnten aus der Psychiatrie. Denn wenn
sie sie entlassen, müssen sie sie auf die Straße entlassen. Es gibt einfach
keine Anschlussbetreuung. Wenn das System aber nicht nahtlos funktioniert –
Akutversorgung, Therapieplatz, Wohnmöglichkeit –, dann ist doch der
Rückfall vorprogrammiert. Da ist das System verstopft.
Weil Verdrängung und Wohnungsnot sich am Rande der Gesellschaft besonders
deutlich zeigen?
Ich habe gerade erst mit dem Beschäftigten eines Trägers aus dem Bereich
der Suchthilfe gesprochen, der seine angestammten Räumlichkeiten verlassen
musste, weil er die Miete nicht mehr zahlen konnte. Er hat jetzt neue Räume
gefunden, fängt nun aber wieder bei null an, was die Akzeptanz der Nachbarn
für die Klientel der Einrichtung betrifft.
Eine Krux: Niemand will Spritzen auf Spielplätzen finden. Aber es ist auch
doppelt schwer, Räume für Wohn- und Therapieprojekte zu finden. Oder auch
nur für einen Drogenkonsumraum. In der Antwort des Senats auf Ihre Kleine
Anfrage heißt es, Neukölln suche da schon geraume Zeit erfolglos.
Ja, da rede ich mir schon seit Jahren den Mund fuselig, dass bei allen
landeseigenen Grundstücken und Wohnungsgesellschaften diese Projekte
konsequent mitgedacht werden müssen. Nach der letzten Strategiekonferenz
sollen wir nun aber demnächst endlich mal eine Liste von hundert Arealen im
gesamten Stadtgebiet bekommen, die für den Erhalt und den Ausbau der
sozialen Infrastruktur geeignet wären …
Aber da geht es doch los: Es gibt ja nicht nur die Projekte für obdachlose
Süchtige, die keine Räume finden.
Das ist ein Verteilungskampf ja. Wer bekommt dann am meisten: Wer am
lautesten schreit, wo die Lobby am größten ist, wo das Elend am größten
ist? Am Ende darf es natürlich von all diesen Kriterien keines sein. Es
muss ein Aushandlungsprozess sein, bei dem niemand gegen den anderen
ausgespielt wird.
Auch ein Satz von zeitloser Schönheit.
... den die Politik aber nicht nur so stehen lassen darf, sondern den wir
mit Leben füllen müssen. Und genau dafür braucht es einen politischen Plan,
der das Gesamte im Blick hat. Es gibt keine chronologische Reihenfolge, mit
der wir soziale Probleme angehen können. Das muss alles gleichzeitig
stattfinden. Ich sage es ganz offen: Das, was der Senat da als Strategie im
Umgang mit Sucht und Obdachlosigkeit ausweist, ist für mich eine
Bankrotterklärung. Wie gesagt: reine Elendsverwaltung.
Was genau hätten Sie gern in der Antwort gelesen?
Wir haben so und so viele Plätze für den Entzug, im Anschluss entsprechend
viele Wohnmöglichkeiten, Angebote für engmaschige Begleitung. Damit gelingt
es uns, so und so viele Menschen wiedereinzugliedern. In Zukunft wollen wir
so und so viele erreichen. Außerdem: Wir investieren so und so viel in die
Bekämpfung der Ursachen, in die Prävention.
Wer ist in der Pflicht?
Jedenfalls nicht nur die Sozialverwaltung, die Gesundheitsverwaltung und
die Bezirke, wie in der Antwort auf meine Anfrage aufgeführt wird. Wenn man
sich dem ganzheitlich stellen wollte, fehlt natürlich auf jeden Fall die
Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen, und in Sachen Prävention unbedingt
die Senatsverwaltung für Jugend und Bildung. Und weil es ja nicht wenige
Menschen betrifft, die dann auch straffällig werden – Stichwort
Beschaffungskriminalität – natürlich auch die Senatsverwaltung für Justiz.
Noch ein runder Tisch…
Aber mit dem Ziel einer Strategie für die ganze Stadt. Das kann nur so
gehen. Sie alle müssen sich zusammensetzen für Antworten auf die Frage, wie
in einer Stadt, die so unter Druck steht, künftig mit Verelendung
umgegangen wird.
21 Oct 2020
## LINKS
[1] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/S18-25…
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Drogensucht
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Drogenkonsum
Elke Breitenbach
Drogenkonsum
Monika Herrmann
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Obdachlosenunterkünfte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Drogenkonsum in Berlin: „Ein Kommen und Gehen“
Der neue Druckraum am Kottbusser Tor erfreut sich reger Nachfrage. Allein
im April wurden 700 Konsumvorgänge gezählt.
Obdachlose in Berlin: Zahl der Corona-Infektionen steigt
Obdachlose leiden besonders unter der Pandemie. Sozialsenatorin Elke
Breitenbach (Linke) lobt die Hilfsbereitschaft in der Stadt.
Sicherer Rauschmittelkonsum: Hessen will Drogentests ermöglichen
Das Bundesinstitut für Arzneimittel blockiert bisher jeden Versuch für
Drugchecking-Projekte. Hessen will seinen Versuch nun gerichtlich
durchsetzen.
Innenstadt-Probleme in Berlin: Hotspots der Verwahrlosung
Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg beklagt zunehmende
Verwahrlosung. Längst wird nicht nur in der Gegend um den Görlitzer Park
gedealt.
Verdrängung von Obdachlosen in Berlin: Betteln und hausieren verboten
Baudenkmal ohne Obdachlose: Auf dem Hansaplatz kontrolliert ein
Sicherheitsdienst die neue Platzordnung und wird dafür auch vom Bezirk
bezahlt.
Psychiatriepatienten auf der Straße: „Puffer für soziale Probleme“
Immer mehr Psychiatriepatienten ohne Wohnung – das könnte die
Errungenschaften der modernen Psychiatrie gefährden, sagt Oberarzt Stefan
Gutwinski.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.