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# taz.de -- Belarussischer Oppositioneller gestorben: Der die Macht nicht schla…
> Valeri Schukin war der Engel der belarussischen Aktivist*innen. Seit den
> 90ern kämpfte der Menschenrechtler gegen die Lukaschenko-Diktatur.
Bild: „Dafür ist er Schukin“: Valeri Schukin in dem T-Shirt, das ihm seine…
„Wir glauben, dass unser guter Engel jetzt im Himmel ist. Von dort aus wird
er unserem baldigen Sieg zusehen, für den er bereit war, sein Leben
hinzugeben“, schreibt die belarussische Aktivistin Alexandra Glagoliewa auf
WhatsApp. Der gute Engel ist Valeri Schukin, einer der dienstältesten
Dissidenten in Belarus. Am Samstag erlag der 78-Jährige in einem Minsker
Krankenhaus einem schweren Nierenleiden.
Schukin wurde am 22. März 1942 im russischen Wladiwostok geboren. Als Kind
kam er mit seinen Eltern nach Minsk. Nach Beendigung der Schule ging er zum
Studium nach Leningrad (heute St. Petersburg), wo er die Militärhochschule
absolvierte. Seinen aktiven Dienst in der Marine quittierte er nach 27
Jahren im Range eines Kapitäns und kehrte nach Belarus zurück.
1995 und damit vier Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sowie der
Unabhängigkeit von Belarus schaffte der zeitlebens überzeugte Kommunist den
Sprung als Abgeordneter in den Obersten Sowjet. Ein Jahr zuvor war
Alexander Lukaschenko erstmals zum Präsidenten von Belarus gewählt worden.
Für Schukin war das Parlament die ideale Bühne, um seinen persönlichen
Kampf gegen das Regime auszufechten, der sein Leben bis zum Ende bestimmen
sollte: Immer im Widerstand, kompromisslos, ständig provozieren und anecken
– ohne Rücksicht auf Verluste.
Am Anfang habe er ihn lediglich als eine exotische Person in der
Parlamentsfraktion der Kommunisten wahrgenommen, erinnert sich der
Fernsehjournalist Leonid Mindlin. Mal sei Schukin in einer bunt bestickten
Bluse, mal in Uniform mit Schulterklappen in den Plenarsaal gekommen. Er
habe nach allen Seiten ausgeteilt, gegen den damaligen russischen
Präsidenten Boris Jelzin, aber auch an die Adresse des Westens. Irgendwie
sei er ein politischer Orthodoxer gewesen.
1996 begann Lukaschenko das Parlament gleichzuschalten und mit willfährigen
Abgeordneten zu besetzen. Mit einem sogenannten Referendum im November
desselben Jahres verschaffte er sich erstmals weitreichende Vollmachten.
Schukin, den die Kommunisten aus ihrer Partei ausschlossen, nahm diesen
Fehdehandschuh auf und setzte seinen Feldzug gegen die Staatsmacht fort.
Das brachte ihm in den Folgejahren mehrmals Geldbußen, Festnahmen und
Haftstrafen ein. Doch der Menschenrechtler, der Mitglied des belarussischen
Helsinki-Komitees war und sich auch als Journalist betätigte, steckte nicht
auf.
## Löffel für die Gefangenen
In den 90er Jahren erreichte er es, dass Gefangenen im Minsker
Untersuchungsgefängnis an der Okrestina-Straße endlich normale Löffel
ausgehändigt wurden, um ihre karge Suppe essen zu können. Zudem setze er
durch, dass sie Hofgang bekamen. Es gab kaum eine Gerichtsverhandlung gegen
Oppositionelle, [1][bei der Schukin als moralische Stütze nicht anwesend
war].
Ein Markenzeichen und Symbol seiner Standhaftigkeit war Schukins langer
Bart, den er oft und gerne öffentlich kämmte. Mehrmals wurde er an seinem
Bart von der Miliz über die Straße geschleift, einmal wurde ihm der Bart im
Gefängnis gewaltsam abgeschnitten.
Bei Protesten am 25. März 2017, dem Jahrestag der belarussischen
Unabhängigkeit 1918, wurde Schukin zusammengeschlagen und zum letzten Mal
inhaftiert. Den Befehl, sich mit dem Gesicht zur Wand zu stellen,
verweigerte er. Er werde seinen Feinden nicht den Rücken zuwenden, sagte er
damals.
Zu seinem diesjährigen Geburstag schenkten seine Mitstreiter*innen Schukin
ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Dafür ist er Schukin, dass er die
Staatsmacht nicht schlafen lässt.“ Bis zum Schluß war Schukins Kampfgeist
ungebrochen – trotz wachsender gesundheitlicher Probleme.
Anlässlich [2][der Präsidentenwahl am 9. August 2020] richtete er ein
gepfeffertes Schreiben an die Leiterin der Zentralen Wahlkommission Lidia
Jermoschina. Er werde auf jeden Fall seine Rolle als Beobachter wahrnehmen
und ins Wahllokal kommen. „Wenn Sie mich entfernen lassen wollen, rufen Sie
mindestens vier Vertreter der Sicherheitskräfte herbei, dass sie mich mit
ihren Händen wegtragen. Aufrecht werde ich mich nicht festnehmen lassen“,
heißt es darin.
„Schukin war ein großes Vorbild, er war wie ein Großvater für mich. Ich
werde ihn nie vergessen“, sagt die Aktivistin Alexandrina Glagoliewa. Das
dürfte vielen Menschen in Belarus so gehen. Noch ist nicht ausgemacht, wie
der Machtkampf ausgeht. Und vielleicht wird Lukaschenko am Ende doch noch
abtreten. Diesen Moment mitzuerleben hätte man vor allem Schukin von Herzen
gegönnt.
11 Oct 2020
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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