# taz.de -- Frühe Luftbildfotografie: Der Blick des Ballonfahrers | |
> „Robert Petschow und das Neue Sehen“: Die Berlinische Galerie zeigt | |
> Aufnahmen des Berliner Ballonfahrers aus den 1920er Jahren. | |
Bild: Robert Petschow, Viadukt von Eglisau, 1930 | |
Die Welt aus der Luft sieht geordnet aus. Diese Erfahrung machte Robert | |
Petschow bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Ein umfangreiches Werk von | |
Luftaufnahmen legte er dann in den 1920er und 1930er Jahren als einer der | |
wichtigsten deutschen Ballonfahrer und Luftfahrtjournalisten an. | |
Schraffiert sehen die Felder von oben aus. Man sieht die Furchen noch, auf | |
denen vor kurzem das Korn gestanden haben muss. Auf dem Acker ist in der | |
Mitte ein dicker Strich – die Spur der Mähmaschine, deren Scheinwerfer noch | |
hell in diesem Silbergelatineprint aus den 1920er Jahren aufleuchten. | |
Deutlicher noch werden die Furchen beim Überflug von Abraumhalden in | |
Nödlitz, heute Sachsen-Anhalt. | |
Wie eine Gletscherzunge schiebt sich eine Halde von links oben ins Bild und | |
trifft im rechten Winkel auf eine zweite, die von rechts kommt. Hinter | |
beiden sieht man eine weitere, weit ausgedehnte Halde, deren Oberfläche wie | |
mit einer riesigen Harke durchzogen wirkt. | |
Ballonfahrer waren meist in einer Höhe von einigen hundert Metern über der | |
Erdoberfläche unterwegs. Deswegen erfassen ihre Aufnahmen mehr Details als | |
der Blick heute aus dem Linienflugzeug heraus. Gleichzeitig geben sie | |
Überblicke über das unter ihnen dahingleitende Land. Eindrucksvoll sind die | |
Industrieanlagen der 1920er Jahre beim Blick von oben. | |
Zwei Reihen schlanker Türme einer Brikettfabrik ragen hoch auf über die | |
niedrigen, wie Bauteile von Leiterplatten anmutenden Hallen und den | |
Verbindungswegen zwischen ihnen. Den Eindruck von Bauteilen erweckt auch | |
die Draufsicht auf acht Kühltürme einer nicht näher spezifizierten Fabrik. | |
Bei diesen Aufnahmen wird nachvollziehbar, warum der Ballonfahrer und | |
Fotograf seinen Zeitgenossen [1][als Exponent der Neuen Sachlichkeit] galt. | |
Seine Fotos wurden in vielen Illustrierten verbreitet und fanden Eingang in | |
Bildbände der Bauhaus-Künstler Walter Gropius und László Moholy-Nagy. | |
## Stipendium für Fotografieforschung | |
Zuweilen gelingen Petschow sogar Aufnahmen ganz eigener Poesie, wenn Linien | |
brechen und überraschende Kontraste auftauchen. Weiß bedeckt ist etwa das | |
Gräberfeld eines Friedhofs. Als schwarze Punkte heben sich die Grabsteine, | |
auf denen der Schnee nicht hielt, heraus. Ein Muster aus Punkten entsteht, | |
regelmäßig durch die Reihung der Grabstellen. Die Grabsteine selbst sind | |
aber von unterschiedlicher Form und Größe, weshalb die strenge Linearität | |
aufgelöst ist. | |
Surrealistisch ist der Anblick von zu Puppen gebundenem Strohs auf einem | |
Feld. Wie seltsame weiße Vögel muten die Strohpuppen an, die sich von dem | |
dunklen Ackerboden abheben und über ihm in einer Formation zu schweben | |
scheinen. | |
[2][Petschows Aufnahmen, die nur hin und wieder in Ausstellungen] über die | |
Fotografie oder die Industriekultur der 1920er Jahre auftauchten, wurden | |
jetzt im Rahmen des [3][Thomas-Friedrich-Stipendiums für | |
Fotografieforschung] von Michael Kempf aufbereitet. Kempf kontrastiert | |
Petschows Fotos mit zeitgenössischen Publikationen, in denen Petschows | |
Arbeiten erschienen und in denen er teils selbst zum Protagonisten wurde. | |
Ein Foto zeigt Petschow etwa in einer Gondel. | |
Bemerkenswert ist auch die Nordafrikafahrt mit dem Zeppelin LZ 127, die | |
Petschow im Jahr 1931 als Fotograf begleitete. Als ikonisches Foto entstand | |
dabei das über den Pyramiden von Gizeh schwebende Luftschiff. In 96 Stunden | |
wurden dabei – Start- und Zielort war Friedrichshafen – 9.000 Kilometer | |
zurück gelegt. | |
Die Ausstellung greift auf früher publizierte Aufnahmen sowie Bestände | |
anderer Archive zurück. Sie verweist auf ein besonderes Kapitel der | |
Fotografie. Petschows Aufnahmen erlauben einen Blick darauf, wie Industrie | |
und Landwirtschaft die Erdoberfläche einhegten und strukturierten, aber | |
auch, wie sich Landschaftsformationen und Vegetation dieser Einhegung | |
erwehrten. | |
## Was trug Petschow zur NS-Propaganda bei? | |
Manko der Ausstellung ist allerdings, dass viele der Aufnahmen zeitlich nur | |
sehr grob zugeordnet werden konnten. Die Zeitangabe „vor 1929“ steht bei | |
vielen Fotos. Auch die biografischen Notizen zu Petschow selbst sind karg. | |
Prägend dürfte für ihn der Einsatz im Ersten Weltkrieg als Luftbeobachter | |
vom Fesselballon aus gewesen sein. Fotomaterial aus dieser Zeit fehlt in | |
der Ausstellung aber völlig. | |
So bleibt lediglich Spekulation, wie der militärische Blick des | |
Artilleriebeobachters den Blick des Ballonfahrers in Friedenszeiten geprägt | |
haben mochte. Auch Petschows Eingliederung in den NS-Staat, für den die | |
Luftfahrt generell und der erhebende Blick von oben ein wichtiges | |
Propagandamittel waren, wird nur sehr kursorisch betrachtet. Lediglich | |
Petschows Brief mit der Bitte um Aufnahme in die Luftwaffe, bereits 1935, | |
wird als Faksimile ausgestellt. | |
Was der erfahrene Ballonfahrer und Journalist – einige Jahre Redakteur der | |
in Berlin-Wilmersdorf erschienenen Tageszeitung Der Westen – zu den | |
Propaganda-Aktionen von Hermann Görings Ministerium beigesteuert haben mag, | |
bleibt ungewiss. Petschow trat im Alter von 48 Jahren mit dem Dienstgrad | |
Hauptmann in die NS-Luftwaffe ein und starb kurz nach Kriegsende im Oktober | |
1945 in Haldensleben. Sein Bildarchiv mit etwa 30.000 Luftaufnahmen, das er | |
in seinem Wohnhaus in Berlin-Steglitz gelagert hatte, ging im Krieg | |
verloren. | |
14 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /taz-Sommerserie-Sommer-vorm-Balkon/!5707647 | |
[2] /Archiv-Suche/!1447961&s=Robert+Petschow&SuchRahmen=Print/ | |
[3] https://berlinischegalerie.de/berlinische-galerie/forschung/thomas-friedric… | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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